alzheimer.ch: Herr Hasler, in Ihrem Buch «Die Darm-Hirn-Connection» berichten Sie ausführlich über Ihre eigenen Darmprobleme. Sie schreiben von Darmkrämpfen, Fürzen so stark wie Giftgasangriffe oder Stuhlgang so hart wie Lavastein. Musste das so detailliert sein?
Gregor Hasler: Ich wollte den Lesern vermitteln, dass ich ein doppelter Experte bin: Einerseits Psychiater und Forscher, andererseits litt ich selbst jahrelang unter Darmproblemen. Ich habe sie aber in den Griff bekommen.
Eigentlich weiss doch jeder, dass Probleme Bauchweh machen können. Warum braucht es ein ganzes Buch darüber?
Bisher haben wir den Darm nur als Verdauungsorgan und als lästige Alarmanlage für seelische Konflikte gesehen. Immer mehr Studien zeigen aber, dass der Darm entscheidend dazu beiträgt, ob wir krank werden.
Warum kommen die Forscher dem jetzt erst auf die Spur?
Uns fehlten die Techniken. Zum Beispiel können wir erst heute die Vielfalt der Bakterien und ihr Ökosystem in unserem Darm messen. Andererseits haben wir Ärzte alles rasch psychologisiert. Litt ein Patient unter Bauchschmerzen und fanden wir keine Ursache, haben wir sofort gesagt: Das ist psychisch. Heute wissen wir, dass die Zusammenhänge viel komplexer sind.
Forscher aus Baltimore haben bei Mäusen das Protein Alpha-Synuclein in die Darmwand gespritzt und damit Parkinson ausgelöst. Entsteht Parkinson im Darm?
Ein falsch gefaltetes Alpha-Synuclein soll für den Untergang der Nervenzellen im Hirn verantwortlich sein sollen. Die krank machenden Proteine wandern offenbar vom Darm über den Vagus-Nerv ins Gehirn. Für die Theorie spricht, dass Menschen, bei denen der Vagus wegen eines schweren Magengeschwürs operativ durchtrennt wurde, seltener an Parkinson erkrankten. Womöglich liegt es an einer gestörten Darmflora. Mäuse, deren Darmbakterien das Alpha-Synuclein falsch falten, entwickeln häufig Parkinsonähnliche Bewegungsstörungen. Auch bei anderen Hirnkrankheiten scheinen Darmbakterien eine Rolle zu spielen.
Zur Person
Gregor Hasler wurde 1968 in Luzern geboren, studierte in Zürich Medizin und forschte dann in den USA über den Einfluss von Stress auf die psychische und körperliche Gesundheit. Zurück in der Schweiz arbeitete er an den Unversitätsspitälern in Zürich und Bern und ist heute Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg.
Wie gesichert ist das?
Menschen mit Depressionen haben zum Beispiel einen anderen Bakterien-Mix im Darm als Gesunde. Überträgt man Darmbakterien von depressiven Menschen auf keimfreie Mäuse, versetzen sie die Tiere in einen depressionsartigen Zustand. Die Mäuse werden ängstlich, geben schnell auf und sind nicht so aktiv. Überträgt man dagegen Bakterien von gesunden Menschen, bleiben die Mäuse normal.
Auch bei Angsterkrankungen könnten die Bakterien eine Rolle spielen. Mäuse, die mit Milchsäurebakterien gefüttert wurden, waren weniger ängstlich und hatten im Hirn mehr Rezeptoren für den Botenstoff GABA. GABA ist wichtig, um das Hirn zu beruhigen. Mit meinem Team habe ich damals in den USA herausgefunden, dass depressive oder gestresste Patienten zu wenig GABA im Hirn haben und dass das Hirn von Menschen mit Panikstörungen ungenügend auf GABA anspricht, weil die Rezeptoren fehlen.