«Man muss gar nichts» - demenzjournal.com

Validation bei Demenz

«Man muss gar nichts»

Eine Tandemfahrt mit dem Liebsten: Dies ist für eine Teilnehmerin der Gesprächsgruppe pures Glück. Bild PD

Im Garten arbeiten, die Kinder zu Besuch haben, in die Oper gehen, mit Freunden singen, mit dem Liebsten Tandem fahren: Glück ist gar nicht so kompliziert, wie wir manchmal meinen. Dies zeigt sich in einer Gesprächsrunde mit Menschen mit Demenz.

Wöchentlich empfängt die Validationstrainerin Margrit Sigg eine Gruppe von Bewohner:innen in einem Demenzzentrum. Auf Wunsch von alzheimer.ch diskutierten in diesem Rahmen neun Frauen und ein Mann über Wünsche, Glück und Zufriedenheit:


Margrit Sigg: Wir möchten übers Glück reden. Was brauchen Sie zum Glücklichsein?

Dass die Kinder kommen.

Wie geht es Ihnen, wenn sie wieder gehen?

Dann bin ich traurig.

Wie kann man in einem solchen Moment wieder zufrieden werden?

Wenn man das loslässt, was einen hindert. Ich kann es aber nicht aufzählen.

Kann es sein, dass einem das Glück fehlt?

Ich hatte dann einfach das Gefühl, es ist zu viel gewesen – mein Mann in der Fremde. Aber er ist nicht mit Frauen gegangen. Das möchte ich jetzt gleich sagen, nicht dass ihr Ideen habt. Ich habe ihn vermisst. Aber wir haben auch Freude gehabt, als wir uns wieder gesehen haben. Ich habe nie komisch gedacht, wenn er nicht da war. Ich hatte einfach Vertrauen.

Wie kann man das Vertrauen aufbauen?

Es ist schwierig, in dem Sinne, dass man ihm vertraut. Und wenn man nach Hause kommt, und der andere sagt «ja, natürlich» und lügt einen an, dann ist es nicht besonders erfreulich.

Man muss nicht immer alles wollen, was man gerade gerne hätte. Das geht gar nicht.

Ich will einfach zufrieden sein. Das muss man selber finden. Man muss daran arbeiten. Aber dann ist es gut.

Einen Garten zu pflegen macht viele Menschen glücklich.Bild PD

Wie arbeitet man daran?

Dass man nicht alles erpresst quasi und meint, man müsse jetzt.

Man muss gar nichts. Es kommt, wenn wir alle an Christus glauben, ist es noch mehr, dass es zu jemand anderem kommt.

Wenn man einen Glauben hat, bekommt man die Kraft.

Ja, das würde ich sagen. Man kann sich nicht hinsetzen und sagen «jetzt renne ich durch die Gassen». Aber man hat dort reingeschaut, und man kann das wieder, und dann fängt man an zu schauen, was man davon nehmen kann. Es gibt Leute, die sagen «was, gehst du wieder turnen». Ja, das tut mir gut, und wenn du mitkommen willst, kommst du mit, und sonst lässt du es bleiben.

Gibt es Sachen, von denen Sie genug haben?

Ja, ich würde sagen, das gibt es bei allen Leuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand 50 Jahre lang nie einen Wunsch hat.

Was ist Ihr Wunsch?

Das können kleine Sachen sein, die einem plötzlich wieder in den Sinn kommen oder so. Wo man mal gewesen ist. Jetzt habe ich gerade nichts im Sinn.

Aber es kommt manchmal, wenn ich es nicht will. Aber es geht immer wieder.

Was ist, wenn einen das Glück verlässt?

Einmal ist es vorbei. Aber jetzt haben sie Grippe, darum kommen sie nicht.

Wenn man krank ist, hat einen das Glück verlassen.

Jaja. Zum Glück ist das bei uns nicht auch, darum ist es besser, dass sie nicht kommen, wenn sie den Husten haben.

Kann man glücklich sein, wenn man krank ist?

Wenn man gepflegt wird, ist man dankbar. Sie helfen, wenn es einem nicht gutgeht.

Was erwarten Sie von jemandem, der Sie pflegt?

Ich weiss es jetzt nicht im Moment, aber es kommt mir wieder in den Sinn. Denn jeder muss ja mal aufpassen, dass es nicht schlimm wird. Das ist dann nämlich der Arzt.

Was ist schlimm?

Wenn Sie nicht mehr atmen oder nicht mehr recht gehen können, oder es zum Essen nicht mehr reicht. Das ist das, was ich weiss von denen, die in meinem Haus, also in meinem Haus wohnen. Ich sehe das.

Wie ist es, wenn man einander freundlich begegnet?

Sie kommt mit einem Lachen und ich komme auch mit einem Lachen.

«Wie gehts?» und irgendwie ein kurzes Gespräch, und das ist es schon. Man soll nicht zur Seite gehen, sondern sollte draufzugehen. Ich bin auch eine, schon von Kind auf bin ich viel allein. Ich finde in meinem Inneren viel Kraft. Deshalb kann ich auch jeden ansprechen, wenn es hilft. Ich helfe den Leuten, die jetzt da sind.

Macht Sie das glücklich?

Ja. Ich singe gerne, ich singe gerne im Kreis.

Die Gemeinschaft tut Ihnen gut.

Ja, das brauche ich.

Geht euch das auch so?

Darf ich etwas fragen? Haben Sie das gleiche Gefühl wie andere? Das Gefühl von liebevoll miteinander sein? Und wenn man sieht, dass jemand nicht mehr kann, dass man es durchs Herz merkt und dann irgendwie helfen kann. Ich sage jetzt gerade, wie ich es heute Mittag gehabt habe. Das war sehr gut.

Was ist denn passiert?

Das ist jetzt die grosse Frage, die ich nur über mich erzählen kann. Es ist jemand, der sehr gut singt.

Können Sie ihr einen Rat geben, was sie machen soll, wenn sie ihre Lieben vermisst?

Draufzugehen. Die Leute ansprechen und fragen «kann ich helfen?». Man merkt es am Gesicht an. Ich habe es auch. Wenn einer auf einen zukommt und zurückschaut, dann sag ich Grüezi.

Gesang und Musik ermöglicht Lebensfreude.Bild PD

Was ist, wenn man keine lieben Leute um sich hat?

Das ist eine ganz grosse Welt, es ist nicht so einfach, von daher natürlich auch sehr komplex. Sind wir mit allen, eigentlich möchte man ja nicht, dass man einen hintergeht, demzufolge ist es eigentlich, würde man sich wünschen, dass es schnell vorübergeht oder gar nicht kommt.

Man wird nicht gerne hintergangen… Man braucht gute Leute um sich.

Ja. Verständige Leute. Das andere muss man liegen lassen, man muss es jedem selber überlassen.

Das ist schwierig.

Ich hatte auch mal eine Krise.

Die hatten wir alle.

Ich weiss auch nicht recht.

Was wünschen Sie sich?

Dass mir jemand hilft.

Wie kann man helfen?

Ich weiss es auch nicht recht.

Die Leute sind alle so verschieden, es ist sehr schwierig. Wenn jemand damit beschäftigt ist, geht es einfacher als bei jemandem, der plötzlich aus der Fabrik kommt und das sofort miterleben muss. Die haben es ja alle nicht gehabt.

Auch die, die in der Fabrik sind, finden etwas anderes, was sie glücklich oder traurig macht.

Wenn ich zum Beispiel mit dem Mann Velo fahren kann. Er hat natürlich nicht viel Zeit, er ist ein Sportler. Und dann bin ich glücklich, wenn er Zeit hat für uns und die Kinder. Dann fahren wir mit dem … mit dem …Wie sagt man, wenn es zwei sind?

Mit dem Tandem.

Ja. Aber ich mache nie den Dings vorne, nein.

Was ist, wenn der Mann nicht da ist und man nicht Velo fahren kann? Welches Glück gibt es dann?

Ich habe auch noch eins. Ich habe einen Schrebergarten. Ich habe ihn nicht allein, die Tochter macht viel. Wir haben Freude daran.

Es ist schön, wenn man etwas gemeinsam machen kann. Ich glaube, das gibt auch Energie.

Sie hat viel Besuch. Jetzt kommen sie nicht, weil sie Grippe haben. Damit sie nicht alle anstecken.

Er strahlt immer.

Er ist zufrieden.

Das ist sehr wichtig.

Und er spricht auch die Leute an.

Spürt man, wenn jemand etwas vermisst?

Ja, da habe ich viel Angst davor. Irgendwie, die Kinder sind da, und ich bin da. Ich habe ein Heimatgefühl, und das kommt jetzt nicht raus. Das kommt, wenn ich an die Luft gehe. Das brauche ich. Das war schon immer so. Wir haben als Kinder den Krieg mitgemacht, und das hat uns geprägt. Das ist tief. Wenn ich unter Leuten bin, weiss die eine, wie ich bin und so weiter, aber ich gebe mein Bestes.

Ich bewundere euch, wie ihr immer wieder euer Bestes gebt und sagt: Wir gehen weiter! Es ist eine grosse Kraft und eine grosse Gabe.

Wenn man jemand etwas zuliebe tun kann, tut es einem auch wohl. Da geht es einem wieder viel besser.

Weitermachen und nicht verzweifeln, und dann kommt der Partner eh nicht mit.

Bei mir ist es das Singen, das mir sehr viel Kraft gibt. Und wenn ich nur draussen etwas summe. Das gibt mir Kraft.

Ist man seines eigenen Glückes Schmied?

Das ist auch etwas zum Sagen. Damit man fixiert ist…

Damit man dran denkt.

Jaja.

Mein Vater ist krank geworden, und meine Mutter auch. Und ich habe drei am Hals gehabt. Es sind dann Verwandte gekommen und haben geschaut. Dann ist es gegangen. Es ist lange gegangen, bis sie es gesehen haben. Es ist gut jetzt. Wenn man zusammensitzen kann, ist es gut. Jetzt bin ich so weit, es wieder zu versuchen.

«Information über Demenz bleibt zentral demenzjournal.com leistet einen wichtigen Beitrag dazu.»

Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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Macht Fotografieren auch glücklich?

Ja. Vor allem, wenn man damit etwas bewirken kann. Aber auch sonst. Wenn man laufen geht und eine schöne Landschaft ist. Wenn es einem schlecht geht, kann man es anschauen, dann ist es schon schön, finde ich.

Haben Sie ein Hobby, dass Sie glücklich gemacht hat?

Sie haben sehr schöne Fingernägel!

Ich darf dazu sagen: Ich habe sie selber gemacht. Für mich war immer wichtig, dass ich leben kann wo… Es ist ja etwas, das jeder sagen kann: Das hab ich gemacht.

Man ist glücklich, wenn man das gemacht hat, was man wollte.

Ja, dann ist man wieder zufrieden.

Kann man das immer?

Sicher nicht immer. Ich weiss nicht, was mich daran gehindert hat. Plötzlich habe ich das einfach blöd gefunden (lacht). Jänu, dann musst du halt ein bisschen Gegenspur geben. Aber ich habe es geschafft, es ist gegangen.

Was hatten Sie sich gewünscht?

Das ist natürlich verschieden. Die hatten auch wieder andere Ideen, so einfach ist das nicht, einfach zu wechseln. Das geht auf beide Seiten. Es ist ja auch ein Mann.

Darf ich etwas sagen? Für gewöhnlich sind die Männer viel zurückgezogener. Die Frauen sind viel offener, und dann ist es viel einfacher. Das ist schon wahr, aber damit muss man leben.

Werden Frauen denn einfacher glücklich?

Das kann ich nicht sagen. Ich hatte nicht so viele Männer. Ich heiratete den, den ich hatte, und der war glücklich.

Das ist natürlich das Einfachste, den zu heiraten, der in Frage kommt. Aber manchmal geht es daneben.

Wenn man zu früh Ideen hat, nachher geht etwas schief, und schon ist es passiert. Meistens nimmt man sich zu viel vor. Und nachher bist du enttäuscht, wenn das nicht so ist, wie es … Aber ich meine, im Leben kannst du doch dann auch nachher, kannst du nicht nur das Schöne erleben. Es hat auch Sachen, mit denen du umgehen musst, die man nicht schön findet. Das Leben ist manchmal schon komisch.

Ja, manchmal ist es sogar komisch.

Sehr komisch.

Und es ist schwierig, sich dann wieder heraufzuholen. Da muss man schon eine gute Freundin haben oder so. Und dann geht es wieder.

Jaja, es geht schon.

Wenn man es im Kopf hat «wir schaffen es schon», dann ist die Hälfte schon gemacht.

Jaja, ich kann nicht klagen.

Ist es im Alter schwieriger, glücklich zu sein?

Es kommt darauf an, was man macht. Man kann nicht einfach herumsitzen und sagen «du bist jetzt alt». Man muss sich einen Schubs geben und einen Weg finden.

Ja, ich mache Musik mit der Orgel.

Was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir eigentlich einfach Zufriedenheit und liebe Leute um mich herum.

Ein Besuch in der Oper ist für eine Teilnehmerin der Gesprächsrunde pures Glück.Bild PD

Sind Sie jetzt glücklich?

Ja.

Wenn eine Fee kommt und Ihnen sagt: «Sie haben jetzt einen Wunsch frei». Was sagen Sie ihr?

Ich möchte nicht allein sein.

Dass ich nach Hause kann.

Ich weiss es nicht.

Auch nach Hause gehen.

Ja, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist.

Familie ist immer da, dass sie kommen.

Mir machen die Enkel Freude.

Ich muss zuerst noch verdauen.

Das ist jetzt aber gut, dass sie das so hat sagen können.

Lernvideo zur Validation bei Demenz «Ich will nach Hause!»

Lernvideo zur Validation bei Demenz

Was ist zu tun, wenn er einfach nur nach Hause will? alzheimer.ch/Marcus May

Macht Geld glücklich?

Ich würde sagen, schon zu einem gewissen Moment oder so. Aber wenn sie zu viel Geld haben, sollten sie es verteilen.

Der Trump hat viel Geld. Der hat einen Wolkenkratzer.

Ist er denn glücklich damit?

Ich glaube kaum, weil er so viele Millionen hat. Der hat eine Yacht und ein Flugzeug und einen Wolkenkratzer, und dann ist fertig. Was willst du dem noch schenken?

Bei manchen Männern hat man das Gefühl, sie seien am glücklichsten, wenn sie ein neues Auto bekommen.

Nicht alle, aber bei vielen haben Sie recht. Ein neues Velo ist auch gut.

Ich bin glücklich, wenn ich in die Oper kann. Ich kann das noch, Gott sei Dank! Ich kann es sehr geniessen.

Die Kunst kann einem viel Kraft geben.

Auch van Gogh und die, die schon lange tot sind.

Wenn man ein Bild anschauen kann, gibt es einem so viel.

Es ist alles zusammen. Was man sieht … Landschaften habe ich gern.