Behörde beschenkt Aktionäre - demenzjournal.com

Aducanumab

Behörde beschenkt Aktionäre

Die Behandlung eines Patienten kostet jährlich 56'000 Dollar: Aducanumab wird zu einem Milliardengeschäft. Bild Shutterstock

Der Wirkstoff Aducanumab soll Alzheimer aufhalten oder gar verhindern. Obwohl dies wissenschaftlich nicht wirklich belegt ist, soll es nun in den USA zum Einsatz kommen. Dies freut vor allem die Aktionäre des Pharma-Konzerns Biogen.

Der Jubel der Alzheimer’s Association war gross: Kurz nachdem die US-Arzneimittelzulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) vor wenigen Tagen dem Mittel Aducanumab des Schweizer Pharmakonzerns Biogen grünes Licht gegeben hatte, feierte die weltgrösste Alzheimer-Organisation die Entscheidung als «historischen» Akt.

Erstmals habe die FDA ein Medikament zugelassen, mit dem man die Ursache der Alzheimer-Krankheit behandeln könne, nicht nur die Symptome. Indem man das Fortschreiten des Leides bremse, liesse sich mehr wertvolle Zeit für die Betroffenen und ihre Liebsten gewinnen.
 
Keine Frage. Millionen von Menschen sehnen sich nach wirksamen Medikamenten gegen Demenz. Kaum ein Leiden macht so viel Angst. Kaum eine Krankheit bringt auch für Angehörige so oft Überforderung, Ohnmacht und nicht zuletzt erhebliche finanzielle Belastungen mit sich.

Doch die Entscheidung der FDA ist ein Danaergeschenk. Ein Geschenk, das vielen nützt – nur nicht jenen, denen es helfen soll. Ein Geschenk, das die Herzen der Manager, Aktionäre und Verbündeten von Biogen höherschlagen lässt, denn eine Behandlung mit dem neuen Medikament soll jährlich 56’000 Dollar kosten – pro Patient!

Es ist eine Bankrotterklärung des Staates gegenüber den Finanzinteressen von Pharmafirmen und deren Lobbyisten.

Tatsächlich hat sich die FDA mit der Zulassung von Aducanumab als Büttel von Industrie und Lobbyorganisationen wie der Alzheimer’s Association entlarvt. Zentrale Aufgabe dieser Behörde müsste – theoretisch – der Schutz der öffentlichen Gesundheit in den USA sein.

Offiziell hat die FDA die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln zu kontrollieren. Bevor ein Medikament auf den Markt darf, muss es in gründlichen klinischen Studien nach strengen wissenschaftlichen Kriterien sorgfältig auf Wirkung und Nebenwirkungen geprüft werden. Nur was sich als sicher und nützlich erweist, darf zugelassen und legal in den USA vertrieben werden.

Neue Medikamente schnell auf den Markt

Die Realität sieht anders aus. Zwar galt die 1927 gegründete FDA noch bis Mitte der 1980er Jahre als äusserst kritisch und streng. Damals waren die Erinnerung an den Contergan-Skandal in den 1960er Jahren noch frisch und die wissenschaftlichen Anforderungen an die Nachweise der Hersteller für die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Arzneimittel hoch.

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Doch unter dem Druck der Industrie hat sich die FDA zunehmend geändert. Seither geht es vor allem darum, neue Medikamente schnell auf den Markt zu bringen. Dafür wurden die Zulassungsverfahren verkürzt und vereinfacht. Oft kommt dadurch erst Jahre nach der Markteinführung heraus, welche Schäden ein Mittel wirklich verursacht.

Bei Aducanumab hat die FDA den Boden sauberer wissenschaftlicher Prinzipien verlassen.

Denn aus medizinischer Sicht sprach nichts für und alles gegen eine Zulassung dieses Präparats. Zum einen kann von einer Behandlung der «biologischen Ursache» von Demenz kann nicht die Rede sei. Aducanumab zielt darauf ab, die Anhäufung von Amyloid-Klumpen im Gehirn aufzulösen. Diese sogenannten Plaques galten unter Alzheimer-Forschern lange Zeit als Hauptursache einer Demenz.

Doch diese Theorie ist längst widerlegt. Rund ein Drittel aller normal alternden, geistig gesunden Menschen weisen grosse Mengen dieser Eiweissablagerungen im Gehirn auf – ohne Anzeichen einer Demenz. Und umgekehrt.

Keine überzeugenden Belege

So ist es Biogen denn auch trotz wiederholter, jahrelanger klinischer Studien nicht gelungen, überzeugende Belege für die Wirksamkeit des Mittels zu liefern. Im November 2020 war die Mehrheit eines externen Gutachtergremiums der FDA zu dem Schluss gekommen, dass die vorgelegten Forschungsergebnisse keinen Beweis für die Wirksamkeit von Aducanumab bei der Behandlung der Alzheimerkrankheit liefern.

10 der 11 Gutachter sprachen sich daher gegen eine Zulassung des Mittels aus.

In aller Regel richtet sich die FDA nach dem Votum der Gutachter. Doch in diesem Fall entschied sich die Behörde anders. Ein erstaunlicher Vorgang. Denn nicht nur der Nutzen des Mittels ist fraglich. Aducanumab ruft auch beträchtliche Nebenwirkungen hervor.

Eine davon sind gefährliche Hirnschwellungen, die unerkannt zu Hirnblutungen führen können. Ausserdem treten unter der Behandlung mit dem Mittel gehäuft Verwirrtheit, Desorientiertheit und Delirium auf.

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All das, so scheint es, störte die FDA nicht. Sie liess das Mittel in einem beschleunigten Verfahren zu (Accelerated Approval Program). Dieses ermöglicht, ein Medikament auf der Grundlage von sogenannten Surrogatmarkern zuzulassen, wenn es für die jeweilige Krankheit bisher keine wirksame Behandlung gibt.

Ein solcher Surrogatmarker kann ein Blutwert, ein Röntgenbild oder ein anderer klinischer Wert sein, der auf einen medizinischen Nutzen hinweist. Einen Beweis dafür, dass ein Patient wirklich von einer Behandlung profitiert, liefern Surrogatmarker meist nicht.

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Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Ziemlich sicher dagegen ist, dass die Entscheidung der FDA ein Jackpot für den Pharmakonzern Biogen ist. Je Patient fallen bei einer Behandlung mit Aducanumab jährlich Kosten von 56.000 US-Dollar an. Allein in den USA, schätzen Analysten, könnte das Biogen einen Umsatz von 10 Milliarden US-Dollar bescheren. Pro Jahr, wohl gemerkt.

Kleine Fabrik mit hoher Wertschöpfung: In Luterbach bei Solothurn produziert Biogen das Medikament Aducanumab.Bild PD

Zwar hat die FDA die Zulassung an eine Bedingung geknüpft. In den nächsten Jahren muss Biogen den Beweis erbringen, dass das Mittel auch den klinischen Zustand der Patienten verbessert. Doch das kann mehrere Jahre, wenn nicht ein Jahrzehnt dauern.

Währenddessen kann Biogen an dem Präparat ja schon kräftig verdienen. Und nach zehn oder 15 Jahren gibt es ohnehin kaum noch etwas zu verlieren. Meist laufen in dieser Zeit die Patente ab – und ein anderer Hersteller kommt bereits mit dem nächsten Wundermittel auf dem Markt.

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Viel besser, als Milliarden für nutzlose Mittel zu verschwenden, wäre es, das Geld in sinnvolle Programme zur Prävention von Demenz zu stecken. Erst vor wenigen Monaten hat ein Bericht der besten Demenz-Forscher weltweit gezeigt: 40 Prozent aller Demenzfälle könnten verhindert oder zumindest deutlich hinausgezögert werden.

Und zwar frei von Nebenwirkungen und komplett kostenlos. Wer aufhört zu rauchen, für körperliche Bewegung und soziale Kontakte sorgt, wenig Alkohol trinkt und damit auch Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes vermeidet, hat beste Chancen, bis ins hohe Alter geistig fit zu bleiben.

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