Lasst uns Fehler machen – und darüber reden! - demenzjournal.com

Alzheimer und wir

Lasst uns Fehler machen – und darüber reden!

Peggy Elfmann mit ihrer Mutter. Daniel Laudowicz

Peggy Elfmann stellen sich bei der Begleitung ihrer Mutter immer wieder neue Herausforderungen. Dass sie dabei auch Fehler begeht, versteht sich von selbst. Wichtig ist, dass sie über diese Fehler spricht und daraus lernt.

Als meine Mama vor elf Jahren die Diagnose Alzheimer bekam, habe ich wahnsinnig viel recherchiert. Ich hoffte, eine Behandlung oder Therapie zu finden, die ihr helfen könnte. Lange Zeit hatte ich die Hoffnung, dass sich die Krankheit vielleicht irgendwie heilen ließe.

Ich las und informierte mich aber auch deshalb, weil ich alles richtig machen wollte im Umgang mit ihrer Erkrankung. Ich wollte sie so gut ich kann unterstützen und das einhalten, was ich versprochen hatte: Ich bin für dich da!

Vor der Diagnose meiner Mama wusste ich natürlich, dass es Alzheimer gibt, aber was genau das bedeutet, was sich verändern würde und wie ich und wir als Familie damit umgehen sollten, das war mir nicht klar. Ich las also sehr viele Ratgeber und wusste bald sehr viel. Zumindest in der Theorie.

Im Alltag habe ich das, was ich gelesen habe, jedoch nicht immer umgesetzt. Ich hatte gelesen, wie sich die Kommunikationsfähigkeit bei Menschen mit Demenz verändert. Und eigentlich fiel es mir leicht, Mama nicht zu korrigieren, wenn sie etwas erzählte, das im zeitlichen Kontext nicht stimmte.

Wenn sie ihre Schulzeit und meine Schulzeit miteinander vermischte, so reagierte ich mit einem Lächeln und Nicken, statt sie zu korrigieren.

Experten raten, dass man Menschen mit Demenz nicht korrigieren, sondern bestätigen solle – und meist konnte ich das. In den Gesprächen blieb ich geduldig und antwortete auch auf sich wiederholende Fragen, ohne sie darauf hinzuweisen, dass sie das doch eben schon gefragt hatte. 

Ich kann nicht immer liebevoll und geduldig sein

Ich wünschte, ich könnte immer die liebevoll geduldige Tochter sein – aber so ist es nicht. Es gab Situationen, da konnte ich das nicht. Zum Beispiel, wenn ich das Mittagessen vorbereitete und gestresst war. Dann bat ich Mama Teller und Besteck auf den Tisch zu legen. Statt fünf Tellern deckte sie nur mit vier Tellern oder es fehlte eine Gabel oder ein Löffel. Allesamt eigentlich Kleinigkeiten, doch gerade wenn es stressig wurde, reagierte ich schon mal genervt und sagte: «Da fehlt noch einer.»

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Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich war und bin immer die liebevoll geduldige Tochter – aber so ist es leider nicht. Eine Szene, die ich nie vergessen werde: Mama steht am Waschbecken und wäscht das Geschirr ab. Ich war total genervt davon, denn zum einen haben meine Eltern einen Geschirrspüler und zum anderen wollte ich, dass sie lieber etwas Schönes macht.

Ich ging zu ihr und sagte vielleicht etwas zu barsch: «Ich mache das, geh doch ins Wohnzimmer.» Ich wollte, dass sie sich ausruht, dass sie etwas Schönes macht, vielleicht liest oder mit den Kindern spielt, denn das machte ihr immer grosse Freude. Ich nahm ihr also den Spüllappen ab und machte weiter. 

Mama ging in den Flur und fing an zu weinen.

Ich spürte, dass ich sie verletzt hatte. Ich hatte einen Fehler gemacht, obwohl ich doch nur ihr Bestes wollte. Das Abspülen war für sie wichtig gewesen, eine Aufgabe, die zeigte, dass sie weiter am Alltag teilhat und etwas für ihre Familie tut. Dass sie mehr ist als ein Mensch mit Alzheimer – und ich hatte das nicht nur nicht gesehen, sondern ihr auch diese Aufgabe genommen (und dazu noch auf eine unschöne Art). 

Wer einen Angehörigen mit Demenz begleitet, macht vieles zum ersten Mal

Über diese Szene zu schreiben, fällt mir nicht leicht, auch wenn sie schon einige Jahre her ist. Denn ich schäme mich, dass ich damals so blind für meine Mama und ihre Gefühle war. Und doch schreibe ich darüber.

Diese Szene habe ich sogar in meinem Buch «Mamas Alzheimer und wir» beschrieben – und das ist eine der Stellen, die ich bei meinen Lesungen immer vorlese. Warum? Weil ich es wichtig finde, über Fehler zu reden, und weil ich mich davon nicht ausnehme.

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Ich glaube, es ist ganz normal, dass Menschen Fehler machen, wenn sie einen Angehörigen mit Demenz begleiten. Egal, wie viel man liest und wie gut informiert man ist, der Alltag bringt dann doch oft eigene Herausforderungen. Wir treffen auf Unvorhergesehenes und sind selber nicht immer so entspannt, wie wir es sein sollten, um nach Ratgeber-Manier zu handeln.

Wer einen Angehörigen mit Demenz begleitet, macht ausserdem ja Vieles zum ersten Mal (ich denke da an ganz praktische Herausforderungen wie Haarewaschen und Anziehen, aber auch ohne Worte nebeneinander zu sitzen). In meiner Kindheit und Jugend hat Mama häufiger den Spruch «Übung macht den Meister» zu mir gesagt. Da hatte sie wohl nicht ganz unrecht. 

Eine Demenzerkrankung ist ein immer währender Lernprozess

Dazu kommt, dass man sich immer wieder an Neues gewöhnen muss, weil die Krankheit voranschreitet und neue Symptome auftauchen. Manche Dinge verschwinden, ohne dass man sich verabschieden kann, andere Dinge kommen, ohne dass man sich darauf vorbereiten konnte …

Eine Demenzerkrankung ist im Grunde ein immer währender Lernprozess. Das ist ja die Herausforderung mit einer Demenzerkrankung, dass sich die Krankheit verändert und dabei individuell verläuft. Niemand kann einem den richtigen Weg vorgeben, man muss irgendwie immer den eigenen richtigen Weg finden.

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Ich würde gerne sagen, dass ich heute alles richtig mache. Aber das tue ich nicht und das einzusehen fällt mir als Perfektionistin wirklich nicht leicht. Aber dann wiederum: Sind Fehler nicht auch wichtig, um zu lernen? Dazu gehört, dass wir sprechen und uns offen und ehrlich austauschen, über das, was nicht so gut geklappt hat, und über das, was gut funktioniert hat. Denn so können wir alle lernen – und das geht am besten miteinander. 

Zum Abschluss zeige ich dieses Bild von Mama mit der Tasse. Ich dachte, sie kann nicht mehr alleine trinken und habe ihr meist die Tasse zum Mund geführt (und dabei schwappt auch mal was aus der Tasse …). In einem Gespräch mit der Tagespflege zeigte sich: Mama kann mit Unterstützung noch ganz gut trinken.

So oft es geht, versuche ich sie dabei zu unterstützen. Ich schiebe die Tasse zu ihrer Hand und sie greift tatsächlich oft selbst und führt die Tasse zum Mund und trinkt (und nichts schwappt dabei aus der Tasse …). Ein Fehler von mir, und gelernt habe ich dadurch, dass ich darüber gesprochen habe. Lasst uns also über unsere Fehler sprechen und austauschen – und so von- und miteinander lernen.

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