Innerhalb eines Jahres erkranken 7 von 100 Menschen an einer Depression. «Bei Senioren sind es vermutlich mehr, denn die Krankheit wird oft übersehen», sagt Gabriela Stoppe am Rand des Europäischen Psychiatrie-Kongress EPA in Nizza.

Die Professorin leitet die Praxis MentAge in Basel, die sich auf die Behandlung älterer Menschen spezialisiert. «Das liegt daran, dass ältere Menschen häufig chronische Krankheiten haben, die ebenfalls traurig machen können, und der Arzt vergisst dann, nach einer Depression zu suchen.»

Forscher haben herausgefunden, dass ältere Menschen eher eine Depression bekommen, wenn sie:

  • unter Schlafstörungen leiden
  • eine chronische Krankheit haben
  • eine Frau sind
  • früher bereits einmal depressiv waren
  • einen Verlust erlebt haben, etwa weil der Partner gestorben ist

Kognitive Einschränkungen können ebenfalls eine Rolle spielen, wie auch das allein leben oder neu aufgetretene Krankheiten, etwa Krebs oder der Verlust des Augenlichtes.

«Es ist wichtig, eine nachvollziehbare Trauer – etwa, weil der Partner gestorben ist – von einer Depression zu unterscheiden»

Gabriela Stoppe

Es sei völlig normal, dass man unglaublich traurig ist, wenn der Partner stirbt oder auch ein Haustier, mit dem man sein Leben verbracht hat. Aber die Trauer gehe mit Gefühlen einher, während die Depression die Gefühle dämpfe und lähme.

Chronische Krankheiten können depressiv machen

Nach einem Schlaganfall bekommen bis zu 60 Prozent der Betroffenen eine Depression. Als Folge erholen sie sich weniger gut vom Schlaganfall, müssen länger im Spital bleiben, öfter ins Pflegeheim umziehen und haben generell ein höheres Risiko zu sterben als Schlaganfall-Patienten ohne Depression.

Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.Bild G.Stoppe

Auch Menschen mit Diabetes bekommen öfter Depressionen, und viele von ihnen haben wiederkehrende depressive Schübe. Leidet man unter einer Depression, erhöht sich andererseits das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Parkinson und Alzheimer; die Betroffenen leiden öfter unter chronischen Schmerzen oder haben Angstzustände.

Besteht der Verdacht, ein Senior könne eine Depression haben, versucht sich Stoppe ein Bild über sein soziales Netzwerk zu machen.

«Manche haben eine grosse Familie, fühlen sich aber trotzdem einsam und allein», sagt sie. «Depressive pflegen typischerweise ihre sozialen Beziehungen nicht mehr, nehmen das Telefon nicht mehr ab oder verabreden sich nicht mehr.»

Hellhörig wird sie auch, wenn ein Patient erzählt, er habe finanzielle Probleme, weil die Rente nicht ausreiche oder gerade ein lieber Angehöriger gestorben sei.

«Altersarmut und Verlusterfahrungen spielen eine Rolle für die psychische Gesundheit, vor allem wenn es plötzlich und unvorhersehbar kommt.»

Depressionen äussern sich bei älteren Menschen anders als bei jüngeren. So haben die Betroffenen seltener das Gefühl, sie seien niedergeschlagen oder traurig, sondern haben öfter körperliche Beschwerden, etwa Schwindel, Schmerzen oder Magen-Darm-Probleme. Manche sind reizbarer als früher oder aggressiv – vor allem Männer.

Depressive ziehen sich von ihren Mitmenschen zurück und interessieren sich nicht mehr für Dinge, die ihnen früher Spass gemacht haben. «Leider denken immer noch viele, so ein Verhalten sei im Alter normal», sagt Stoppe. «Aber ein gesunder Senior ist lebendig und interessiert an seiner Umgebung.» Genau lässt sie sich vom Patienten erklären, was für Medikamente er nimmt, denn auch diese können eine Depression auslösen.

Um eine Depression festzustellen, kann es helfen, wenn der Patient einen standardisierten Fragebogen ausfüllt, entweder den HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale)  oder die geriatrische Depressions-Skala GDS. Zusammen mit der Untersuchung und der Befragung von Kontaktpersonen stellt die Psychiaterin dann die Diagnose.

Nur wenige Therapieangebote

Behandelt wird wie bei Jüngeren mit Psychotherapie und/oder Medikamenten. «Das Antidepressivum muss man sorgfältig auswählen», sagt Stoppe. «Denn ältere Menschen nehmen oft schon diverse andere Medikamente ein und es kann zu gefährlichen Wechselwirkungen kommen

Als Form der Psychotherapie ist die kognitive Verhaltenstherapie am besten untersucht. Es mangelt überall an einem Angebot an Psychotherapien für ältere Menschen, sagt Stoppe. «Dabei wissen wir doch, dass sich das Gehirn auch im Alter noch verändern kann. Mich macht es immer sehr froh zu sehen, wenn ein Senior seine Depression überwindet.»