Die Uhr, die sich nicht stellen lässt - demenzjournal.com

Schlafen und Gesundheit

Die Uhr, die sich nicht stellen lässt

Jedes Organ hat eine eigene innere Uhr, die je nach Tageszeit unterschiedlich tickt. Bild PD

Schuld an vielen Krankheiten ist unser moderner Lebensstil mit wenig Schlaf und viel künstlichem Licht, sagt der Nobelpreisträger Michael Rosbash. Dank ihm wissen wir, dass es nicht nur eine, sondern zig innere Uhren gibt.

Sie wehrt sich hartnäckig in uns und behält ihren Rhythmus bei – komme, was wolle. Die innere Uhr lässt uns nach einem Langstreckenflug hellwach sein oder partout nicht schlafen. Wegen ihr wälzen sich Schichtarbeiter nach einer anstrengenden Nachtschicht tagsüber unruhig im Bett.

Sie bestimmt, dass wir morgens wacher sind als abends, wann wir die schnellste Reaktionszeit haben, die höchste Körpertemperatur und den schnellsten Anstieg des Blutdrucks.

Welche Mechanismen hinter unserer inneren Uhr stecken, haben Generationen von Wissenschaftlern erforscht. Drei von ihnen – Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young – haben dafür im Jahr 2017 den Nobelpreis für Medizin erhalten (siehe unten, am Ende dieses Artikels).

Michael Rosbash.Bild PD

«Wir wissen jetzt, dass es nicht nur eine innere Uhr gibt, sondern tausende», sagt Hans-Günter Weess, Chef-Schlafmediziner am Pfalzklinikum im süddeutschen Klingenmünster. Die oberste innere Uhr sitzt im Gehirn.

Wie ein Maestro im Orchester dirigiert sie viele einzelne Unteruhren in unseren Zellen und lässt diese tagtäglich ein harmonisches Konzert spielen. 

«Bringt man es durcheinander, leidet die Lebensqualität enorm und man kann psychisch krank werden.»

Die innere Uhr sei ein zentraler Baustein des menschlichen Organismus, sagt Christian Baumann, leitender Schlafmediziner des Zürcher Universitätsspitals. 

«An sie sind elementare Prozesse gekoppelt wie der Temperaturhaushalt, Stoffwechselprozesse und das Herz-Kreislauf-System sowie die Ausschüttung von Kortisol und Wachstumshormonen.» Diese werden durch den Hell-Dunkel-Rhythmus tagaus, tagein getaktet.

Es gibt verschiedenen Chronotypen, was sich auch im täglichen Leben widerspiegelt: «So genannte Lerchen kommen schlechter mit Schichtarbeit zurecht als Eulen», erklärt Schlafmediziner Weess. 

«Für viele Spättypen ist der Schul- und Arbeitsbeginn zu früh. Die Folge sind Tagesschläfrigkeit, vermehrt Fehler im Strassenverkehr oder am Arbeitsplatz. Auch die Schulleistungen sind am frühen Morgen schlechter, weil Jugendliche ausgeprägte Eulen sind.» 

Bei der Behandlung von Schlafstörungen ist die Kenntnis des Chronotyps von zentraler Bedeutung.

«Hat jemand zum Beispiel Ein- oder Durchschlafprobleme, empfehle ich je nach Chronotyp eine andere Verhaltenstherapie.»

Jedes Organ hat eigene Uhren, die tageszeitlich verschieden ticken. So ist etwa die Bauchspeicheldrüse mit der Insulinproduktion zu ganz anderen Zeiten aktiv als das Fettgewebe, wenn es Fette speichert. Die «Unteruhren» tauschen sich untereinander und mit der «Oberuhr» im Gehirn aus und bringen sich in einen Gleichklang.

Hans-Günter Weess.Bild PD

«Unregelmässige Schlafenszeiten bringen dieses harmonische Spiel empfindlich durcheinander», sagt Weess. 

«Sie könnten zum Beispiel erklären, warum Schichtarbeiter oft übergewichtig sind oder warum manche Kinder nicht richtig wachsen, denn bei unregelmässigen Schlafenszeiten wird weniger Wachstumshormon ausgeschüttet.»

Mit Schuld an vielen Krankheiten könne der moderne Lebensstil sein, warnte Nobelpreisträger Rosbash kürzlich auf der Tagung in Lindau. 

«Im Dunkeln arbeitet die innere Uhr wie programmiert, sie arbeitet auch gut in einem regelmässigen Wechsel zwischen hell und dunkel», sagt er.

«Aber wenn wir wenig schlafen und uns ständig künstlichem Licht aussetzen – vor allem dem blauen Computerlicht – gerät die innere Uhr durcheinander, der Zyklus funktioniert nicht mehr richtig, und es kann zu diversen Veränderungen im Stoffwechsel kommen.»

Störungen der inneren Uhren scheinen auch das Risiko für psychische Krankheiten zu erhöhen. Eine der grössten Studien mit 91’105 Teilnehmern veröffentlichten kürzlich Forscher von der Universität Glasgow. Diejenigen, die während Ruhezeiten aktiv waren und/oder am Tage ruhten, erkrankten häufiger an Depressionen oder bipolaren Störungen, also an schweren chronischen Krankheiten mit manischen und depressiven Phasen.

«Es kann natürlich sein, dass Menschen mit Depressionen oder bipolarer Störung schlecht schlafen», sagt Robert Perneczky, Psychiater an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und am Imperial College in London. «Aber wir haben inzwischen immer mehr Hinweise, dass Störungen der inneren Uhr wirklich ursächlich psychische Krankheiten verursachen könnten.»

ARD-Beitrag zu Licht und Schlafrhythmus

Quelle ARD/You Tube

So haben Forscher zum Beispiel nachgewiesen, dass genetische Varianten des clock-Gens beim Menschen zu manisch-depressivem Verhalten führen können, und Medikamente gegen Depressionen oder Schizophrenie können gestörte Rhythmen wieder synchronisieren.

In der Glasgower Studie zeigten diejenigen mit gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus längere Reaktionszeiten – ein indirektes Mass für Funktion des Gehirns. «Wir sehen bei vielen Patienten mit gestörter Hirnfunktion – etwa Alzheimer – Störungen des Tag- und Nacht-Rhythmus», sagt Perneczky.

Typisch ist das Sundowning: Am Abend werden die Betroffenen unruhig, laufen umher, sind nervös und können nicht schlafen.

«Bei Alzheimer wird unter anderem auch das Nervengebiet im Hirn geschädigt, in dem sich die innere Uhr befindet – das könnte die Störung der zirkadianen Rhythmik erklären», sagt Perneczky.

Robert Perneczky.Bild PD

Die Erkenntnisse über die innere Uhr haben längst Einzug in sein Behandlungsspektrum gefunden: Tipps zum besseren Schlafen gehören bei ihm zur Standardtherapie, Schichtarbeitern rät er, entweder nachts oder tags zu arbeiten und nicht ständig im Wechsel.

Zusätzlichen Stress solle man vermeiden, weil dieser zusätzlich das Risiko für psychische Krankheiten erhöhe. «Hatte man selbst oder jemand in der Familie schon mal Depressionen oder andere psychische Krankheiten, ist das umso wichtiger», sagt der Psychiater.

Lichttherapie oder Schlafentzug kann bei Depressiven die inneren Uhren wieder in Einklang bringen, und beim Sundowning hilft, wenn die Betroffenen tagsüber körperlich aktiv sind, man sie geistig stimuliert und gegen Abend für ruhige Umgebung sorgt. «An die Politik sind unsere Erkenntnisse über die innere Uhr ein klares Signal», sagt Perneczky. «Durch weniger Schichtarbeit und Wohngebiete, in denen man dunkel und ruhig schlafen kann, liessen sich viele psychische Leiden vermeiden.»

Wie die innere Uhr funktioniert

Was den Rhythmus von Lebewesen bestimmt, beschäftigt Wissenschaftler schon lange: 1729 stellte der Französische Astronom Jean Jacques d’Ortous de Mairan eine Mimose ins Dunkle und beobachtete, dass die Pflanze trotz Dunkelheit ihre Blätter zur korrekten Tageszeit öffnete und schloss – die Mimose musste von selbst «wissen», wann Tag und wann Nacht war.

200 Jahre später fand der deutsche Pflanzenphysiologe ähnliche Hinweise bei Bohnenpflanzen. Doch erst Mitte der 1960er-Jahre begann sich das Konzept der inneren Uhr immer mehr durchzusetzen. Zu der Zeit begannen der US-amerikanische Molekularbiologe Seymour Benzer und sein Student Ronald Konopka Studien mit Fruchtfliegen, bei denen wegen Genveränderungen der zirkadiane Rhythmus gestört war: Die erste Fliegengruppe hatte einen unregelmässigen 24-Stunden-Zyklus, bei der zweiten dauerte er nur 19 Stunden, und bei der dritten 28.

Benzer fand heraus, dass alle drei Fliegengruppen Veränderungen im gleichen Gen hatten – dies wurde später period-Gen genannt. Mitte der 1980er-Jahre gelang es den US-Amerikanischen Forschern Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young, das period-Gen zu isolieren und selber herzustellen. Mit den Informationen des Gens wird ein Eiweiss hergestellt, was PER genannt wird.

Hall und Rosbash fanden heraus, dass die PER-Spiegel über einen Zeitraum von 24 Stunden schwanken, synchron mit dem zirkadianen Rhythmus. Hat eine Zelle genügend PER produziert, verhindert das Protein selbst, dass noch mehr PER hergestellt wird. So reguliert PER seine eigenen Konzentrationen in einem kontinuierlichen, zyklischen Rhythmus.

Aber wie gelangte das PER-Eiweiss in den Zellkern, wo sich das Gen befindet? Das gewährleistet ein Eiweiss mit Namen TIM, fand der dritte Preisträger Michael Young heraus. TIM wirkt wie ein Taxi: Bindet PER an TIM, können beide Eiweisse in den Zellkern gelangen, wo sie die Aktivität des period-Gens blockieren. Dass unsere innere Uhr genau 24 Stunden lang ist, gewährleisten andere Eiweisse mit Namen CLK, CYC und CRY, die in einem komplizierten Zusammenspiel den PER-Kreislauf fein regulieren und Einflüsse aus der Umwelt einbinden.

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