«Jetzt mache ich alles für sie» - demenzjournal.com

Selbsthilfe

«Jetzt mache ich alles für sie»

Die Männergruppe «Meine Frau hat Demenz» beim Wiener Würstelstand. Thomas Werchota

Im traditionellen Rollenverständnis ist Haus- und Sorgearbeit Aufgabe der Frau. Doch was, wenn nun die Männer übernehmen müssen? Raphael Schönborn leitet die Männergruppe «Meine Frau hat Demenz» und gibt Einblicke in die Gedanken der Teilnehmer.

«Sie hat 60 Jahre lang alles für mich gemacht. Jetzt mache ich alles für sie», sagt ein Teilnehmer der Gruppe «Meine Frau hat Demenz». Die Männergruppe trifft sich einmal im Monat in Wien. Hier können sich die Teilnehmer über ihren Alltag mit ihren von Demenz betroffenen Frauen austauschen.

Die Gruppe gibt den Männern Halt, sie bekommen Verständnis und Anerkennung. Niemand kann so gut nachvollziehen, was es bedeutet, «24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche» für die demenzbetroffene Frau über Jahre hinweg da zu sein, wie die Teilnehmer dieser Gruppe.

Dass sich Männer der Pflege ihrer Frauen annehmen, ist nichts Selbstverständliches.

Wenn wir von Angehörigenpflege sprechen, gehen wir zumeist von Frauen aus. Und es stimmt: Die meisten Menschen mit Demenz werden zuhause von Frauen gepflegt. Männern mutet die Gesellschaft diese Arbeit offenbar nicht zu und es wird nicht erwartet, dass sie Pflegeaufgaben übernehmen. So wundert es nicht, dass wir kaum davon hören, dass rund 25 Prozent der pflegenden Angehörigen Männer sind.

Rund ein Viertel der pflegenden Angehörigen sind Männer. Thomas Werchota

Wenn Männer die Pflege übernehmen, wird allgemein davon ausgegangen, dass sie sich dabei auf die Organisation beschränken und körpernahe Hilfe, wie waschen und anziehen, an professionelle Dienste delegieren. Ein Irrtum, der sich hartnäckig hält und sich daraus ergibt, dass Männer kaum von sich aus über Tätigkeiten wie Körperpflege sprechen. Das passt so gar nicht in das Bild eines traditionellen Mannes und dennoch tun sie es.

Da die gesellschaftliche Verpflichtung zur Angehörigenpflege bei Männern nicht gegeben ist, können sie sich bewusst freier für die Übernahme der Pflege entscheiden und führen als Hauptmotiv dafür die Liebe zu ihren Frauen an. Deshalb sind sie jedoch nicht weniger belastet.

Generell gilt die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz als besonders belastend. Folglich benötigen An- und Zugehörige Unterstützung bei der Bewältigung ihres Pflegealltags, die sie in moderierten Gesprächsgruppen finden können.

Zumeist werden Männer in der Angehörigenpflege tätig, wenn sie selbst schon um die 80 Jahre alt sind und ihre Partnerinnen pflegebedürftig werden. Demenz ist der häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit, weshalb die Männergruppe genau dort ansetzt und das männliche Pflegeengagement im Fall einer Demenz unterstützt.

Ein wichtiger Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Pflege, wird Sorgearbeit über die gesamte Lebensspanne hinweg doch immer noch überwiegend von Frauen unentgeltlich geleistet. «Früher durfte ich nicht einmal einen Kamillentee machen und jetzt bin ich der Chef in der Küche», berichtet ein Teilnehmer.

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In der traditionellen Familie, die für die Lebensrealität der Generation der Männer um die 80 zutrifft, ist der Mann für die Erwerbsarbeit und die Frau für die Haus- und Sorgearbeit zuständig. Männer müssen, wenn ihre Partnerinnen durch den demenziellen Abbauprozess die Fähigkeit zur Haushaltsführung verlieren, diese Arbeiten übernehmen.

In diesem Kontext lernen Männer mit einem traditionellen Rollenverständnis erstmals kochen und putzen – worauf sie durchaus stolz sind und auch sein können. Überhaupt verstehen sie die Pflege als Arbeit, tun sich jedoch schwer, selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Männer fühlen sich aus Liebe und Dankbarkeit verpflichtet, so lange wie möglich ihre Gattin selbst zu umsorgen.

Die Inanspruchnahme von Hilfe fassen sie nicht selten als Schwäche auf. «Ein häufiger Anfängerfehler», wie ein Teilnehmer in der Gruppe über sich selbst bemerkt und dafür Zustimmung von den anderen erfährt.

In der Männergruppe lernen sie am Beispiel der anderen Teilnehmer, dass es keine Schande ist, Hilfe anzunehmen und dass Angebote wie Tageszentren, mobile Dienste und die Unterstützung durch die Familie und Freunde eine Bereicherung und Entlastung darstellen.

Besonders die Aufnahme in ein Pflegeheim wird von den Männern – wie im umgekehrten Fall von den Frauen – möglichst lange hinausgezögert. Oft kommt es erst dazu, wenn es zuhause gar nicht mehr geht. Oder wenn die Frau nach einem Sturz in ein Krankenhaus und von dort in ein Heim verlegt wird. Aber auch dann fragen sich die Männer: «Warum habe ich sie nicht länger zuhause gelassen?»; das schlechte Gewissen ist ihr ständiger Begleiter. So besuchen sie ihre Gattin anfänglich täglich und bekommen von ihnen dennoch zu hören, wieso sie nicht öfter kommen.

Zumeist wird es besser, wenn sie ihre Gattinnen nicht täglich besuchen und einsehen, dass sie auch Zeit für sich brauchen. Insgesamt gilt die Devise in der Männergruppe, dass die Pflege nur dann gut sein kann, wenn man auch ausreichend auf sich selbst aufpasst.

Auch andere hilfreiche Tipps werden geteilt, Hinweise zu Pflegegeld, Vorsorgevollmacht und Unterstützungsangeboten gegeben. «Die Frau hat immer recht» ist eine weitere Erkenntnis, die auf den Umstand verweist, dass die gewohnte Logik bei Demenzbetroffenen wenig hilft und nur zu Konflikten führt. Auf Fehler hinzuweisen schadet mehr, als dass es hilft, auch wenn es gut gemeint ist: «Meine Frau bricht jedes Mal in Tränen aus, wenn ich ihr etwas nicht zutraue – zum Beispiel den Faden in eine Nadel fädeln, obwohl sie Schneiderin war».

«Es kann nicht genug gestreichelt werden», erzählt ein Gruppenmitglied. Das tut er denn auch, wann immer er seine Gattin im Heim besucht, in dem sie sehr liebevoll gepflegt wird. Seine Frau sei glücklich dort, doch die Situation in den Heimen spitze sich zu.

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Der Personalmangel hat sich durch Corona weiter verschärft. Demenzstationen werden aufgelöst, Stationen zusammengelegt. Für zwischenmenschliche Beziehungen, die gerade für Menschen mit Demenz essenziell sind, bleibt kaum noch Zeit.

Die Demenz ist für Angehörige ein Abschied auf Raten – auch darüber wird gesprochen: «Den Menschen, der da war, den gibt es nicht mehr». Angehörigengruppen helfen bei der Verarbeitung der Trauer, die sich durch den langsamen Abschied ergibt.

Bislang werden Angehörigengruppen öffentlich nicht finanziert. Das ist kurzsichtig und beschämend.

Besonders wenn man bedenkt, dass die Arbeit der Angehörigen unentgeltlich erbracht wird und unser Pflegesystem erhält. Wir sollten die Situation für die Angehörigen so gut wie möglich gestalten und moderierte Angehörigengruppen fördern und ausbauen. Ihr Mehrwert ist enorm und die Investition verhältnismässig gering. Zudem wäre es ein Zeichen der Anerkennung, das die Leistung der Angehörigen würdigt.