Intelligentes Drehbuch und hohe Schauspielkunst - demenzjournal.com

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Intelligentes Drehbuch und hohe Schauspielkunst

Obwohl sie für ihn stets nachrangig war, pflegt Tochter Anne (Olivia Colman) ihren demenzkranken Vater Anthony (Anthony Hopkins). Bild Ascot Elite

Regisseur Florian Zeller ist mit «The Father» ein Werk von hoher narrativer Dichte gelungen. Das mit zwei Oscars ausgezeichnete Drama erzählt vom Zerbrechen der Realität durch eine Demenz – und einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung.

«Ich hatte immer zwei Uhren. Eine am Handgelenk und die andere in meinem Kopf!» Der 81-jährige Anthony strahlt. Er ist sichtlich stolz auf sein gutes Gedächtnis. Zuvorkommend bietet er dem Gast – einer jungen Frau – etwas zu trinken an, erzählt von seiner Zeit als Stepptänzer. Er wirkt agil, charmant, ganz Herr der Lage.

Nur: Anthony hat Demenz, war nie Stepptänzer und der Gast ist eine Pflegerin, die Anthonys Tochter Anne für ihn organisiert hat. Es ist nicht das erste Mal, dass Anne (Olivia Colman) versucht, Anthony (Anthony Hopkins) für eine Pflegerin zu begeistern. Die letzte hat er vergrault, weil er sie «Miststück» genannt und des Diebstahls bezichtigt hat.

Doch die Zeit drängt. Anne möchte nach Paris zu ihrem Freund ziehen. Sie stellt ihrem Vater ein Ultimatum: Entweder entscheidet er sich für eine Pflegerin oder er muss in ein Heim ziehen. Anthony dagegen ist davon überzeugt, dass er niemanden braucht. Er fühlt sich von seiner Ältesten verraten und allein gelassen.

Menschen kommen und gehen wie Geister. Das Gemälde seiner zweitgeborenen Tochter Lucy verschwindet, die Stühle aus der Arztpraxis stehen plötzlich im Gang.

Alsbald zweifelt Anthony an den Motiven von Anne, seiner Erinnerung und schliesslich dem eigenen Verstand.

Es beginnt ein verzweifeltes Ringen um Realität. Fehlleistungen überspielt Anthony, der nicht wahrhaben will, dass etwas nicht stimmt. Anne ist dabei in der belastenden Situation, einen Mann umsorgen zu müssen, für den sie immer nur die Nummer Zwei war – hinter «Lieblingstochter» Lucy. Zusätzlich gefährdet sie durch ihren Einsatz für Vater Anthony ihre eigene Beziehung.

Das Verhältnis zwischen Anthony und Anne ist angespannt.Bild Ascot Elite

The Father ist damit nicht nur ein Film über einen Menschen, dessen Welt durch eine Demenzerkrankung zerbricht. Tief berührend geben Anthony Hopkins (Das Schweigen der Lämmer, Die zwei Päpste) und Olivia Colman (The Favourit, The Crown) Einblick in eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung, in der es trotz verhärteter Fronten und allerlei psychischen Grausamkeiten zu Augenblicken der Nähe kommt.

Ohne ins Plakative abzudriften erhellt The Father zentrale Themen wie Würde, Selbstbestimmung, Schuldgefühle, (Ohn-)macht, Verlust und Liebe. Dabei beginnt der Film fast klischeehaft: Anthony eröffnet Anne, dass die Pflegerin wohl seine Uhr gestohlen habe. Wenig später taucht die Uhr wieder auf, in Anthonys Geheimversteck im Bad.

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Das vermeintliche Klischee ist gut gewählt: Zeit ist der rote Faden, der sich durch die Erzählung zieht. Ein Faden, der immer wieder abreisst, zerfasert, zurückkehrt an den Ausgangspunkt.

Auch als Zuschauer kann man sich bald auf nichts mehr verlassen.

Aufeinanderfolgende Szenen vermitteln eine Kohärenz, die sogleich unterlaufen wird, sodass Davor und Danach ständig ihren Bezugspunkt ändern. Harte Schnitte verwirren auf gekonnte Weise, sorgen für Schockmomente.

Subtile Bilder, schönes Licht – The Father überzeugt auch visuell.Bild Ascot Elite

Durch geschickte Perspektivwechsel lässt Regisseur Florian Zeller seine Zuschauer glauben, nun endlich erkannt zu haben, wie die Situation wirklich ist. Man möchte schon aufatmen. Doch bereits die nächste Szene zerschlägt diese Ordnung wieder und zeigt, wie fragil das Konzept «Realität» doch ist. Was bleibt, ist die unausgesprochene Frage: Was stimmt denn nun?

Das alles macht fassbar, wie Anthony in eine andere Wirklichkeit abdriftet. Eine Wirklichkeit der Parallelität und ständig wechselnder Sinnbezüge.

Obwohl The Father überwiegend in einer Wohnung spielt und in stillen Bildern Anthonys Suche nach Sinn porträtiert, ist er keine Sekunde langweilig. Hier zeigt sich die Stärke des Drehbuchs. Es unterwandert jedes lineare Narrativ, überzeugt durch starke Dialoge und eine glänzende Schauspielleistung.

Kurzum: Florian Zellers The Father glänzt durch seine authentische, herzzerreissende Geschichte sowie die brillante Umsetzung und ist wärmstens zu empfehlen!

Quelle Youtube

Oscarverleihung 2021
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Bestes adaptiertes Drehbuch