Können Medikamente eine Demenz verhindern?

Interview

Demenz verhindern?

Mikroskopische Aufnahme eines Alzheimer-Plaques. Bild Richard Dodel

Medikamente zur Therapie der Alzheimer-Krankheit haben bis heute nicht den erhofften Erfolg gebracht. Demenz-Experte Richard Dodel erzählt, was Forscher aus den Misserfolgen gelernt haben.

alzheimer.ch: Pfizer hat die Forschung an Alzheimer-Medikamenten eingestellt. Macht Sie das wütend?

Richard Dodel: Ich bin enttäuscht. Pfizer ist eines der weltweit grössten Unternehmen in der Pharmabranche und wenn so ein Riese die Forschung stoppt, ist das deprimierend.

Warum hat sich Pfizer so entschieden?

Der Firma ist möglicherweise das Risiko zu gross. Die Entwicklung eines neuen Medikamentes kostet mehrere 100 Millionen Franken, und die in Arzneimittelstudien geprüften Medikamente wirkten nicht so, wie man sich das erhofft hatte.

Richard Dodel ist Demenz-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Professor für Altersmedizin am Uniklinikum Essen.Bild PD

War es ein Fehler, dass sich die Forscher so auf die Eiweissablagerungen als Ziel für Medikamente konzentrierten?

Das weiss keiner. Vor 10 Jahren dachten wir, wenn wir die Ablagerungen, also die Plaques, beseitigen, werden wir die Erkrankung heilen. Das war ein Trugschluss. Trotzdem haben wir viel daraus gelernt.

Und zwar?

Die Plaques sind wahrscheinlich der Endzustand, deshalb müssen wir viel früher eingreifen. Zum Beispiel mit Wirkstoffen, die an den Sekretasen wirken. Sekretasen sind Enzyme, die den wesentlichen Bestandteil der Plaques – das beta-Amyloid – aus einem gröseren Eiweiss herausschneiden.

Die neuen Wirkstoffe sollen verhindern, dass beta-Amyloid überhaupt gebildet wird. Es gibt drei verschiedene Ansätze: Alpha-Sekretase-Aktivatoren und Beta- und Gamma-Sekretasehemmer.

Hat man eine Wirkung festgestellt?

Leider auch nicht so, wie erhofft. Mit einem Gamma-Sekretase-Hemmer verschlechterte sich die Kognition bei den Patienten und es traten häufiger Tumore auf – deshalb ist die Studie vorzeitig abgebrochen worden.

Und die anderen beiden?

Ein Alpha-Sekretase-Aktivator zeigte keinen Effekt und bei den Beta-Sekretase-Hemmern waren die ersten Studiendaten nicht so positiv, wie wir gehofft haben. Wir müssen aber erst noch die neuesten Auswertungen abwarten.

Sie forschen über Antikörper. Sind die vielversprechender?

Ich denke schon. Die Antikörper richten sich gezielt nur gegen die Alzheimer-Eiweisse. Die Sekretase-Hemmer interagieren noch mit anderen Stoffen im Körper, was eine Erklärung für die Nebenwirkungen sein kann.

Sie testen natürliche Antikörper. Was genau ist das?

Das sind körpereigene Stoffe, die bei jedem – also auch bei Ihnen und mir – die Alzheimer-Eiweisse beta-AmyloidAlpha-Synuclein oder Tau erkennen.

Ich habe mir gedacht: Es muss einen Sinn haben, dass jeder gesunde Mensch solche Antikörper hat.

Vielleicht funktionieren sie bei Alzheimer nicht so gut, die Eiweisse sammeln sich an und bilden irgendwann Plaques.

Wenn wir den Patienten die natürlichen Antikörper geben, könnten wir das vielleicht verhindern. Deshalb lasse ich die körpereigenen Antikörper im Labor herstellen und hoffe, dass daraus irgendwann ein Medikament wird.

Wie funktionieren diese Antikörper?

Entweder dringen sie ins Gehirn ein, binden das beta-Amyloid und bauen es ab. Oder die Antikörper sind so stark im Blut konzentriert, dass sie quasi das beta-Amyloid aus dem Hirn «absaugen».

Für die Diagnose Alzheimer kann man heute Plaques im Gehirn mit Positronen-Emissionstomographie abbilden oder die typischen Alzheimer-Eiweisse in der Hirnflüssigkeit nachweisen. Beides ist unangenehm. Forscher aus Japan und Australien haben nun einen neuen Test vorgestellt, den man im Blut machen kann. Ist das die Zukunft der Diagnose?

Die Ergebnisse sind interessant, aber der Test muss zuerst in weiteren Studien geprüft werden. Bis dieser zugelassen ist, kann es noch einige Jahre dauern.

Warum ist es Forschern bisher nicht gelungen, einen Bluttest zu entwickeln?

Aus dem Hirn gelangen nur winzige Mengen der Eiweisse ins Blut, deshalb konnte man sie mit bisherigen Techniken kaum nachweisen. Die Kollegen haben eine Technik verwendet, mit der sich auch diese winzigen Mengen nachweisen lassen.

Aber wie gesagt: Ob der Test überhaupt mal auf den Markt kommt, wissen wir noch nicht. Mich ärgert, wie über den Test berichtet wurde. Das klingt so, als sei der Test gleich morgen verfügbar. Mich rufen dann die verunsicherten Patienten an und fragen, wann es den Test gäbe.

Fast täglich wird über alle möglichen Massssnahmen berichtet, mit denen man sich vor Alzheimer schützen kann, etwa wenig Zucker, dafür Zimt und Curry, gute Mundhygiene, in die Sonne gehen oder Apfelsaft trinken. Kann man solche Meldungen ernst nehmen?

Als Laie hat man da echt ein Problem. Man muss die zugrunde liegenden Studien lesen, verstehen und vor allem einordnen können. Selbst ich als Experte kann das erst nach stundenlangem Lesen.

In vielen Studien werden nur wenige Patienten untersucht oder es sind Ergebnisse aus Tierversuchen – daraus lassen sich keine Empfehlungen ableiten. Trotzdem wird das leider oft als klare Empfehlung formuliert.

Und was hilft wirklich gegen Alzheimer?

Das wissen wir aus der grossen FINGER-Studie von 2015: Gesunde Ernährung, Bewegung, Hirntraining und Herz-Kreislauf-Krankheiten gut behandeln. Bei Leuten, die zwei Jahre lang so ein Programm machten, verbesserte sich die Hirnleistung.

Bei den Teilnehmern war aber die Hirnfunktion schon vor der Studie etwas eingeschränkt. Klappt das Programm auch bei Gesunden?

Das ist bisher nicht bewiesen, wir gehen aber davon aus. 

Was bedeutet gesunde Ernährung?

In der FINGER-Studie war das eine Form von mediterraner Diät: Viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, fettarme Milch- und Fleischprodukte sowie wenig Zucker. Zwei Portionen Fisch pro Woche und statt Butter Pflanzenmargarine oder Rapsöl.

Und das Fitness-Programm?

Ein- bis dreimal Mal wöchentlich ein individuell angepasstes Muskeltraining und zwei bis fünf Mal pro Woche Ausdauertraining. Dann gab es noch Gruppensitzungen und Computerprogramme für das Hirntraining. Ein Arzt kontrollierte regelmässig Blutdruck, Gewicht und Blutwerte.

Das sind eigentlich ganz einfache Massnahmen, die kaum etwas kosten. Und sie halten nicht nur das Hirn fit, sondern schützen auch vor anderen Erkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt.

Was heisst das für die Patienten?

Neue Medikamente

Das Geschäft mit der Hoffnung

Seit Jahren suchen Forscher und Pharmafirmen nach einem wirksamen Mittel gegen Alzheimer. Doch ein Hoffnungsträger nach dem anderen scheitert. Der US-Konzern Pfizer hat … weiterlesen

Zurück zu den vielen Meldungen, was alles vor Alzheimer schützen soll: Warum ist das so häufig ein Thema?

Erstens wird tatsächlich viel geforscht und dementsprechend oft werden neue Studien veröffentlicht. Zweitens haben sehr viele Menschen Alzheimer – Journalisten schreiben natürlich gerne über Krankheiten, die häufig vorkommen.

Was ist die absurdeste Präventionsmethode, von der Sie je gelesen haben?

Absurd? Ich finde eigentlich alle interessant und beachtenswert. Man muss halt die Spreu vom Weizen trennen.

Wie soll das gehen?

Man muss sich die Studien jeweils genau anschauen. Nehmen wir das Beispiel mit dem Kokosöl, das angeblich vor Alzheimer schützen soll. Nachgewiesen ist das aber nicht. Es ist die Beschreibung einer Ärztin, deren Mann regelmässig Kokosöl nahm und mit der Zeit ein Zifferblatt besser zeichnen konnte.

Das sagt aber überhaupt noch nichts aus. Dass es dem Mann besser ging, könnte auch andere Gründe haben. Zum Beispiel eine natürliche Schwankung im Alzheimer-Verlauf, dass er gleichzeitig Medikamente bekommen hat oder dass sich Angehörige und Ärzte intensiver mit ihm auseinandergesetzt und ihn beachtet haben. Vereinsamung kann sich auf eine Demenz sehr negativ auswirken.

Kokosöl schadet ja nicht, das kann man doch ruhig ausprobieren?

Ja. Aber bei anderen Massnahmen wäre ich vorsichtig. Man weiss als Laie nie, ob etwas nicht doch schaden könnte. Deshalb würde ich immer erst den Hausarzt fragen und wenn der das nicht beurteilen kann, würde ich eine der Gedächtnis-Ambulanzen kontaktieren – die Kollegen dort helfen Ihnen sicher gerne weiter. Ich bekomme jede Woche fünf bis zehn Anfragen. Manchmal bin ich schon erstaunt darüber, wie gutgläubig manche Menschen sind.

Was stört Sie daran?

Die Leute geben viel Geld aus und machen sich grosse Hoffnungen. Und ich muss ihnen dann leider sagen, dass wir nicht genügend Daten haben, die eine Einnahme oder Anwendung rechtfertigen würden.

Haben Sie Angst vor einer Demenz?

Ja, das sage ich ganz offen. Neulich sah ich Werbung von der Krebsstiftung. Eine junge Frau ohne Haare sagte «Ich habe Krebs, aber ich bleibe ich selbst.» Bei Alzheimer ist das anders: Man bleibt nicht man selbst, man verliert seine Persönlichkeit für sich und seine Angehörigen. Das finde ich so furchtbar.

Wie kommen Sie mit Ihrer Angst klar?

Ich forsche und hoffe, dass wir in einigen Jahren den Ausbruch von Alzheimer hinauszögern können. Das will ich unbedingt erreichen, bevor ich irgendwann in Rente gehe.

Vielen Dank für das Gespräch.