«Die Pflege wird durch Corona teurer und teurer» - demenzjournal.com

Altersheime

«Die Pflege wird durch Corona teurer und teurer»

Ein Heim mit 20 leeren Betten verliert in Deutschland monatlich zwischen 60'000 und 100'000 Euro. Bild Adobe Stock

Höhere Kosten, mehr freie Betten, schlechteres Image und traumatisierte Mitarbeitende: Die Pandemie hat den Altersheimen zugesetzt. alzheimer.ch fragte beim deutschen Branchenverband bad e. V. nach.

Von Thomas Döveling und Martin Mühlegg

Der Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e. V. mit Hauptsitz in Essen wurde 1988 gegründet und gehört mit über 1000 zumeist privat geführten Pflegediensten und Heimen zu den bedeutendsten Branchenverbänden Deutschlands.

Andreas Kern (Vorsitzender des Bundesvorstands), Thomas Barz (Geschäftsführer des Alten und Pflegeheims «Haus am Denkmal» in Otterbach und 2. Vorsitzender des Landesverbands Rheinland-Pfalz) und Oliver Gahl (2. Vorsitzender des Landesverbandes Schleswig Holstein) beantworteten die Fragen von alzheimer.ch.

Inwiefern hat Corona den Markt und die Situation in der stationären Alterspflege verändert?

Andreas Kern: Was wir seit Beginn der Pandemie und insbesondere mit Beginn des ersten Lockdowns feststellen: Die Nachfrage nach einer stationären Pflege ohne vorliegende medizinische Notwendigkeit ging spürbar zurück.

Wir wissen aus Gesprächen: Die Menschen warten ab mit der Entscheidung, sich in die stationäre Pflege zu begeben.

Sie haben Sorge, aufgrund der Corona-Einschränkungen und trotz vorhandener Mobilität räumlich an das Pflegeheim gefesselt zu sein. Sie könnten ihre täglichen Gänge nicht mehr besorgen – kurz: Sie könnten nicht mehr aus dem Heim kommen.

Thomas Barz: Ein weiterer Grund für diese Situation ist, dass Angehörige während des Lockdowns eher zuhause waren und die Pflege übernahmen. Auch gab es wenig Entlassungen aus den Krankenhäusern hin zu den stationären Heimen. Verantwortlich dafür war auch die Sorge von Pflegebedürftigen und Angehörigen, dass im Pflegeheim eine Ansteckung erfolgt.

Gibt es verschiedene Szenarien, wie es weitergehen wird – je nach Entwicklung der Pandemie?

Andreas Kern: Da möchten wir etwas weiter ausholen. Manche unserer Einrichtungen wurden von der ersten Welle der Pandemie sehr hart getroffen. Wir haben in dieser Zeit viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner sterben sehen. Diese Erfahrung prägt uns selbstverständlich.

Inzwischen sieht es so aus: Alle Heimbewohnerinnen und -bewohner sowie alle Pflegekräfte konnten ein Impfangebot erhalten. Jetzt ist weitgehend Normalität eingekehrt – Besuch empfangen und zusammensitzen sind möglich.

Andreas Kern.PD

Die Kosten für die Pflege dürften durch die Schutzmassnahmen und -materialien gestiegen sein …

Andreas Kern: Was Corona unseren Einrichtungen gebracht hat und uns vermutlich mittel- bis langfristig beschäftigen wird: Die Preise für Schutzausrüstung sind explodiert. Zum Beispiel wurden die Paketpreise für Handschuhe verzehnfacht – man sagt an dieser Stelle oft leichthin: «Haben sich verzehnfacht», aber das wäre nicht korrekt formuliert.

Preisentwicklungen werden durch die Anbieter gesteuert, und man muss es wohl so sagen: Dieses Geschäft wurde gerne mitgenommen. Aktuell gibt es eine Tendenz zu leicht sinkenden Preisen, aber wir sind hier weit entfernt von den Vor-Corona-Zeiten. Es sieht so aus: Die Pflege wird durch Corona teurer und teurer, und ob dieser Prozess nach einem noch nicht absehbaren Ende der Pandemie gestoppt werden kann, steht in den Sternen.

Es fragt sich: Wer soll das bezahlen?

Andreas Kern: Für uns ist die spannende Frage, wie die Kostenträger, die Legislative und die Fachministerien auf diese für uns nachteilige Entwicklung reagieren. Es ist ja auch so, dass zum bereits bestehenden Fachkräftemangel diese Preissteigerungen hinzukommen und Einrichtungen, wie sie der bad e. V. vertritt, praktisch in die Zange genommen werden.

Im Moment ist der «Pflege-Rettungsschirm» tatsächlich eine grosse Hilfe.

Uns beschäftigt dennoch die Frage: Wie wird der Markt langfristig reagieren? Von der politischen Seite wünschen wir uns eine Verlängerung des Rettungsschirms. Der bad e. V. arbeitet gut mit politischen Entscheidungsträgern zusammen, um zu Lösungen zu gelangen. Aber klar ist auch, bei allen Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft: Irgendwann müssen die Pflegeeinrichtungen wieder allein laufen.

Welche Folgen hat die Pandemie für die Mitarbeitenden der Altenpflege?

Andreas Kern: Ich nenne an dieser Stelle das Stichwort Traumabewältigung: Die psychologische Betreuung von Pflegenden und Einrichtungsleitern ist absolut notwendig und wird durchgeführt. Wir machen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsprechende Angebote.

Das Problem ist allerdings, dass der Gang zum Psychologen in Deutschland keinen guten Ruf besitzt.

Das Standing solcher Angebote unterscheidet sich deutlich von dem in den USA. Auch sehen wir ein Geschlechter-Gefälle: Frauen nehmen solche Angebote in deutlich höherer Zahl an als die männlichen Pfleger. Hieran gilt es zu arbeiten, denn die psychische Gesundheit der Pflegekräfte liegt uns am Herzen und ist einer jener Bausteine für eine weiterhin hohe Qualität in unserer Einrichtung.

Thomas Barz.PD

Mitarbeitende und Bewohnende sind nun geimpft. Die Fallzahlen sind gesunken. Dies dürfte für eine Entspannung sorgen.

Thomas Barz: Corona wird uns erhalten bleiben, wie andere Viren auch. Aber man merkt auch, dass viele Menschen sich inzwischen sicherer fühlen. Das erkennen wir an einem Anstieg der Nachfrage nach Kurzzeitpflege, weil Reiseplanungen wieder möglich sind und weil die Heime in Fragen der Sicherheit rasch reagiert haben und nun auf einem guten Niveau sind.

Bei der Aufnahme neuer Bewohnerinnen und Bewohner sind wir gezwungen, nach dem Impfstatus zu fragen. Nicht geimpfte Menschen werden zwar aufgenommen, jedoch ausschliesslich mit PCR-Test und der Verpflichtung zum Tragen von Masken, mindestens eine Woche mit Maske in den Räumen. Diese Massnahmen sorgen für einen hohen Sicherheitsstandard.

Das Ansehen der Heime hat in der Pandemie gelitten. Wie begegnen Sie dieser Situation, was tun Sie fürs Image der Heime?

Oliver Gahl: Die Position der Einrichtungsinhaber hierzu ist: Alles steht und fällt mit der Kommunikation mit Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörigen. Wichtig war zunächst, dass wir eine schnelle Versorgung mit FFP2-Masken organisierten. Mit dem Testen haben unsere Einrichtungen bereits im Oktober begonnen. Einzelne Einrichtungen bekamen äusserst positive Rückmeldungen von Ärzten, dass alles adäquat organisiert wurde.

Grundsätzlich muss man feststellen, dass Beiträge von Journalisten, die sich mit der Situation in stationären Einrichtungen befassten und dabei, um die Lage der Bewohnerinnen und Bewohner zu beschreiben, Begriffe wie «eingesperrt» verwendeten, für unser Image wenig hilfreich waren.

Oliver Gahl.PD

Auch auf den Social Media waren zur Situation in den Heimen fast nur negative Kommentare zu lesen. Entspricht dieses Bild der Realität?

Oliver Gahl: Es gibt aus den einzelnen Orten, in denen Einrichtungen existieren, die vom bad e. V. vertreten werden, ausgesprochen positive Erlebnisse zu berichten. Sie zeugen, dass die teils doch eher negativen Berichte in den Tageszeitungen und anderen Medien von den Menschen in jenen Städten und Gemeinden ignoriert wurden.

Zum Beispiel waren in Orten, in denen Einrichtungen bereits seit vielen Jahren verankert sind, Musik-Bands kostenlos im Einsatz, zogen von Heim zu Heim und gaben Freiluft-Konzerte. Kinder buken Kekse für die Bewohnerinnen und Bewohner. Man sollte natürlich hinzufügen, dass solche Dinge insbesondere auf einer über viele Jahre gewachsenen Solidarität in kleineren Städten beruhen.

Es gab auch weitere unterstützende Gesten, zum Beispiel Angebote für das kostenlose Bereitstellen von Masken für unsere Einrichtungen. Wir können in diesem Zusammenhang festhalten: Die Berichterstattung in den Medien ist in Pandemie-Zeiten wichtig für das gesellschaftliche Ansehen unserer Einrichtungen. Das Image ist in erster Linie abhängig von der Kommunikation der Pflegeeinrichtungen nach ausserhalb.

Auf der einen Seite gibt es immer mehr ambulante Angebote. Auf der anderen Seite wird es in den kommenden Jahrzehnten mehr pflegebedürftige alte Menschen geben. Bisher ging man davon aus, dass es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten massiv mehr stationäre Pflegebetten braucht. Hat die Pandemie dies geändert?

Oliver Gahl: Gegenfrage: Weshalb sollte es wegen Corona weniger pflegebedürftige alte Menschen geben?

Weil viele alte Menschen daran gestorben sind. Und Corona hat den Trend zu «ambulant vor stationär» verstärkt. Damit dürfte der Bedarf an stationären Betten sinken.

Oliver Gahl: Die Corona-Pandemie hat die Alterspyramide nicht ausser Kraft gesetzt, der Anteil alter Menschen steigt weiterhin und damit auch die Pflegebedürftigkeit. Und der Anteil der Demenzkranken wiederum nimmt ebenfalls zu, was auch an einem immer höheren Altersschnitt liegt.

Pflegebedürftigkeit ist unserer Erfahrung nach meist eine Frage des Alters, weniger von Krankheiten.

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter an. Bei der stationären Pflege stellen wir fest, dass analog dazu das durchschnittliche Eintrittsalter ebenfalls steigt, was daran liegt, dass, sobald Pflegebedürftigkeit vorliegt, sehr oft zunächst die Unterstützung durch eine ambulante Pflege gewählt wird.

Die stationäre Lösung kommt für die meisten Menschen erst in Betracht, wenn die ambulante Pflege nicht mehr adäquat ist. Dass die ambulante Pflege in Deutschland Vorrangs-Charakter hat, ist einerseits sinnvoll, weil Menschen auch bei Pflegebedürftigkeit in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Andererseits ist es so, dass ohne die ambulanten Leistungserbringer das System der Heime bereits kollabiert wäre.

Auch in der Schweiz und in Österreich gibt es freie Betten

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Weniger einnehmen und mehr ausgeben

Hohes Ansteckungsrisiko, starke Besuchseinschränkungen und viele Todesfälle schaden dem Geschäftsgang und Image der Altersheime. Vor allem in Deutschland sind viele Pflegebetten leer, ohne … weiterlesen

Innerhalb der Einrichtungen sieht es so aus: Die Qualität der stationären Pflege steigt immer weiter. Wir sehen auch, dass der Grad der Pflegebedürftigkeit in den Einrichtungen stark gestiegen ist, was mit der oben genannten Entwicklung zusammenhängt, dass der Eintritt in das Heim erst nach Jahren der ambulanten Pflege gewählt wird. Viele Bewohnerinnen und Bewohner können nur noch bedingt an gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen.

Gibt es unter den Mitgliedern von bad e. V. viele freie Betten?

Thomas Barz: Ja, die Pandemie hat leider zu vielen freien Betten geführt. Zum einen, weil das Virus in den stationären Einrichtungen ideale Bedingungen vorfand, wie in vergleichbaren Einrichtungen auch. Der Unterschied besteht darin, dass Pflegebedürftige stärker erkrankten und überproportional viele Todesfälle zu beklagen sind.

Unseres Wissens erreicht aktuell kein Heim eine Auslastung von 95 Prozent.

Eher liegen die Zahlen bei 75 bis 80 Prozent. Das liegt sowohl an den Todesfällen wie auch daran, dass viele Pflegebedürftigen und deren Angehörigen nach der Entwicklung im Frühjahr 2020 zögern, den Schritt in eine stationäre Einrichtung zu machen.

Was bedeutet dies für die Heime?

Thomas Barz: Für die Einrichtungsleitungen bedeutet das, dass Personal in Urlaub geschickt wird, auf der anderen Seite ist ein Abbau der Überstunden nun möglich. Ein Stellenabbau wäre nicht die richtige Lösung – Einsparungen erfolgen eher bei flankierenden Angeboten wie der Alltagsbegleitung. Noch einmal ein Wort zum Rettungsschirm. Der hilft enorm, ohne dieses Instrument müssten wohl viele Heime schliessen.