Jeder Mensch hat ein letztes Lied. Aber Gedanken macht sich wohl kaum jemand darüber. Es sei denn, er liegt im Sterben und wird danach gefragt. Stefan Weiller tut genau das. Er ist Autor und freischaffender Künstler, hat ein Sozialpädagogik-Studium abgeschlossen, aber nie als Sozialpädagoge gearbeitet.

Vielmehr greift er die sozialen Themen als Journalist auf und verbreitet sie auf eindrückliche Weise. So führt er seit 2010 Gespräche mit sterbenden Menschen, vorwiegend in Hospizen, aber auch in anderen Umgebungen, einfach dort, wo Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen und bereit sind, Weiller zu empfangen.

Er stellt ihnen folgende Frage: «Welche Musik ist Ihnen kostbar und welche Erinnerung verbinden Sie damit?»

Menschen, die sich in ihren letzten irdischen Raum begeben, setzen sich mit ihren eigenen Erfahrungen, den Stationen der Vergangenheit, der Ungewissheit und den Hoffnungen unausweichlich auseinander.

«Viele denken dankbar zurück und leben tief verbunden mit den Menschen ihres Lebens. Alte Menschen erzählen voller Energie aus ihren Jugendzeiten – und wirken dabei selbst ganz jung und lebensfroh», sagt Weiller.

Auch seine Frage zur Musik hat einen bestimmten Grund: «Musik ist Lebensfreude und Genuss. Ausgerechnet in Zeiten des Sterbens darüber zu sprechen, baut eine Brücke über den Abgrund des Todes.» Diese «letzten Lieder» sammelt Stefan Weiller und macht daraus Konzertabende.

Er erzählt die Geschichten hinter der Musik, vorgetragen von bekannten Schauspielern wie Christoph Maria Herbst oder Hansi Jochmann. Die Programme sind keine Trauerfeiern, sondern in vielen Teilen leicht und heiter, auch ernst und immer wahrhaftig.

Sie vereinen vermeintlich widersprüchliche Gefühle: Sie erzählen vom Tod, der sich den Menschen nähert, feiern aber auch das Leben. «Mancher Konzertbesucher ändert sein Leben unter dem Eindruck der Geschichten oder verwirklicht lang gehegte Wünsche», sagt Weiller.

Seine musikalische Suche hat ihn durch ganz Deutschland geführt – seine Aufführungen feiern grosse Erfolge. Jetzt kommt er damit erstmals in die Schweiz. Dank Thomas Beer, Dozent für Pflege und Pflegewissenschaft an der FHS St.Gallen, der Stefan Weiller dazu angestossen hat.

«Wir wollen mit den letzten Liedern eine Brücke zum St.Galler Demenz-Kongress schlagen, sensibilisieren, Tabus lösen, aber auch das Leben feiern», sagt Beer, der zum Projektteam gehört.

Denn der Kongress setzt sich dieses Jahr mit den ausgesprochenen, unausgesprochenen, sichtbaren und unsichtbaren Bedürfnissen der Menschen mit Demenz und ihrem Sterben auseinander.

Die Tür zum Tod, die Deutschland nicht hat

Weiller recherchiert seit rund zwei Jahren in der Schweiz, bis zum Konzert am 12. November wird er etliche Menschen getroffen haben, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden, aber auch ihre Angehörigen, Ärzte und Pflegefachpersonen, die sie begleiten.

Da fragt man sich automatisch, ob es Unterschiede zwischen den Schweizern und den Deutschen gibt, wenn es um den Tod geht. «Absolut», sagt Weiller. Er spricht damit die Möglichkeit des begleiteten Suizids an, der in Deutschland rechtlich nicht gegeben ist. Entsprechend sei die Frage nach dem Erhalt von Lebensqualität eine andere.

«Mir fällt auf, dass die Menschen, denen ich in der Schweiz begegne, eine gewisse Leichtigkeit empfinden, dass sie durch jene Tür von Exit oder Dignitas gehen könnten. Aber die Lust am Leben ist doch so hoch, dass die meisten die Angebote der palliativen Versorgung bevorzugen».

Weiller verrät auch einige der «letzten Lieder»: So zum Beispiel «Hemmige» von Stephan Eicher oder «Mis Müeti» von Georges AliothDas Liebeslied an die Mutter hat ihm ein alter Mann auf dem Sterbebett vorgesungen, obwohl er kaum sprechen konnte. Seine Familie war dabei. Alle hätten geweint, auch vor Freude und Rührung.

«Die Kombination aus deutscher und Schweizer Musik ist für mich ein Highlight in der gesamten Konzertreihe der Letzten Lieder, daher wird das Projekt in St.Gallen ganz neu und besonders sein», sagt Weiller.