«Das Licht ist doch gratis» - demenzjournal.com

Demenzarchitektur

«Das Licht ist doch gratis»

Auch der 2015 eröffnete vierte Erweiterungsbau der Sonnweid in Wetzikon (rot) setzt in der Demenzarchitektur neue Massstäbe. Bild Uli Reinhardt

Der Architekt Enzo Bernasconi baut Lebensraum für Menschen mit Demenz. Schon immer hat er dabei auf reichlich und gut verteiltes Tageslicht geachtet.

Enzo Bernasconi sitzt in seinem Büro im Luzerner Quartier Schönbühl. Vor sich hat er einen Bildband über den US-amerikanischen Architekten Richard Meier. Zwei Jahre nachdem Bernasconi sein Studium abgeschlossen hatte, besichtigte er in den USA Gebäude des berühmten Kollegen.

«Meier ist meine wichtigste Inspiration», sagt Bernasconi. «Er spielt am schönsten mit Licht. Er nutzt mit Schrägverglasungen, Oblichtern und Pergolen das ganze Repertoire. Seine Bauten sind von Licht durchdrungen, und die Stimmungen wechseln je nach Tageszeit.» 

Das Vorhandensein von Tageslicht: Dies sei neben der Raumgestaltung die wichtigste Qualität eines Gebäudes, sagt Bernasconi. «In meinen Häusern muss man die Leuchten nur anzünden, wenn es draussen dunkel ist.

Das Licht ist doch gratis – man wäre dumm, wenn man es nicht nutzen würde.» Gratis seien auch die verschiedenen Stimmungen des Tages, die er mit Fenstern auf den verschiedenen Seiten eines Hauses einzufangen versuche. 

Gleichmässige Ausleuchtung  

Die in den vergangenen Jahren angesagte minimalistische «Kisten-Architektur» ist nicht Bernasconis Ding. Diese Häuser haben meist nur auf der Südseite grosse Fensterflächen.

Enzo BernasconiBild Martin Mühlegg

Oft gibt es an den anderen Seiten nur vereinzelte kleine Fenster. «So kann ich nur eine Lichtstimmung einfangen», sagt der Architekt. «Und im hinteren Teil des Raumes ist es düster. Ich möchte, dass die Räume gleichmässig ausgeleuchtet sind.»

Im zweiten Erweiterungsbau, den er für die Sonnweid realisierte, gibt es auf der Nordseite gar eine riesige Fensterfläche. Diese soll nicht nur das von Künstlern geschätzte «weiche» Licht aus Norden einfangen, sondern auch Transparenz erzeugen. Passanten sollen erfahren, was in dem Gebäude passiert, und die Bewohner sehen, was draussen los ist. 

Und wie steht es mit der Energiebilanz von Bernasconis «lichten» Häusern? Verursachen die grossen Fenster nicht einen hohen Energieverbrauch? «Die Isolation von Fenstern ist heute kein Problem mehr», sagt er. «In den letzten zehn Jahren hat sich die Dämmungseffizienz verdoppelt. Die Dichtungen sind besser geworden, und man verwendet Dreifachverglasungen mit Gas in den Zwischenräumen. Dank modernster Technik dämmt heute ein Fenster besser als ein nicht mehr ganz zeitgemässes Mauerwerk.» 

Hinter dem grossen nordseitigen Fenster in der Sonnweid zeigt sich eine wichtige Entwicklung der Demenzarchitektur: Es ist die erste grosse Rampe, die in einem Wohnhaus für Menschen mit Demenz realisiert worden ist.

Rampen statt Treppen ermöglichen es den Bewohnern, gefahrlos von einem Stockwerk ins andere zu gehen. Sie sind eine tragende Säule im Gesamtkonzept der Sonnweid: Die Bewohner sollen sich unbegrenzt und möglichst gefahrlos bewegen können. 

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Bei Bernasconis erstem Bauprojekt im Auftrag der Sonnweid ging es nicht um Sicherheit, sondern um – Licht! Es war Ende der 1980er-Jahre, als ihn sein Bauherr und Partner René Bouccard, der damals gerade Besitzer der Sonnweid geworden war, mit der Einrichtung eines Aufenthaltsraumes im alten Stammgebäude beauftragte.

Ziel war es, das Ambiente im düsteren Haus zu verbessern und den Bewohnern damit eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen. Bernasconi tat seinen Job, indem er an der gesamten Südfront des Erdgeschosses die Mauer durch fast raumhohe Fenster ersetzen liess. 

Pioniertage der Demenzarchitektur  

«Learning by doing», hiess in diesen Pioniertagen der Demenzarchitektur die Devise. Damals gab es noch keine spezialisierten Heime für Menschen mit Demenz. Also gab es auch keine Demenzarchitektur und schon gar keine Fachliteratur.

Tageslicht ist gut für die Seele.Bild Véronique Hoegger

Heimleiter Michael Schmieder und Architekt Bernasconi machten sich gemeinsam an die Aufgabe, eine geeignete Architektur für Menschen mit Demenz zu entwickeln. «Mit jedem Bauprojekt lernten wir dazu», so Bernasconi. Die beiden ersetzten Treppen durch Rampen, realisierten grössere Nasszellen und breitere Gänge. Wichtig waren ihnen auch barrierenfreie und endlose Wege.

Der 2012 eröffnete dritte Erweiterungsbau der Sonnweid setzt in der Demenzarchitektur neue Massstäbe. Die grosse Rampe befindet sich in der Mitte des Gebäudes, Oblichter sorgen für eine gute Ausleuchtung mit Tageslicht.

Gänge, Zimmer und Nasszellen sind noch grosszügiger gestaltet als in den älteren Bauten. Kunst am Bau, ein Wasserfall und Pflanzen werten die Räume zusätzlich auf. Mittlerweile hat Bernasconi den vierten Erweiterungsbau der Sonnweid realisiert.

Unter anderem enthält er eine Oase für schwerst pflegebedürftige Menschen mit Demenz. Zu ihr gehört eine grosse beschattete Terrasse mit Pergolen und Gartenelementen. Innen gibt es die neu entwickelten Möbel des Designers Michael Thurnherr sowie natürliche Materialien an Wänden und Decken. Auch in diesem neuen Haus kann man die Uhrzeit anhand der Lichtstimmungen und des Schattenwurfes ermitteln.

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