Im Zusammenhang mit einer lebendigen Seelensprache ist es bedeutsam, sich der häufigsten Krankheitsbilder unserer Zeit bewusst zu werden und der Frage nachzugehen, in welcher Art und Weise sie unseren Zeitgeist spiegeln. Wir können Erkenntnisse herausarbeiten, um die verschiedenen Krankheiten ganzheitlicher zu verstehen und die Botschaft, die sie uns als Gesellschaft vermitteln, aufzuschlüsseln.

In den 1980er-jahren lenkte Aids die Aufmerksamkeit auf die Sexualität und warf neue Fragen zum Umgang mit dem sexuellen Leben auf. In den folgenden Jahrzehnten konzentrierte sich das Interesse auf das Herz und auf die Frage: Ist das Herz nur ein Muskel oder der Sitz der Seele?

Angelika U. ReutterBild Felix Ghezzi

Aktuell erforscht die Neurowissenschaft fieberhaft unsere Gehirnfunktionen, auch um den Menschen, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind, helfen zu können. Es zeigt sich, dass schwere Krankheiten den ganzen Menschen betreffen: die Sexualität und damit die Schöpferkraft, das Herz, die Mitte, die tieferen Gefühle und den Kopf mit der lichten Gedankenkraft, dem Bewusstsein.

Neben verschiedenen ganzheitlichen Heilmethoden gibt die anthroposophisch orientierte Medizin hilfreiche Hinweise für das tiefere Verständnis des Menschen und seine biografischen und geistigen Entwicklungsprozesse.

Sie verbindet unter anderem das untere Stoffwechselsystem mit den Verdauungsorganen und der Scxualität; das mittlere rhythmische System mit dem Herz und das obere Nerven-Sinnessystem mit dem Gehirn; alle drei Systeme durchdringen einander und werden durch das Ich beziehungsweise das Selbst zusammengehalten.

Wird dieses bedeutsame Ineinanderfliessen uncl damit das Wesen einer Krankheit erfasst, können Erkenntnisse daraus gewonnen werden, die neben den medizinischen Fortschritten die Seele der Menschen unmittelbarer ansprechen und damit auf einer tieferen, unsichtbaren Ebene Heilung bewirken. 

In diesem Sinne suchen wir alle ständig Heilung, um uns mit uns selbst und mit unserem Umfeld im Einklang fühlen zu können.

Beschäftigt man sich mit dem unterschiedlichen Wesen einer Krankheit, stellen sich neue Fragen: Welche Bedeutung hat die seelisch-geistige Entwicklung in der heutigen Zeit? Und  wie kann man persönlich das finden, was man in der Seele braucht?

Bei einer Ktebserkrankung spricht man zum Beispiel häufig von einer «inneren Heldenreise», die Menschen durchleben. Viel Unerlöstes in der Seele wird bewusst. Es sind feierliche Momente, wenn einem plötzlich ein Licht aufgeht und man feststellt, was man im Leben nicht mehr verändern kann und was man dringend verändern möchte. Die Seele beginnt das auszusprechen, was sie schon immer einmal sagen wollte.

Finden sie Ihre eigenen Worte

Die Seelensprache entrümpelt die gewöhnliche Sprache. Sie lässt störende Verhaltensweisen und überholte Muster zurück wie ein altes Kleid, das etliche Jahre elegant und zeitgemäss war. Oder sie verabschiedet sich von religiösen Dogmen, die bei tieferer Reflexion als einengend und entleert empfunden werden.

Dies gelingt durch die Kraft der Seele und ihrer Sehnsucht nach einer geistigen Heimat. Als treffliches Werkzeug dient dazu die individualisierte Sprache, die von einem eigenen Standpunkt und von einer unvoreingenommenen Offenheit dem Weltgeschehen gegenüber geprägt ist.

Der Staub, der sich auf Begrifflichkeiten wie Gott, Engel, geistige Hierarchien, Buddha oder Christus gelegt haben mag, wird wie Spinnweben, die sich an der Decke festgesetzt haben, beim nächsten Seelen-Frühjahrsputz weggefegt werden.

Der Zugang zur eigenen Spiritualität öffnet sich, und man entdeckt die guten Gemeinsamkeiten, die auch in der Welt sind, statt sich ausschliesslich in einem Konfrontationskurs gegen die Katastrophenszenarien aufzureiben.

Statt Wunden aufzureissen und mit Worten zu spielen, findet man die heilenden Worte der Seele. Diese sind mitfühlend sanft, gedanklich klar und zugleich von der Feuerkraft im Inneren des Menschen beseelt.

Die Seelensprache beflügelt den modernen Menschen. Sie trägt dazu bei, die seelischen und geistigen Ressourcen zielgerichtet und bewusst weiterzuentwickeln und sich der Kraft und der großen Verantwortung der eigenen Worte bewusst zu werden.