«Das heutige Berufsprofil zeichnet ein Bild, das die intellektuellen Fähigkeiten zu stark gewichtet und die ausführenden «handwerklichen» Fähigkeiten nur noch in einem Nebensatz erwähnt.»
Bild Daniel Kellenberger
Bildung soll zukünftige Berufsleute auf den Alltag vorbereiten und sie zur Erfüllung der an sie gestellten Anforderungen befähigen. So weit, so gut. Doch wird die heutige Pflegeausbildung diesem Anspruch gerecht? Der Versuch einer Analyse.
Pflege und Betreuung brauchen kompetente Mitarbeitende. Im Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse unserer Bewohnenden bedeutet kompetent für uns zweierlei: Die Mitarbeitenden müssen den Anforderungen gerecht werden können und wollen.
Nur wenn sie sich mit dem, was die Demenz in all ihren Facetten mit sich bringt, gerne auseinandersetzen, können sie ihre Arbeit auf Dauer auch gut machen.
[zitat]Wie sehen diese Anforderungen nun aus? Was erwartet Pflegende in der Begleitung von Menschen mit Demenz?[/zitat]
Beziehung
Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz drehen sich im Kern immer um Beziehung. Beziehung als elementares menschliches Grundbedürfnis, welches im Verlauf der demenziellen Entwicklung von den Betroffenen meist nicht mehr aktiv gestillt werden kann.
Pflegende sind in dieser Hinsicht zweifach gefordert. Sie müssen bei jedem gegebenen Kontakt zu den betreuten Menschen den Beziehungsaspekt, und nicht die geplante Handlung, in den Vordergrund stellen.
Und sie müssen über die geplanten Handlungen hinaus das Erleben von Beziehung möglich machen. Pflegende müssen präsent sein, sie müssen im Alltag der betreuten Menschen spürbar sein.
Ganzheitlichkeit
Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz bedingen ganzheitliches Denken und Handeln. Der Betreute verliert in der Regel die Fähigkeit, in unseren Kategorien von Zuständigkeiten und Kompetenzen zu denken – er erlebt ein Gegenüber und erwartet von diesem die Art von Begleitung, die er im Moment braucht.
«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»
Wir können diesem Bedürfnis nur dann gerecht werden, wenn wir die scharfen Grenzen der Zuständigkeit für verschiedene Aufgaben und Tätigkeiten möglichst weit auflösen. Pflegende erfüllen die gestellten Aufgaben bei einer betreuten Person möglichst umfassend.
Respekt
Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz basieren auf Respekt. Respekt einem anderen Menschen gegenüber – unabhängig davon, wie sich dieser Mensch verhält und welche Veränderungen er zeigt. Dieser Respekt muss in jedem von uns tief verankert sein – im Denken, Reden und Handeln.
Fachlichkeit
Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz benötigen pflegerische Fachlichkeit – in all ihren Ausprägungen:erfassen, analysieren, bewerten, ausführen, wissen, dokumentieren, informieren, organisieren, zusammenarbeiten, handeln, verbessern, führen, einschätzen und so weiter.
All diese Fähigkeiten sind nötig, um der Verantwortung für einen anderen Menschen, der diese für sich selbst nicht mehr übernehmen kann, gerecht zu werden. Sie sind aber im Hinblick auf die jeweils dafür einzusetzende Zeit unterschiedlich zu gewichten.
Akzeptanz
Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz widersprechen in mancher Hinsicht pflegerischen Grundabsichten – und dies muss akzeptiert werden.
Hervorzuheben sind hier die beiden Gesichtspunkte der Unheilbarkeit – Wir müssen akzeptieren, dass wir das Fortschreiten der demenziellen Veränderungen in den allermeisten Fällen nicht aufhalten können, und der Verabschiedung aus unserem System von Normen und Regeln – wir müssen die «neuen» Normen und Regeln, welche sich die Betreuten selbst geben, als für sie gültig akzeptieren – auch wenn sie unseren Vorstellungen häufig widersprechen.
So weit zu den Ansprüchen, beziehungsweise zu dem, was Pflegende in der Betreuung von Menschen mit Demenz erwartet. Nun zu der Frage, wie die heutige Ausbildung auf diese Realität vorbereitet.
Mit welchem Bild von Pflege und mit welchen Kompetenzen treten neue Pflegefachpersonen heute in den Beruf ein?
Der aktuell gültige Rahmenlehrplan beschreibt als Teil des Berufsprofils die beruflichen Aufgaben der Pflegenden in zehn Arbeitsprozessen. Ein Blick auf die darin aufgeführten Tätigkeiten zeigt Folgendes:
Die diplomierte Pflegefachperson erledigt gemäss Rahmenlehrplan nur 3 bis 4 Prozent ihrer Arbeiten mit den Händen. Der Rest ist Kopfarbeit.
führt ein Assessment durch
erfasst und beurteilt die Situation, die Biografie, die Krankengeschichte
schätzt den Pflegebedarf ein
identifiziert und beurteilt Gesundheitsprobleme
stellt Pflegediagnosen
setzt Ziele und plant Pflege
organisiert pflegerische Interventionen, führt sie durch
überwacht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit Hilfe evidenzbasierter Kriterien
überprüft die Wirksamkeit
beendet den Pflegeprozess
gestaltet Aus- und Übertritte
dokumentiert Aspekte des Pflegeprozesses
schafft und unterhält eine empathische und vertrauensfördernde Beziehung
gewährleistet den Informationsfluss
bildet sich weiter
nimmt Lehr- und Anleitungsfunktion wahr
übernimmt die fachliche Führung
nimmt berufspädagogische Aufgaben wahr
arbeitet effizient intra- und interprofessionell zusammen
gestaltet Rahmenbedingungen
trägt zum effizienten Ablauf administrativer Prozesse bei
Welches Bild einer Pflegenden wird hier skizziert? Welches Bild von Pflege hat die Person, die während ihrer Ausbildung all diese Fähigkeiten entwickelt hat, oder zumindest entwickeln sollte? Ist das die Pflegende, welche den oben beschriebenen Anforderungen gerecht werden kann und will?
Wir glauben nicht daran. Wir sehen in diesem Berufsprofil zu viel Kopf und zu wenig Hand und Herz. Die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz ist auch Kopfarbeit und fordert intellektuelle Fähigkeiten, dies wollen wir nicht anzweifeln.
Beziehung kann man nicht in einem Gestaltungskurs lernen
alzheimer.ch/youtube
Dennoch: Das heutige Berufsprofil zeichnet ein Bild, das die intellektuellen Fähigkeiten zu stark gewichtet und die ausführenden «handwerklichen» Fähigkeiten nur noch in einem Nebensatz erwähnt.
Wir erkennen hier das Bild einer Pflegenden, die organisiert, plant, verantwortet, überwacht, bewertet, dokumentiert, gestaltet, führt – und dann irgendwann dazwischen auch noch eine pflegerische Tätigkeit ausführt, bei der sie tatsächlich Kontakt zu der gepflegten Person hat.
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Diese Pflegende wird unserem Anspruch vor allem im Hinblick auf Beziehung, Ganzheitlichkeit und Akzeptanz nicht gerecht.
Glücklicherweise gelingt es nicht immer, die Auszubildenden so zu formen, wie es in den entsprechenden Grundlagenpapieren definiert ist.
Zum Glück gibt es auch heute noch Auszubildende, die bei all den intellektuellen Ansprüchen das nicht vergessen, was im Zentrum unseres Berufes stehen sollte, und was meist auch zum Entscheid für diese Berufsausbildung geführt hat: Das «sich empathisch kümmern», das «Caring».
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