«Nun, es ist nichts für Weicheier», knurrte Marianne Faithfull auf die Frage, wie es sei, alt zu werden. Da muss ich widersprechen. Ich bin 73, ich gehöre zur verwöhntesten Generation, die je ins Rentenalter kam.
Getragen von anschwellenden Wachstums- und Wohlstandswogen, zogen wir durch Jahrzehnte, die so berechenbar waren wie nie zuvor (und wohl nie wieder), die stets aufwärts zeigten, mehr Geld, mehr Freizeit, mehr Spass, Kühlschränke, Autos, Farbfernsehen, Internet, Smartphone, Spitzenmedizin, Prävention, Spitex, Rega, Rollator. Irgendwann stellte sich ein Anspruch auf Unversehrtheit ein, logisch, wozu wartet hinter jeder Kreuzung ein Care Team, alle 500 Meter ein Defibrillator?
Nicht dass meine Generation faul wäre. Im Gegenteil, sie war so fleissig wie tüchtig am Werk. «Verwöhnt» nenne ich uns, weil uns die Geschichte gewogen war. Von Krieg verschont, erlebten wir die Welt wie eine moralische Anstalt: Rechtschaffene wurden belohnt, Querschläger bestraft.
Zuvor schlugen Seuchen, Hungersnöte, Wirtschaftskrisen willkürlich zu, das Schicksal war blind. Wir erlebten nie, was Schicksal bedeutet, an seine Stelle trat die staatliche Versorgungsanstalt, diese stets üppigere Amme, die zu allem schaut, für alle sorgt.
Dazu passte das Menschenbild: Hauptsache gesund. Geniesse, aber mässig. Lebe proper, dann wirst du alt. Die Frage «Wozu?» – tabu. Manchen wurden weisse Zähne wichtiger als aufregende Gespräche.
Einst nahm das Alter nur eine Kurve: abwärts. Serbeln, schrumpfen, sterben.