Es tut weh, wird aber nicht behandelt - demenzjournal.com

Schmerzen

Es tut weh, wird aber nicht behandelt

Menschen mit Demenz können uns oft nicht mehr mitteilen, dass sie Schmerzen haben. alzheimer.ch fragte den Arzt Andreas Stuck und den Betreuungsfachmann Peter Dolder nach speziellen Methoden und Behandlungen für Menschen mit Demenz.

Aus Sicht des Arztes

Eine Studie zeigte auf, dass Menschen mit Demenz, die unter Schmerzen leiden, weniger Schmerzmittel erhalten als Schmerzpatienten ohne Demenz. Weitere Studien nahmen sich dem Thema an und brachten ähnliche Resultate. «Dies deutet darauf hin, dass Schmerzen bei Menschen mit Demenz manchmal nicht adäquat behandelt werden», sagt Andreas Stuck.

Der Chefarzt der Geriatrischen Uniklinik am Inselspital in Bern nennt verschiedene Gründe dafür: «Zum einen beziehen leider manche Ärzte die Angehörigen bei der Abklärung nicht mit ein. Die Angehörigen können aber wichtige Informationen geben, etwa unter welchen anderen Erkrankungen der Demenzkranke leidet.

Dr. Andreas StuckBild Pascal Gugler

Zum anderen ist es leider immer noch so, dass oft nicht bemerkt wird, dass jemand eine beginnende Demenz hat. Dann geht natürlich auch unter, wenn der Betroffene wegen der Demenz nicht deutlich genug äussern kann, dass er Schmerzen hat.»

Die Art der Schmerzen unterscheiden sich laut Stuck nicht von jenen, unter denen Menschen ohne Demenz leiden. Jedoch seien Menschen mit Demenz anfällig, weil sie häufig sehr alt seien. «In dieser Altersgruppe treten besonders häufig Muskel- und Gelenkschmerzen auf», so Stuck.

«Es gibt noch viele andere mögliche Ursachen von Schmerzen, zum Beispiel Schmerzen durch Verdauungsprobleme oder Durchblutungsstörungen. Deshalb muss man genau schauen, woher die Schmerzen kommen – das ist meist der Schlüssel zur Therapie.»

Bevor Stuck Menschen mit Demenz gegen Schmerzen behandelt, macht er einen Plan: Welche Schmerzmittel sind zu verschreiben und welche nichtmedikamentösen Massnahmen sind angezeigt (zum Beispiel Physiotherapie)? Dann bespricht er die Behandlungen mit dem Patienten und wenn möglich mit den Angehörigen.

«Es ist enorm wichtig, dass man Angehörige in die Abklärung von Schmerzen und in die Behandlung mit einbezieht», sagt Stuck. «Meist lassen sich Schmerzen nicht in einer Konsultation abschliessend behandeln, das übernimmt der Hausarzt in einer längeren Betreuung.»

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Aus Sicht der Pflege

Peter Dolder arbeitet als Fachmann für die Betreuung von Menschen mit Demenz und diplomierter Gerontologe in der Sonnweid in Wetzikon. Er beobachtet seine Bewohner genau nach Hinweisen auf Schmerzen und hat auf Menschen mit Demenz zugeschnittene Kommunikationstechniken entwickelt.

alzheimer.ch: Eine in Slowenien durchgeführte Studie zeigte auf, dass viele Menschen mit Demenz unter Schmerzen leiden und nicht dagegen behandelt werden. Trifft dies auch für die Schweiz zu?

Peter Dolder: Ja, beim Thema Schmerzen gibt es keine Landesgrenzen. Auch hierzulande können die Betroffenen ihre Schmerzen nicht immer mit Worten äussern.

Im Spital oder anderen Institutionen werden Menschen mit Demenz aber regelmässig gefragt, ob sie Schmerzen haben.

Ja, aber nach einem Schema, das nicht für sie passt, weil sie es nicht verstehen. Die Schmerzen verwirren sie zusätzlich, deshalb können sie selten sagen, ob sie überhaupt Schmerzen haben. Sie können auch meist nicht genau sagen, was für Schmerzen das sind, also etwa stechend oder drückend, und schon gar nicht, ob sie schon früher solche Schmerzen hatten.

«Auf Menschen mit Demenz wird viel zu wenig eingegangen, sie werden zu wenig als Individuen wahrgenommen. Betreuer, Pfleger und Ärzte müssen den Betroffenen angemessen begegnen.»

Peter Dolder

Die Autoren der Studie sagen, dass Menschen mit Demenz deshalb aktiv untersucht werden müssten. Wäre das eine Massnahme?

Dies ist nur ein Teil – man muss sie vor allem aktiv beobachten.

Wie machen Sie das?

Wir begleiten und beobachten die Bewohner ständig. Fällt uns etwas auf, das nicht wie sonst ist, zum Beispiel dass der Betroffene unruhiger ist als sonst, apathisch wirkt, keinen Appetit hat oder seine Körperhaltung verändert ist, schreiben wir das in den Pflegebericht. In so einem Fall fragen wir dann den Patienten, ob ihn etwas stört oder behindert oder schmerzt.

Peter DolderBild PD

Als erstes untersuchen wir immer, ob die Bewohnerin oder der Bewohner an einem Harnwegsinfekt leidet. Harnswegsinfekte führen meist zu zusätzlicher Verwirrung. Ein anderes Beispiel: Lässt jemand beim Essen alles Harte liegen, fragen wir nicht einfach «Haben Sie Zahnschmerzen?», weil er diese Frage ziemlich sicher verneinen wird. Zeige ich dem Patienten während er isst auf den Mund und frage: «Tut es da weh?», zeigt er vielleicht auf die Zähne. Vielleicht aber auch nicht.

Wie fragen Sie dann weiter?

Ich beobachte, wie der Patient sein Joghurt isst. Geht das problemlos, hat er vermutlich Probleme mit den Zähnen. Klappt das nicht so gut, macht ihm vielleicht das Schlucken Mühe. Das müssen wir langsam gemeinsam herausfinden. 

Der Unterschied zum Frageschema ist, dass wir uns mehr Zeit nehmen müssen und vor allem individuell je nach Situation vorgehen. Im Team tauschen wir uns mindestens einmal im Tag über unsere Beobachtungen aus und versuchen herauszufinden, woher Unruhe, Apathie oder Appetitverlust kommen. Wir besprechen das dann mit den Ärzten.

Wie können sich Schmerzen bei Menschen mit Demenz äussern?

Dass die Betroffenen angespannt wirken, eine andere Körperhaltung einnehmen als sonst, vielleicht anders im Bett liegen, anders sitzen und gehen, unruhig oder auch apathisch sind oder schneller atmen. Bei manchen äussern sich Schmerzen durch Schlafstörungen, sie sind verwirrt, inkontinent oder fallen gar ins Delir.

Was passiert, wenn man die Schmerzen nicht erkennt und behandelt?

Die Demenz kann sich plötzlich stärker äussern, also dass die Betroffenen verwirrter oder schneller überfordert sind und geistig abbauen.

Was können Angehörige oder Pflegende tun?

Die Menschen gut beobachten und sich immer fragen, ob der Betroffene möglicherweise Schmerzen haben könnte. Am besten tauscht man sich als Angehöriger mit Betreuern, Pflegenden oder Ärzten aus, was ihr Eindruck ist. Denn Angehörige sehen den Betroffenen meist ständig, so dass sie nicht gut erkennen können, wenn sich etwas geändert hat.

Schmerzen bei Menschen mit Demenz zu erkennen und wirksam zu therapieren, ist schwierig und anspruchsvoll. Es erfordert gute Beobachtungsgabe, Reflexion, Dokumentation und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit. Daran müssen alle Beteiligten immer arbeiten: Angehörige, Betreuer, Ärzte und Pflegende.