Fehldiagnose Demenz (1) - demenzjournal.com

Hausbesuch

Fehldiagnose Demenz (1)

Reizüberflutung in der Innenstadt

Die Welt von heute ist voller Herausforderungen – wer damit nicht immer klar kommt, muss keine Demenz haben. Sebastian Meier, unsplash

Oft wird allzu schnell ein Mensch aufgrund seines Verhaltens als demenzkrank abgestempelt. Dieser Beitrag soll das Bewusstsein schärfen, dass sich manchmal ein Verdacht nicht bestätigt.

«Schnell, schnell kommen Sie, es ist so weit», ruft eine aufgeregte Stimme ins Telefon. Ich sage Herrn Rubich* zunächst, dass ich ausreichend Zeit habe für sein Problem.

Ich lade ihn mit ruhiger Stimme ein, mich über die aktuelle Situation zu informieren. Herr Rubich erzählt mir, dass sein Vater völlig verwirrt und orientierungslos sei. Er schliesst mit den Worten: «Dass er jetzt so schnell dement geworden ist, ist schlimm!»

Wir vereinbaren einen Termin. Herr Rubich folgt meiner Empfehlung, den Hausarzt hinzuzuziehen, damit dieser sonstige Krankheiten ausschliessen könnte. Der Hausarzt wies Herrn Rubich ins Spital ein, wo sich herausstellt, dass der ältere Herr mit beginnender Inkontinenz zu wenig getrunken hat. Meine Beratung ist also nicht mehr nötig.

Herr Krotik fügt sich seiner Frau

Das ältere Ehepaar Krotik hat sich für eine Beratung angemeldet. Frau Krotik beginnt schon zu erzählen, während ich noch ihren Mann begrüsse. Zunächst höre ich von ihrer schweren Kindheit, die sie gestählt habe. Sie sei nun dankbar dafür, weil sie sonst in dieser Situation verzweifeln würde. Seit ihr Mann eine Demenz habe, sei er wie Kind, sie müsse sich um alles kümmern. 

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Symptome

Eine Demenz vermindert Hirnleistungen wie erinnern, sprechen, rechnen, erkennen, bewegen und beurteilen. Die Erkrankung kann auch Verhalten und Gemüt verändern. weiterlesen

Ihr Mann sitzt still daneben, so als würde ihn das alles nichts angehen. Selbst als ich mich direkt an ihn wende, gibt seine Partnerin die Antworten. Frau Krotik sieht in meinen Trainings die Chance, ihren Mann wieder zu aktivieren und die Demenz zu eliminieren. Mein Verdacht, dass der Mann einfach in seiner Beziehung gelernt hat, alles über sich ergehen zu lassen und sich widerstandslos zu fügen, behalte ich zunächst für mich. 

Ich empfehle eine Untersuchung beim Neurologen. Wir vereinbaren ein weiteres Treffen, wo wir anhand des Befundes die nächsten Schritte besprechen werden. Da keine Demenz-Diagnose gestellt worden ist, unterbreite ich Herrn Krotik Vorschläge, wie er jene Tätigkeiten, die er früher gerne gemacht hat, mit sozialen Aktivitäten verknüpfen kann. Jetzt sehe ich zum ersten Mal ein Lächeln auf seinem Gesicht. Ich begleite Frau Krotik noch eine Zeit lang telefonisch, bis sie ihrem Mann diesen Freiraum zugestehen kann.

Wie diese Beispiele aus der Praxis zeigen, wird oft einer Person aufgrund eines Symptoms oder Verhaltens der Stempel «Demenz» aufgedruckt. Diese Person hat kaum mehr eine Chance, wieder aus dieser Schublade zu kommen. Deswegen ist eine gute Diagnostik so wichtig.

Abklärung bringt Gewissheit

Frau Mayer kommt zu mir in die Praxis, weil sie zunehmend vergesslich ist. Wir unterhalten uns sehr lange. Sie kann dem Gespräch gut folgen und zögert bei keiner dieser Fragen:

  • Wie haben Sie den gestrigen Tag verbracht?
  • Haben Sie sich auf vertrauten Wegen, zum Beispiel zum Frisör oder zum Bäcker, schon einmal verlaufen?
  • Wie oft vergessen Sie Termine, wie zum Beispiel Treffen mit Freundinnen oder die Sonntagsjause bei Ihren Kindern?
  • Wann sind Sie geboren?
  • Haben Sie Schwierigkeiten bei alltäglichen Verrichtungen wie zum Beispiel kochen? 

Auch der Uhrentest und eine kleine Merkfähigkeitsübung bereiten Frau Mayer keine Schwierigkeiten. Ich kann sie beruhigen und ihr mitteilen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich eine normale Altersvergesslichkeit vorliegt. 

So wie der Körper unterliegt auch das Gehirn einem natürlichen Alterungsprozess. Dadurch sinkt die geistige Leistungsfähigkeit und die Denkprozesse werden langsamer. Selbstverständlich empfehle ich auch ihr einen Facharzt aufzusuchen und gebe ihr entsprechende Adressen mit. 

Alt, aber nicht dement

So ähnlich ist der Termin mit Herrn Fischer verlaufen. Seine Tochter ist der Meinung, dass Ihr Vater Wortfindungsstörungen hat und endlich etwas dagegen unternehmen soll. Herr Fischer kommt zum vereinbarten Termin, obwohl er selbst nicht das Gefühl hat, dass etwas schlechter geworden ist. Er trifft sich regelmässig mit Freunden und Bekannten, organisiert sich seinen Tagesablauf selbst und hält sich mit Gartenarbeit fit.

Er berichtet, dass seine Tochter sehr beunruhigt ist, weil er ihrer Meinung nach Anzeichen für eine Demenz hat. Er sei nicht mehr so flexibel wie vor einigen Jahren. Manchmal fallen ihm Namen von neuen Bekannten nicht mehr ein. Auch bei Herrn Fischer stellt sich bei einer ausführlichen ärztlichen Untersuchung heraus, dass seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten dem Alter entsprechen und somit derzeit keine Demenz vorliegt.

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Die Veränderung

2017. Um meinen demenzkranken Mann zu pflegen, habe ich mein Arbeitspensum reduziert. Doch auch so geht es nicht mehr lange. Ich schwanke zwischen … weiterlesen

Jeder Mensch verlegt ab und zu Gegenstände, vergisst Namen von Personen oder vielleicht den Code seiner Bankomatkarte. Wesentlich ist, dass es im Grossen und Ganzen keine unüberwindbaren Hürden im Alltag gibt. Wer aber wie Frau Mayer das subjektive Empfinden hat, dass er sich im Vergleich zu früher weniger merkt oder seine Interessen verliert, vermehrt nach verlegten Gegenständen sucht oder wichtige Termine vergisst, sollte dies auf keinen Fall einfach akzeptieren.

Es könnte sich nämlich auch um Vorboten einer späteren Alzheimer-Demenz handeln. Deswegen sollte vorsorglich ein regelmässiges Gedächtnistraining absolviert und beeinflussbare Risikofaktoren wie hoher Blutdruck behandelt werden. Überdies sollte immer ein Facharzt hinzugezogen werden. So hat die Unsicherheit für die Betroffenen und deren Angehörige ein Ende, und andere Erkrankungen können ausgeschlossen oder behandelt werden.

Es war keine Demenz, sondern ein Hirntumor

Wie wichtig eine ausführliche Diagnostik ist, erlebte auch die Familie Lund. Hier kontaktierte mich die Enkelin. Sie war völlig niedergeschlagen, weil ihre heiss geliebte Grossmutter sie nicht mehr erkannte. Diese war bereits von ihrem Hausarzt ins Spital zur Durchuntersuchung eingewiesen worden.

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Diagnose

Wer über mehrere Wochen verdächtige Symptome hat, sollte zum Arzt gehen. Die genaue Untersuchung sollten Spezialisten machen, denn Schnelltests beim Hausarzt haben eine … weiterlesen

Es sollte abgeklärt werden, ob ein Zusammenhang mit anderen Krankheiten besteht. Auf diese Weise konnte rasch ein Hirntumor entdeckt werden, der mittels Chemotherapie so verkleinert werden konnte, dass die Verbindung zu den Nervenzellen wieder gut funktionierte. Die Grossmutter konnte wieder fast ohne Einschränkungen leben.

*Anmerkung der Redaktion: Die hier geschilderten Fallbeispiele sind wahre Begebenheiten, die Namen wurden geändert (Persönlichkeits- und Datenschutz)

> Hier geht’s zur Website von Andrea Stix und FELiX Demenz Begleitung

Hier geht’s zu Teil 2 der Fehldiagnosen

deprimierte Frau blickt aus dem Fenster

Hausbesuch

Fehldiagnose Demenz (2)

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