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Das Sofa aus dem Dorf

Schlichte Eleganz und hohe Funktionalität: Fauteuils und Sofas der Firma Scheuber. Bild Martin Mühlegg

Die Innerschweizer Firma Scheuber AG hat Polstermöbel für Menschen mit Demenz entwickelt – in Zusammenarbeit mit Pflegefachleuten und Handwerkern aus der Region.

Ein Lagerraum der Scheuber AG in Ennetbürgen: Hinten stehen viele Polstermöbel, die meisten von ihnen scheinen ziemlich alt zu sein und sind mit barocken Schnörkeln ausgestattet. Einige sollen bald in der nebenan liegenden Manufaktur neu gepolstert und bezogen werden.

Weiter vorne stehen neue Sofas in verschiedenen Farben und Formen. Sie sind ganz anders gestaltet als die Möbel der Kunden, die auf ihre Erneuerung warten.

Sie vereinen Klassik und Moderne, sie kombinieren schlichte Eleganz mit modischen Mustern auf Stoffen, die zum Anfassen einladen.

«Das Sofa» heisst diese Kollektion. Die Innenarchitektin und Co-Geschäftsleiterin Franziska Scheuber benutzt gerne das Wort «unmissverständlich», wenn sie darüber spricht.

Sofas sind auch zum Liegen da.Bild Véronique Hoegger

Tatsächlich wirken die Sofas wie Ikonen. Wenn ein Illustrator mit möglichst wenigen Strichen ein Sofa zu zeichnen hätte, würde es wohl so aussehen. Mit «unmissverständlich» meint Scheuber, dass die Sofas auf Anhieb als solche erkennbar sind – auch für Menschen mit eingeschränkter Wahrnehmung.

Weitere Eigenschaften der Sofas verraten, dass sie für ein spezielles Zielpublikum entwickelt und gestaltet worden sind. Die Sitzflächen befinden sich 46 Zentimeter über dem Boden. Dies ist sechs Zentimeter höher als bei herkömmlichen Sofas.

Die Rückenlehnen sind höher und steiler. Beim Probesitzen zeigt sich, dass das Polster etwas härter ist als gewohnt und weniger nachgibt. Die Stoffbezüge können dank grosszügig bemessener Reiss- und Klettverschlüsse einfach entfernt und gewaschen werden.

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Zwischen Bezug und Polster befindet sich ein wasserdichter Stoff (Inkontinenzschutz), der ebenfalls einfach abzunehmen und zu waschen ist. Im gleichen Stil stellen die Scheubers einen Ohrenfauteuil her.

Ihren Ursprung haben die Sofas und Fauteuils im Demenzzentrum Sonnweid in Wetzikon. Der frühere Heimleiter Michael Schmieder suchte 2012 nach geeigneten Möbeln für einen Erweiterungsbau. Herkömmliche Sofas und Fauteuils eignen sich nicht für ältere Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen.  

Innenarchitektin Franziska Scheuber.Bild PD

Zum Beispiel können diese Menschen aus tiefen Sitzmöbeln mit weicher Polsterung kaum mehr selbstständig aufstehen. Wegen niedriger Lehnen können sie sich nicht aufrecht halten. Und wenn ein herkömmliches Sofa mit Stoffbezug durch Kaffee oder Urin verschmutzt wird, ist dessen Reinigung aufwendig bis unmöglich.

Roberto Bertoni kommt in den Lagerraum. «Vor sechs Jahren war noch nichts da. Wir haben eine Lücke gefüllt, es gibt jetzt schon 180 davon mit verschiedensten Bezugsstoffen», sagt der Leiter der Manufaktur.

Bertoni baute 2012 die ersten Prototypen. «Michael Schmieder von der Sonnweid hat uns das Fachwissen zur Demenz weitergegeben. Wir haben sehr gut zugehört und uns Zeit genommen. Wir sind froh, dass wir diesen Auftrag machen durften.»

Der Werkstattchef nimmt einen prall gefüllten Ordner zur Hand. Er enthält Skizzen, Fotos und Listen. «Alle Schritte sind hier festgehalten. So weiss jeder von uns, wie es geht.» Bertoni arbeitet seit 37 Jahren für die Firma. Er ist ein Sinnbild für die Philosophie und Personalpolitik des Unternehmens.

Die Stoffbezüge lassen sich leicht entfernen und waschen.Bild Véronique Hoegger

In einer Zeit, in der die Bestandteile von Möbeln aus aller Welt kommen, funktionieren die Scheubers antiglobal. Der Dorfschreiner fertigt die Gestelle aus massivem Eichenholz und Sperrholzplatten. Der Schaumstoff kommt aus Emmen bei Luzern.

Der grösste Teil der Mitarbeitenden wohnt in der näheren Umgebung. Bertoni schätzt die kurzen Wege und persönlichen Kontakte: «Wenn es beim Schaumstoff eine Anpassung braucht, rufe ich einfach den Heinz an.» Die Überzugsstoffe kommen aus Europa. Die Sofas können auch mit den edlen Stoffen der Schweizer Firma Création Baumann bezogen werden.

«Meine Eltern und Grosseltern haben mir Fleiss und Berufsstolz vorgelebt», sagt Franziska Scheuber, die in der Wohnung über dem Betrieb aufgewachsen ist.

«Das Miteinander ist uns wichtig. Alle können voneinander lernen.»

Die traditionsbewusste Firma setzt auf die Erhaltung des Handwerks und investiert in die Nachwuchsförderung: Fast die Hälfte der Mitarbeitenden in der Manufaktur sind Lernende.

Manufaktur-Leiter Roberto Bertoni arbeitet seit 37 Jahren für die Scheubers.Bild PD

Derzeit warten sie auf die Ergebnisse der Lehrabschlussprüfungen. Gute Leistungen haben bei den Scheubers Tradition: Der Verwaltungsratspräsident und langjährige Firmenpatron Werner Scheuber war 1971 Weltmeister der Polsterer.

Franziska Scheubers Karriere verlief weniger linear als jene ihres Vaters. «Ich war schon als Jugendliche fasziniert von gestalterischen Berufen, habe mich aber für eine Ausbildung in Sozialpädagogik entschieden.»

Nach zehn Jahren im Jugend- und Behindertenbereich schrieb sie sich an der Hochschule Luzern ein. In einem Jahr wird sie das Studium «Bachelor of Arts in Innenarchitektur» abschliessen. Es gebe zwischen den beiden Berufen viele Parallelen, sagt Scheuber. «Man will die Lebensqualität erhalten oder verbessern. Man gestaltet ein Umfeld, in dem sich Menschen wohl fühlen können. Dies trifft auf Innenarchitektur und Sozialpädagogik zu

Das Team der Scheuber AG arbeitet interdisziplinär und hat das Angebot erweitert. Einerseits hat die Firma mittlerweile diverse Altersheime mit Sofas und Fauteuils ausgestattet. Im Herbst 2018 ist das neue Sofa-Modell «Fidera» auf den Markt gekommen. Andererseits bietet sie weitere Produkte (zum Beispiel Spanndecken und Wandbespannungen) und Beratungen im Bereich Innenarchitektur an.

Visualisierung für ein Seniorenzentrum: Die Sitzbank ist auch eine Rollatorgarage.Bild PD

Im Verkaufsraum zeigt Franziska Scheuber eine Präsentation zur Sanierung des Seniorenzentrums Zwyden in Hergiswil. Auf Grundrissen und Visualisierungen wird sichtbar, wie die Innenarchitektin die Aufenthaltszonen erweitert und neue Möbel geplant hat.

Die Orientierung will sie mit mehr Kontrasten und einer durchdachten Beleuchtung verbessern.

Scheuber und ihr Team haben auch ein Möbel mit Rollatorgarage entworfen. 

Wenn die Kunden neue Möbel, Muster oder Pläne geliefert bekommen, setzt sich Franziska Scheuber persönlich ans Steuer eines Lieferwagens. Im Laderaum führt sie diverse Möbel und Musterkollektionen mit, die von der Kundschaft und den Bewohnern gleich ausprobiert werden können.

«So bekomme ich Feedbacks aus der Praxis und kann sie in Weiterentwicklungen einfliessen lassen», sagt Scheuber. «Ich sehe auch, wie ein neues Möbel oder eine andere Platzierung die Energie und Gewohnheiten auf einer Abteilung verändern können.»

Das Potenzial für die Sofas sei noch lange nicht ausgeschöpft. Die Möbel aus dem malerischen Dorf am Vierwaldstättersee können für viele Menschen von Nutzen sein.