Wie wir die Welt erschaffen - demenzjournal.com

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Wie wir die Welt erschaffen

Wie schreibt man über Demenz? Für seinen Roman «Untertags» begleitete Autor Urs Faes über Jahre hinweg zwei betroffene Ehepaare. ©alzheimer.ch

Zehn Jahre arbeitete Autor Urs Faes an seinem Roman «Untertags», näherte sich behutsam dem Thema Demenz. Einblicke erhielt er über Gespräche mit Michael Schmieder, Fachliteratur und den intensiven Kontakt mit zwei betroffenen Ehepaaren.

Urs Faes wohnt, wie man es sich bei einem Schriftsteller vorstellt: Altbauwohnung, Bücherregale bis unter die Decke, Möbel mit Geschichte und ein von Dokumenten überbordendes Arbeitszimmer. Es ist die richtige Umgebung, um über das Schreiben und den Weg zum druckreifen Roman zu sprechen.

«Was mich am Thema Demenz von Anfang an beschäftigt hat, war das Verlieren der Sprache und damit eine Form von Abschiednehmen», erklärt der Autor bei einer Tasse Kaffee. «Wir sind mit Sprache im Dialog mit anderen, in der Welt. Mit unserem Sprechen und Erzählen erschaffen wir unsere Welt».

Das bedeutet:

«Wenn wir die Sprache verlieren, verlieren wir schrittweise auch das In-der-Welt-sein».

Urs Faes ist Autor des Romans «Untertags». Darin beschreibt er einfühlsam den Weg des Ehepaars Herta und Jakov durch eine Alzheimer-Demenz.

Das zentrale Thema: der Verlust der Sprache. Doch es ist kein schwermütiges Buch, sondern eine Liebesgeschichte. Bis zuletzt pflegt Herta ihren Mann, getragen vom Geflecht ihrer gemeinsamen Vergangenheit und den schönen Momenten, die es – trotz aller Herausforderungen – gibt.

Um abseits von Klischees und Vorurteilen über Demenz schreiben zu können, hat sich Urs Faes mit der Recherche Zeit gelassen. Er führte Gespräche mit Michael Schmieder, Gründer des Demenzkompetenzzentrums Sonnweid in Wetzikon, vertiefte seine Kenntnisse mit Fachliteratur.

Ein besonderer Glücksfall und Zeichen grossen Vertrauens: Er durfte zwei Ehepaare, von denen jeweils ein Partner an Demenz erkrankt war, über längere Zeit begleiten.

«Ich habe die beiden zuhause besucht, sie in die Klinik begleitet, Abschied und Wiedersehen erlebt», sagt Urs Faes. Durch den engen Kontakt erhielt Urs Faes einen Einblick in die Gefühlswelt der Betroffenen.

«Hinzu kam, dass mir beide Paare Tagebuchaufzeichnungen und andere Dokumente überlassen haben.» Diese lieferten wichtiges Kontextwissen und zeigten Entwicklungen über einen längeren Zeitraum hinweg.

Unsere Rezension zum Buch – mit Interview

Buchtipp: «Untertags»

«Wir sind dialogische Wesen»

Herta und Jakov haben spät zu einem gemeinsamen Glück gefunden. Doch dann erkrankt Jakov an Demenz, Verdrängtes wird gegenwärtig. Mit «Untertags» ist Urs … weiterlesen

Unter den wertvollen Quellen finden sich auch Dokumente eines Direktbetroffenen.

«Das waren Hefte mit Aufzeichnungen, die wir jetzt als unnötig bezeichnen würden: Hoch und Niedertarif beim Strom oder der tägliche Goldpreis zum Beispiel» – minutiös und handschriftlich festgehalten. «Und das in einer Phase, in der diese Person noch gar nicht krank war. Es war wie eine frühe Ahnung: Mir entschwindet etwas.» So zumindest interpretiert es der Autor, der auch seinen Protagonisten Jakov notieren und archivieren lässt.

Doch auch wenn den Protagonisten in «Untertags» – Herta und Jakov – real Beobachtetes zugrunde liegt:

Die Ablösung von den nichtfiktiven Hintergründen ist ein Schlüsselmoment im Entstehungsprozess eines Romans.

«Durch die Abstraktion wird der Stoff zu einer Geschichte, die nicht nur dieses Ehepaar betrifft, sondern auch andere Menschen», so Urs Faes. Eine Geschichte, die mehr als das Thema Sprachverlust beleuchtet und in der es um Grundsätzliches geht: um Abschied, Liebe, das Füreinander-da-sein.

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