Professor Hasler, die Diagnose Krebs ist für jeden ein Schock. Wie nehmen das Menschen mit Demenz auf?
Gregor Hasler: Das hängt vom Stadium ab. Ist die Demenz schon weit fortgeschritten, vergisst der Betroffene die Diagnose meist rasch wieder. Menschen mit milder Demenz verstehen aber sehr wohl, was Krebs bedeutet, und können ziemlich emotional reagieren.
Weinen sie einfach los?
Sie weinen oder werden wütend. Ich erinnere mich an einen 80-Jährigen, der wegen Problemen beim Wasserlösen mit seiner Frau zum Urologen ging. Der Arzt fand ein kleines Prostatakarzinom. (Mit einem Prostatakrebs haben Männer oft noch eine ganz normale Lebenserwartung, wenn der Tumor regelmässig kontrolliert wird.) Der Mann fing heftig an zu weinen und schimpfte gleichzeitig los. Er sagte, der Arzt habe die Diagnose verschlampt, deshalb müsse er bald sterben.
Es ist doch normal, dass man nach einer Krebsdiagnose emotional reagiert.
Ja, aber nicht so übertrieben stark. Auch die Ehefrau war ganz überrascht und hat dem Urologen gesagt, es sei merkwürdig, dass ihr Mann so reagiere. Erst später hat sich herausgestellt, dass der Mann unter einer beginnenden Demenz litt.
Zur Person
Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist ordentlicher Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg in der Schweiz, Chefarzt und Leiter der psychiatrischen Forschungsabteilung des Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind neurowissenschaftliche Psychiatrie, bio-psycho-soziale Interaktionen, Stress, Depression und Essstörungen. Haslers vielfältige wissenschaftliche Publikationen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Das muss ein Schock gewesen sein: Der Ehemann hat nicht nur Krebs, sondern auch eine Demenz. Wie kommt man mit so einer Situation klar?
Die Frau war natürlich schockiert, aber auch erleichtert. Ihr Mann hatte in letzter Zeit öfter mit ihr geschimpft und ihr Vorwürfe gemacht, der Alltag sei immer schwieriger geworden. Als ich ihr erklärte, dass diese Symptome durch die Demenz verursacht wurden, hatte sie mehr Verständnis für ihn.
Wie erklären Sie einem Menschen mit Demenz, dass er Krebs hat und was das für ihn bedeutet?
Wie einer gesunden Person. Vielleicht etwas langsamer und einfacher, aber im Prinzip identisch. Ich versuche herauszufinden, ob der Betroffene und seine Angehörigen mich wirklich verstehen. Wenn nicht, erkläre ich es mit anderen Worten.