Was bringt eine Hirn-Untersuchung? - demenzjournal.com

Früherkennung

Was bringt eine Hirn-Untersuchung?

Bis heute gibt es keine einzige Methode, mit der sich Alzheimer sicher nachweisen oder von anderen Demenzursachen abgrenzen lässt. Bild PD

Das Prinzip klingt überzeugend: Je früher man erste Anzeichen einer Krankheit entdeckt, desto größer sind die Chancen für eine erfolgreiche Therapie. Glaubt man Berichten in den Medien, gilt das nicht nur für Krebs, sondern auch für die Alzheimer-Krankheit.

Angeblich beginnt die rätselhafte Erkrankung ihr zerstörerisches Werk schon lange, bevor erste Krankheitsanzeichen wie Vergesslichkeit oder Verwirrtheit erkennbar sind. 

Was also liegt näher, als alle nur denkbaren Möglichkeiten zu nutzen, den fatalen Alzheimer-Prozess so früh wie möglich zu erkennen und dem Schicksal damit ein Schnippchen zu schlagen? Die Chancen, so scheint es, sind heute so gross wie nie.

Arztpraxen und Kliniken bieten seit einigen Jahren spezielle Untersuchungen des Gehirns per Magnetresonanztomografie (MRT) an, die eine Früherkennung von Alzheimer anhand bestimmter Veränderungen der Grösse und Form des Gehirns schon Jahre vor Ausbruch der ersten Symptome ermöglichen sollen. Zielgruppe sind beschwerdefreie, aber besorgte und vor allem zahlungskräftige Menschen.

Der Nutzen eines solchen «Brain-Checks» liegt nach Ansicht der Anbieter auf der Hand. Alzheimer könne heute zwar noch nicht geheilt werden, teilen zum Beispiel die Betreiber einer Münchner Radiologie-Praxis im Internet mit.

Werde die Krankheit jedoch in einer Frühphase entdeckt, könnten «symptomfreie Zeiten verlängert, Symptome durch rechtzeitige Therapien effektiv gelindert und das Fortschreiten der Erkrankung verzögert werden».

Eine Untersuchung per MRT habe zudem deutliche Vorteile gegenüber allen anderen verfügbaren Tests, heisst es dort weiter. Psychologische Verfahren würden im Allgemeinen seitens der Patienten nur eine geringe Akzeptanz finden. Mit ihrem Prüfungscharakter würden sie «die Schwächen schonungslos aufdecken» und deshalb oft von vornherein abgelehnt.

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Andere Methoden wie eine Analyse von Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal (Liquordiagnostik) seien zeitaufwändig und mit Risiken und Gewebeverletzungen oder aber – wie im Fall von bildgebenden Verfahren wie PET/SPECT – mit der Gabe von radioaktiven Substanzen verbunden.

Die computergestützte Messung des Hirnvolumens dagegen erfolge ohne schmerzhafte Injektion, ohne Kontrastmittel und sei rasch durchführbar. Zudem wecke die Untersuchung keine Schwellenängste, betonen die Mediziner.

Zum Komfort der Kunden führe man die Brain Check MRT am offenen «MRT Panorama» durch. Sprich: Keine enge Röhre, in der man minutenlang ruhig liegen muss und ziemlich leicht Platzangst bekommt, sondern ausreichend Bewegungsfreiheit, um die Prozedur entspannt über sich ergehen zu lassen.

Prominente als «Vorbilder»

Ähnliche Aussagen finden sich auch auf den Webseiten anderer Anbieter, die zusätzlich die wachsende Bedrohung betonen. Alzheimer könne jeden treffen, «sogar die Stärksten und Erfolgreichsten», warnt eine Praxis namens Institut für Bildgebende Diagnostik in Offenbach am Main.

Margret Thatcher, Ronald Reagan und Gunter Sachs – all diese Prominenten seien der beste Beleg dafür. Und: Die Liste könne «unendlich weitergeführt werden».

Doch bei rechtzeitiger Diagnose, versichern die Betreiber der Offenbacher Praxis, lasse sich die Erkrankung erfolgreich behandeln oder zumindest verzögern. Die Untersuchung per MRT sei für den Patienten nicht nur bequem und schonend, sondern «ermögliche den Betroffenen auch den Zugang zu effektiven Therapiemöglichkeiten».

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Die Angebote zum Hirn-Check-up per MRT richten sich vor allem an betuchte Kunden. Je nach Anbieter fallen pro einmalige Untersuchung mehrere Hundert, in einigen Fällen sogar mehr als 1.000 Euro an. Das Verfahren ist nicht als Kassenleistung anerkannt. Man muss es aus eigener Tasche zahlen. Empfohlen wird teilweise, die Analyse nach einigen Jahren erneut vornehmen lassen.

Doch nutzen solche Tests tatsächlich den Untersuchten? Die Antwort lautet: eindeutig nein.

Denn zum einen existiert bis heute kein einziges Medikament, das den Ausbruch oder das Fortschreiten einer Alzheimer-Demenz aufhalten, geschweige denn heilen kann.

Das geht unter anderem aus der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPN) hervor. Sie gilt als Kompendium des besten verfügbaren Wissens zum Thema und dient als Handlungsempfehlung für Ärzte, die Demenzkranke betreuen.

Die deutsche Bundesärztekammer kommt in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme zu prädiktiven Alzheimer-Tests zum gleichen Schluss.

Wirksame Massnahmen zur Vorbeugung, Verlangsamung oder Heilung der Alzheimer-Krankheit, stellten die Fachleute fest, gebe es nicht.

Zum anderen sind die Hirn-Check-ups selbst höchst umstritten. Der Grund: Bis heute gibt es keine einzige Methode, mit der sich Alzheimer sicher nachweisen oder von anderen Demenzursachen abgrenzen lässt – und zwar selbst dann nicht, wenn ein Mensch bereits schwer demenzkrank ist. Wie aber will ein Arzt eine Krankheit im Voraus erkennen, wenn er sie nicht einmal nachweisen kann, nachdem sie bereits ausgebrochen ist?

«Keine Vorhersage möglich»

Tatsächlich kam der sogenannte IGeL-Monitor, eine Bewertungsplattform des Medizinischen Diensts der Krankenkassen, vor einigen Jahren zu dem Schluss, dass MRT-Untersuchungen zur Alzheimer-Früherkennung überhaupt nicht aussagekräftig sind. «Es lässt sich bei einem einzelnen Menschen nicht vorhersagen, ob und wann er eine Demenz entwickeln wird», schreiben die Experten.

Für Jürgen Windeler, den Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, sind Aussagen wie die der Anbieter des Brain Checks daher «Fehlinformationen, mit denen falsche Erwartungen geweckt werden». Aus ärztlicher Sicht sei derlei Irreführung unvertretbar, so der Spezialist für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie.

Hier würden mit menschenverachtender Dreistigkeit und wissenschaftlichem Unsinn Ängste geschürt und Geschäfte gemacht. Strafbar machen sich die Anbieter fragwürdiger Tests dennoch nicht. Bislang hindert niemand Mediziner daran, unsinnige und irreführende Tests in ihren Praxen und Kliniken einzusetzen und anzubieten.

Verunsicherung als Nebenwirkung

Geldschneiderei, aber letztlich harmlos? Mitnichten. Denn auch ein Test, der nichts taugt, kann einen Fehlalarm liefern – also eine Krankheit anzeigen, wo keine ist. Die Folgen lassen sich nur schlecht messen: Ängste, schlaflose Nächte, eine Odyssee von Untersuchungen und ein Krankheitsverdacht, den man vielleicht nie mehr loswird.

Fest steht nur, manch einer hat nach der Diagnose Alzheimer den Freitod gewählt. Für den ehemaligen Playboy Gunter Sachs war allein schon der Gedanke, an Alzheimer zu leiden, unerträglich. Er nahm sich deshalb das Leben – weil er glaubte, daran erkrankt zu sein, obwohl er nicht ansatzweise dement war.

Wer wirklich für den Fall der Pflegebedürftigkeit vorsorgen will, kann das sehr viel sinnvoller tun, sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich und organisatorisch.

Das empfiehlt sich ohnehin, und zwar auch für junge, gesunde Personen – denn jeder kann ganz unerwartet zum Pflegefall werden.

Schliesslich kann jeder von einem Tag auf den anderen ausser Gefecht gesetzt, geistig umnachtet und zum Pflegefall werden. Zum Beispiel durch einen Verkehrsunfall mit schweren Schädelverletzungen oder einen Gehirnschlag mit anschliessender Bewusstlosigkeit. Dann muss eine andere Person, etwa ein Angehöriger oder ein eingesetzter Betreuer, den Alltag organisieren, finanzielle Angelegenheiten regeln und die anstehenden Entscheidungen treffen.

Um dann Schwierigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, rechtlich vorzusorgen, und zwar mit einer sogenannten Vorsorgevollmacht, einer Betreuungsverfügung und einer Patientenverfügung. Je früher Sie festlegen, wer für Sie im Fall des Falles handeln soll, wenn Sie selbst es nicht mehr können, desto besser.


Cornelia Stolze, «Verdacht Demenz», Verlag Herder 2016