Die Push-Meldungen kommen in immer kürzeren Abständen: «Bundesrat verschärft Massnahmen. Alle Läden, Restaurants und Bars geschlossen. Einreisen nicht mehr möglich. Zahl der Toten steigt.» Während die einen die Nachrichten halbwegs gelassen beiseite wischen, kriegen die anderen von solchen Meldungen Herzrasen.
Immer mehr schränkt Corona die Freiheit der Menschen ein. Was macht das mit der Psyche? Warum kommen die einen besser damit klar als die anderen? Hat das langfristige Folgen? Besonders belastend ist die derzeitige Situation für Menschen, die sich um Demenzkranke kümmern. Was ist zu tun?
Wir haben mit Birgit Kleim aus Zürich gesprochen. Sie ist Psychologin an der Universität Zürich und Vorsitzende der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT).
alzheimer.ch: Frau Kleim, unser gewohntes freies Leben wird immer mehr eingeschränkt. Was macht das mit unserer Psyche?
Birgit Kleim: Das ist individuell unterschiedlich. Psychisch flexiblen Menschen macht das weniger aus. Sie haben auch sonst im Leben kein Problem, mit spontanen Änderungen umzugehen. Ist zum Beispiel das Lieblingslokal ausgebucht oder das Kino voll, suchen die sich ganz pragmatisch eine anderes Lokal oder einen anderen Film.
Anders sind Menschen, die in ihrem Leben viel kontrollieren möchten. Für diese kann es sehr bedrohlich sein, die Kontrolle zu verlieren. Es geht aber vor allem auch um die Einschränkungen im sozialen Leben, die für die meisten Menschen einschneidend sind.
Warum ist das so schlimm?
Kontrolle über das eigene Leben bedeutet für viele Menschen Stabilität. Es gibt ihnen das Gefühl, alles im Griff zu haben. Es ist aber eher umgekehrt: Das Kontrollieren macht unfrei und man hat eben nicht alles im Griff. Das merken die Betroffenen jetzt. Hinzu kommt der Verlust der sozialen Kontrolle, wenn wichtige soziale Strukturen fehlen. Man trifft sich nicht mehr mit Freunden, nicht mehr auf der Arbeit, kann nicht mehr unter anderen Menschen sein. All dies kann sehr verunsichern.
Wie äussert sich das?
Bei vielen löst das Angst aus und verursacht ein Ohnmachtsgefühl. Das kann sich auch körperlich bemerkbar machen: Einige sind unruhig, spüren ihr Herz klopfen oder haben das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Das kann sogar Panikattacken auslösen. Manche fühlen sich einsam und niedergeschlagen, können nicht mehr richtig arbeiten und sich nicht konzentrieren.
Ist den Betroffenen bewusst, woran das liegt?
Viele Menschen merken erst in einer Ausnahmesituation wie jetzt, was für eine grosse Rolle die Kontrolle in ihrem Leben spielt. Aus Studien wissen wir, dass es eher Personen sind, die psychisch weniger widerstandsfähig sind, eher ängstlich, die dazu neigen, sich Sorgen zu machen oder zu grübeln.
Die jetzige Situation kann auch eine Chance sein, etwas zu ändern.
Wie geht das?
Indem man versucht sich klarzumachen: Ich kann an den Restriktionen nichts ändern, aber ich kann innerhalb der Situation frei entscheiden, was ich mache. Zum Beispiel Dinge zu tun, die man lange nicht gemacht hat: Einen dicken Roman lesen, Musik machen wie jetzt die Italiener oder einen Pullover stricken.
Umso wichtiger sind diese Strategien, wenn man in Quarantäne kommt. Auch hier gibt es aber einige Alternativen zu dem, was man sonst macht: Zum Beispiel Online Sprach- oder Fitnesskurse. Auch wenn um uns herum Angst und Panik herrschen, sollten wir optimistisch und kreativ sein.
Und wenn man trotzdem weiterhin Angst hat?
Es hilft, wenn man darüber mit seinen Freunden oder der Familie spricht. Das soziale Zusammenleben darf nicht komplett aufgegeben werden, denn das kann Ängste nur weiter fördern.
Man kann ja auch gut per Skype telefonieren.
Wichtig ist in dieser Situation, sich nicht gegenseitig mit seiner Angst anzustecken. Bereiten Freunde Panik, würde ich die Kontakte lieber mal blockieren und andere mehr nutzen, wenn ich merke, dass sie mir gut tun.
Haben Sie noch mehr Tipps?
Viele Menschen möchten alles mitbekommen, weil sie das Gefühl haben, dadurch alles kontrollieren zu können: Push-Meldungen aller einschlägiger Zeitungen sind eingestellt, sie lesen jede Stunde die Nachrichten und bekommen ständig Neuigkeiten von ihren Freunden.
Die ständige Informationsflut kann aber noch nervöser machen und es kommt zu einem Teufelskreis: Die Nachrichten steigern Angst und Unsicherheit, und man sucht noch mehr Informationen. Oft werden Nachrichten dann selektiv gelesen – so stechen die potentiell beunruhigenden Fakten noch mehr heraus.