Alte Menschen sind – trotz körperlicher und kognitiver Einschränkungen – in der Regel zufriedener und gelassener als junge. Dies belegen verschiedene Studien. Sie zeigen weniger negative Emotionen wie Ärger, Feindseligkeit und Verachtung. Im Lauf des Lebens lernen Menschen, besser mit Verlusten umzugehen und lösen sich von nicht (mehr) erfüllbaren Wünschen.

Die Bewohner von Altersheimen bewegen sich mehrheitlich in der unteren Hälfte der maslowschen Bedürfnispyramide.

Physiologische Bedürfnisse wie (Nahrung, Atmung, Schlaf usw.) und Sicherheit  (körperliche Sicherheit, Materielles, Familie usw.) stehen im Zentrum, dazu kommen soziale Bedürfnisse, wie zum Beispiel der regelmässige Kontakt zu Angehörigen. Doch selbst wenn Familie und Freunde selten zu Besuch kommen, sind viele Bewohner von Altersheimen geneigt zu sagen: «Man muss zufrieden sein.»

Hinten angestellt

«Die Menschen, die heute alt sind, hatten niemals diese Vielfalt an Möglichkeiten und materiellen Ressourcen wie wir», sagt der St. Galler Sozialarbeiter und Geschichtensammler Bernhard Brack. «Sie mussten ums Überleben und die Existenz kämpfen und haben sich oft hinten angestellt.»

Während des zweiten Weltkriegs und bis in die 1960er-Jahre hinein war das Leben der meisten jungen Menschen voller Verpflichtungen. Der Speiseplan war einfach und eintönig.

Der Wunscherfüller Bernhard Brack.Bild Martin Mühlegg

Viele konnten nie den Beruf ergreifen, den sie sich gewünscht hatten. Geheiratet wurde oft aus Vernunft, Scheidungen gab es kaum. Brack erinnert sich an eine alte Frau, die in ihrer Demenz das Gefühl hatte, es strahle in ihrer Wohnung. Die Frau wollte einst Röntgenassistentin werden. Der Vater hatte es ihr nicht erlaubt — auch, weil die Ausbildung zu viel kostete.

Viele Menschen tragen ihre verborgenen Wünsche ins Grab. Manche von ihnen trauen sich aus den oben genannten Gründen nicht, ihre Wünsche zu äussern. Andere wollen «niemandem zur Last» fallen. Manchmal fehlen auch Geld und Ressourcen zur Erfüllung.

Brack hat es sich zur Aufgabe gemacht, dies zu ändern. Die von ihm gegründete Organisation «Geheime Wünsche» erfüllt Wünsche von Ostschweizer Altersheim-Bewohnern — vor allem von jenen, die wenig Geld und ausserhalb des Heimes kaum Sozialkontakte haben. Zuoberst auf der Wunschliste stehen Ausflüge an Orte, zu denen die Bewohner eine spezielle Beziehung haben (Das Projekt wurde im Dezember 2022 eingestellt).

Orte, Fahrzeuge und Tiere

Hans Breu besuchte mit seinen Wunscherfüllerinnen die Tamina-Brücke oberhalb von Bad Ragaz, weil er sich als ehemaliger Experte für Sondierbohrungen für aussergewöhnliche Bauwerke interessiert.

Vroni Lämmli reiste ins Engadin, wo sie die Ferien ihrer Kindheit verbracht hatte. Maria Wildhaber durfte einen Helikopterflug über den Wiggis (Berg im Kanton Glarus) unternehmen, wo ihr tödlich verunglückter Sohn als Jäger gewirkt hatte.

Hans Breu war fast 100 Jahre alt, als er über die Taminabrücke gehen durfte.Bild pd

Hoch im Kurs stehen Fahrzeuge und Verkehrsmittel: Die von Brack und seinem Team beglückten Menschen wünschten sich Ausflüge mit Schiffen, Motorrädern, Seilbahnen und Zügen. Beliebt bei den «Klienten» der Organisation «Geheime Wünsche» sind auch Kulturveranstaltungen, Zoos und Bauernhöfe.

«Aus meiner Erfahrung haben die Wünsche mit Geschichten zu tun, die ganz tief in der Seele haften geblieben sind», sagt Brack. «Es braucht den Ort oder den Ausflug als äusseren Aufhänger. Viel wichtiger ist, was sie dort erfahren haben. Beziehungen sind dabei zentral. Unsere Wunscherfüllerinnen unternehmen mit ihnen eine biografische Wanderung.»

Die Liebe zur Miss

Weil sich alte Menschen – vor allem demente mit eingeschränkter Sprache – schwer damit tun, ihre Wünsche zu äussern, durchlaufen die Wunscherfüllerinnen und die alten Menschen gemeinsam einen Prozess. Sie sprechen mit Angehörigen und Pflegenden, stöbern in Fotoalben oder betrachten Gegenstände, die der Erinnerung auf die Sprünge helfen könnten.

«Manchmal finden die Bewohner, man sollte keinen Aufwand betreiben für sie», so Brack. «Ich habe aber noch nie gehört, dass es nicht zur Wunscherfüllung gekommen ist.»

Video-Interview mit Bernhard Brack

Quelle alzheimer.ch/YouTube

Auch nicht erfüllte Wünsche können glücklich machen. Das neu erschienene Buch «Erlösungswege — Reife Gedanken und spätes Wirken» (Co-Autor ist Bernhard Brack) vermittelt in kleinen Episoden die Lebensphilosophien alter Menschen.

Das Buch erzählt die Geschichte eines alten und kranken Mannes, der einen Liebesbrief an die Miss Schweiz schreibt. Er weiss, dass die Miss weder den Brief beantworten noch seine Liebe erwidern wird. Aber er sagt: «Niemand sieht die Frauen so schön wie ich.»