Plädoyer für einen jungen Beruf - demenzjournal.com

Zwei Fachberufe im Vergleich

Plädoyer für einen jungen Beruf

Hat die Langzeitpflege eine geringere gesellschaftliche Anerkennung als die Pflege im Akutbereich? Bild Uli Reinhardt

Neben der Berufslehre Fachperson Gesundheit (FaGe) gibt es eine zweite Möglichkeit, sich für die Arbeit in der Langzeitpflege zu qualifizieren – die Lehre zur Fachperson Betreuung, Fachrichtung Betagtenbetreuung (FaBe).

Im vorliegenden Aufsatz wird versucht, die heutige Situation dieses jungen Berufes aus der subjektiven Sicht einer Institution, welche FaBe ausbildet und auch anstellt, zu beschreiben und den möglichen Einsatz dieser Berufspersonen in der Pflege und Betreuung von Menschen mit (und ohne) Demenz zu diskutieren.

Die Berufslehre FaBe wird in der Schweiz seit 2006 in ihrer heutigen Form angeboten. Sie ist die Weiterentwicklung der «Sozialen Lehre», welche im Jahr 2001 als Antwort des Sozialwesens auf die geforderte Integration seiner Berufsausbildungen in das gesamtschweizerische Bildungssystem startete.

Diese wiederum gründete in bestehenden, altrechtlichen Bildungsgängen in den Bereichen Kinder, Behinderte und Betagte und führte im generalistischen Modell zum Berufstitel «Sozialagogin» und im aufgabenorientierten Modell zum Titel «Betagtenbetreuerin», beide mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ).

Im Vergleich zur FaGe, welche sozusagen «erfunden» wurde, um ab 2002/03 eine Lücke zwischen der obligatorischen Schulzeit und einer Ausbildung im Gesundheitswesen auf Tertiärstufe zu schliessen entwickelte sich die ursprüngliche FaBe – die Betagtenbetreuerin SODK – aus einem echten Bedürfnis der Institutionen heraus und hat mittlerweile eine weit über 20-jährige Berufsgeschichte hinter sich. 

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Ein Blick in die Bildungsverordnungen der beiden Berufe zeigt viele Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede. Beide Ausbildungen dauern in der regulären Form drei Jahre, haben einen ähnlich hohen Berufschulanteil (FaBe 1560 bis 1640 Stunden, FaGe 1600 Stunden) und führen zu einem EFZ. Die Anzahl der überbetrieblichen Kurstage liegt bei der FaBe bei 20, bei der FaGe bei 34.

Im Berufsbild sind bei der FaBe wie auch der FaGe Aufgaben wie «Betreuen», «Begleiten» und «Unterstützen» aufgeführt, dies jeweils «bedürfnisorientiert». Weiterhin führen beide Fachpersonen ihre Aufgaben «im Rahmen ihrer Kompetenzen selbständig» aus.

Über diese gemeinsamen Aufgaben hinaus, sind bei der FaGe noch medizinaltechnische, administrative und logistische Aufgaben genannt. Diese sind bei der FaBe nicht explizit im Berufsbild sondern erst im differenzierteren Bildungsplan aufgeführt. 

Aus einem pragmatischen Blickwinkel heraus betrachtet sind die beiden Berufsausbildungen sehr ähnlich – sie haben zu grossen Teilen übereinstimmende Aufgaben und führen in der gleichen Zeit mit gleichem Berufsschulanteil zum gleichen Bildungsniveau.

Auf Seiten der FaGe stechen jedoch einige wenige pflegetechnische Verrichtungen (wie z.B. venöse Blutentnahme, intramuskuläre Injektionen) hervor.

Diese spiegeln die stärkere Ausrichtung des Berufes auf den Gesundheitsbereich und damit die diagnostischen und therapeutischen Massnahmen wieder.  Demgegenüber ist im Bildungsplan der FaBe eine stärkere Ausrichtung auf Themen rund um das Alter erkennbar und ihr wird in Bezug auf die Planung von Betreuungsmassnahmen und die Entgegennahme von Verordnungen grössere Kompetenz zugebilligt. 

Das heutige Bild der FaBe

Aufgrund des aufgezeigten Vergleichs könnte man meinen, der FaBe käme in der Berufsbildung im Bereich Langzeitpflege eine ähnliche Bedeutung zu wie der FaGe – beide Ausbildungen dauern gleich lange, führen auf die gleiche Bildungsstufe und befähigen mit überwiegend ähnlichen Inhalten zur kompetenten Aufgabenerfüllung in der Pflege und Betreuung betagter Menschen. Dem ist jedoch anscheinend nicht so. 

Warum sonst würden dann in den Institutionen der Langzeitpflege viel mehr FaGes als FaBes ausgebildet? (Lehrabschlüsse Kanton ZH 2013: ca. 90 FaBe, ca. 220 FaGe)

Warum sonst gäbe es dann einige Kantone, die für die FaBe, Fachrichtung Betagtenbetreuung, keine eigenes Berufsschulangebot organisieren  

Warum sonst käme es dann in den letzten Jahren zu Äusserungen wie: «Die FaGe-Ausbildung ist schwieriger als die FaBe», «Wir bilden keine FaBe aus, wir haben ja schon die FaGe», «Wenn ich keine Stelle als FaGe finde, dann werde ich halt FaBe», «Lerne ja nicht FaBe, die FaGe ist viel besser», «kann man sich eigentlich nach der FaBe zur FaGe weiterbilden?».

Warum sonst würde dann die FaBe in Artikeln der Fachzeitschrift CURAVIVA (2010) und NOVAcura (2013), die sich mit der Zusammenarbeit der verschiedenen Berufspersonen in der Langzeitpflege beschäftigen, einfach «totgeschwiegen»?

Warum sonst würde eine SRK-Publikation (2012) dann von «weniger qualifiziertem Betreuungs- und Assistenzpersonal» reden?

Aus meiner Sicht sind diese Phänomene Anzeichen für ein geringes Ansehen des Berufs FaBe. Dies lässt sich sachlich mit den Berufsinhalten kaum erklären. 

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Womit lässt es sich sonst erklären?

Vielleicht mit der geringeren gesellschaftlichen Anerkennung der Langzeitpflege gegenüber dem Akutbereich? Färbt diese auch auf die beiden Berufe ab? Die FaBe als Beruf ausschliesslich für den Langzeitbereich kann dementsprechend nicht so viel wert sein wie die FaGe, welche den Gesundheitsberufen und damit vordergründig dem Akutbereich zugeordnet wird.

Vielleicht hat es mit der heute leider immer noch üblichen Unterscheidung unserer Aufgaben in «Pflege» (hoher fachlicher Anspruch, traditionelle Nähe zu Medizin und Naturwissenschaft – hohes Ansehen) und «Betreuung» (kann eigentlich jeder, da muss man nicht viel wissen – geringes Ansehen) zu tun?

Die FaGe, die aus dem Gesundheitswesen erwachsen ist und in ihrem Berufsbild schon die Begriffe «Pflege» und «Medizinaltechnik» trägt, wird vordergründig dem Bereich Pflege zugeordnet, während die FaBe weniger pflegetechnische Verrichtungen erlernt und aufgrund ihres Berufstitels offensichtlich eindeutig für den Bereich Betreuung zuständig ist.

Vielleicht lässt es sich mit der politischen Zuständigkeit erklären? Die FaGe als Beruf des Gesundheitswesens liegt sozusagen in kantonalen Händen – mit den entsprechenden Ressourcen zur Berufsinformation und Imageförderung. Diese konzentrierte Verantwortung ist bei der FaBe nicht zu erkennen. Da die Langzeitpflege zu den Aufgabenbereichen der Gemeinden gehört, sind hier die Interessen vielfältiger und das Bewusstsein für berufspolitische Massnahmen geringer. 

Oder gründet das geringere Ansehen doch in den Berufsinhalten? Genau in dem Aufgabenbereich, in welchem klar zwischen «erlaubt» und «nicht erlaubt» abgegrenzt werden kann, hat die FaGe mehr Kompetenzen. Sie darf aufgrund ihrer Ausbildung mehr pflegetechnische Verrichtungen ausführen als die FaBe. Ist es letztlich so einfach? 

Der Einsatz in der Praxis

Die stationäre Pflege und Betreuung von Menschen mit (und ohne) Demenz ist ein komplexes Gebilde, in welchem die Mitarbeitenden einen wichtigen, wahrscheinlich sogar den wichtigsten Teil ausmachen. Dazu einige grundlegende Gedanken. 

1. Pflege und Betreuung müssen als Ganzes gesehen werden

Pflege ist auch Betreuung, Betreuung ist auch Pflege. Aus einer ganzheitlichen Sicht müssen wir die Aufgaben, welche heute diesen beiden Bereichen zugeordnet werden, als zusammengehörende Elemente der Lebenswelt der betreuten Person betrachten. Diese gehen ineinander über und können nicht losgelöst von einander betrachtet werden. In diesem Sinn hat die Unterstützung bei Körperpflege und der Mobilisation immer auch etwas mit persönlichem Kontakt, Wohlbefinden und Abwechslung im Tagesablauf zu tun.

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Auch das gemeinsame Spielen oder Spazierengehen kann als Unterstützung einer ATL gesehen werden. Dies umso mehr, je stärker wir die Sicht des betreuten Menschen einnehmen. In dessen Erleben gibt es die Kategorien Pflege und Betreuung wahrscheinlich nicht, für ihn sind all diese Situationen Begegnungen mit Menschen, und da steht die Qualität der Begegnung im Vordergrund, nicht die Frage ob wir nun pflegen oder betreuen. Aus seiner Sicht ist das WIE unseres Tuns bedeutender als das WAS. Die Beziehung steht im Vordergrund, nicht die Handlung. 

2. Ausbildung allein garantiert noch keine Qualität

Die Qualität einer erbrachten Pflege- oder Betreuungsleistung ist nur bedingt vom Ausbildungsabschluss der Mitarbeitenden abhängig. Dieser macht zwar eine Aussage über die erworbenen Kompetenzen einer Person und gibt dieser sozusagen die Berechtigung zur Übernahme gewisser Tätigkeiten, sagt aber noch nichts darüber aus, wie sich die Mitarbeitenden in der konkreten Situation verhalten.

Hier spielen noch andere Faktoren eine Rolle: Persönlichkeit, Lebens- und Berufserfahrung, Haltung und persönliche Werte. Die Gesamtheit dieser persönlichen Voraussetzungen bestimmt das Verhalten der Mitarbeitenden und damit die, von der betreuten Person erlebte Pflege- oder Betreuungsqualität. Die gelebte Kompetenz ist also nur zu einem Teil von der, über einen Ausbildungsabschluss nachgewiesenen Kompetenz bestimmt.

3. Es braucht einen flexiblen Rahmen

Menschen mit Demenz verlieren zunehmend das Gefühl für bisher gelebte Normen und Regeln. Sie verstehen nicht, warum sie das Eine sollen und das Andere nicht dürfen. Sie verstehen nicht, warum sie warten müssen oder jetzt handeln sollen. Jede von uns aufgestellte Regel stellt in diesem Sinn eine Grenze dar, die von den Betroffenen nicht verstanden wird und damit Widerstand und Abwehr hervorrufen kann. Und die generelle, starre Zuordnung von Aufgaben und Zuständigkeiten an einzelne Mitarbeitende ist eine solche, von uns erstellte Regel.

Wir sollten diese nur aufstellen, wenn es unbedingt nötig ist – und dabei nicht nur die formale Ausbildung sondern auch die individuellen persönlichen Faktoren berücksichtigen. Nur so können wir die nötige Flexibilität gewährleisten und situativ auf die momentanen Bedürfnisse der betreuten Personen eingehen. Diese können nämlich nicht verstehen, dass verschiedenen Personen für unterschiedliche Bedürfnisse oder Aufgaben zuständig sind und sie warten müssen, bis die zuständige Person Zeit hat.

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Weiter bringen starre Kompetenzregelungen immer auch Schnittstellen mit sich – Schnittstellen die «gemanagt» werden müssen und damit allein schon durch ihr Vorhandensein Ressourcen binden, die besser für die Betreuten genutzt werden sollten. 

Vor diesem Hintergrund können Fachfrauen/-männer Betreuung als vollwertige Fachpersonen eingesetzt werden. Durch ihre Ausbildung sind sie, ähnlich wie Fachfrauen/-männer Gesundheit und auch diplomierte Pflegefachpersonen, auf die Übernahme der umfassenden Aufgaben in der stationären Pflege und Betreuung von Menschen mit ( und ohne) Demenz vorbereitet. Sie verfügen über die wichtigsten Grundqualifikationen und können einen speziellen «gerontologischen» Blickwinkel in das Teamgeschehen einbringen.

Welchen Platz sie im Einzelfall jedoch in einem Team einnehmen kann hier nicht generell gesagt werden – dies ist, wie jedoch bei allen anderen Ausbildungsabschlüssen auch, abhängig von ihrer individuellen Gesamtkompetenz, diese ist letztlich entscheidend.  

Wir, die Institutionen der Altenpflege, sollten in unserem eigenen Interesse den neuen Berufspersonen eine Chance geben und sie ihrer umfassenden Ausbildung entsprechend einsetzen. Wir würden damit ein Signal geben, dass wir genau die Personen, welche sich bewusst für die Arbeit mit alten Menschen entschieden haben, und welche in ihrer Berufswahl nicht dem Reiz der pflegetechnischen Verrichtungen erlegen sind, brauchen und schätzen – und dies in Zukunft immer mehr.