Was Menschen hierzulande in Bezug auf ihre Gesundheit erwarten, interessiert jetzt auch Schweizer Politiker. Am 1. April 2021 ist das revidierte Gesetz zur Qualität und Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung in Kraft getreten.
Im Vorfeld hatte der Bundesrat die Schweizerische Patientenorganisation SPO beauftragt, Patienten nach ihren Erwartungen zu befragen. Leider fragte die SPO nur zwölf Personen. Das sind viel zu wenige, als dass man daraus verlässliche Informationen ziehen könnte.
Worüber die zehn Patienten mit chronischen, seltenen oder unklaren Krankheiten klagten: Die Mediziner hörten nicht zu, täten Beschwerden als psychosomatisch ab und hielten Schmerzen für eingebildet. Ärzte verschiedener Fachrichtungen würden sich nicht abstimmen und den Patienten nicht als ganzen Menschen sehen. Die Ergebnisse der SPO-Studie, so heisst es im Bundesamt für Gesundheit, flössen in die Entwicklung der neuen Qualitätsstrategie und in die 4-Jahresziele des Bundesrates ein.
Mit Erstaunen ist festzustellen, dass sich der Bundesrat hier auf eine derartig kleine Umfrage verlässt.
Und man fragt sich, warum das bisher so wenig untersucht wurde. Es finden sich nämlich keine aktuellen, systematischen, gut geplanten und ausreichend grossen Umfragen dazu, was Patienten sich hierzulande wünschen und was für sie für eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung dazugehört.
Die Patienten in der SPO-Umfrage möchten empathisch und als Individuum betrachtet und behandelt werden und nicht nur rein medizinisch, sie möchten transparent und verständlich informiert werden und Ärzte verschiedener Fachrichtungen sollten sich abstimmen – aber bitte nicht über den Kopf des Patienten hinweg.
Das, was sich diese Patienten wünschen, fordern Experten schon seit Jahren: Eine patientenzentrierte Medizin. Die Psychoanalytikerin Enid Balint – die gemeinsam mit ihrem Mann das Konzept der Balint-Gruppen entwickelte – beschrieb das schon 1969. 20 Jahre später entwickelte der englische Psychologe Tom Kitwood die personzentrierte Demenzpflege und -betreuung.
Patientenzentriert bedeutet, jeden Patienten als einzigartiges menschliches Wesen wahrzunehmen statt sie auf die jeweilige Erkrankung zu reduzieren.
Eine patientenzentrierte Medizin ist respektvoll gegenüber dem Patienten, sie geht auf seine Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse ein und medizinische Entscheidungen sind von seinen Werten geleitet.
In diesem Zusammenhang wird oft auch das Konzept der evidenzbasierten Medizin (EBM) genannt, was auf den kanadischen Arzt David Sackett zurückgeht. EBM bedeutet vereinfacht gesagt, dass ein Arzt seinen Patienten anhand aktuell bester Beweise aus wissenschaftlichen Studien, seiner eigenen Erfahrung und unter Einbeziehung der Wünsche des Patienten individuell berät und betreut.
Wie Gesund ist die Schweiz?
Gemäss der letzten Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2017 unter 22’134 Personen schätzen zwar mehr als 80 Prozent der Befragten ihre Gesundheit und ihre Lebensqualität als gut oder sehr gut ein. Aber jeder dritte gab an, er habe ein dauerhaftes Gesundheitsproblem. Das schlägt sich in den Arztbesuchen nieder. 7 von 10 Menschen ab 15 Jahren suchen mindestens einmal pro Jahr ihren Hausarzt auf.
Was die EBM-Ansätze zeigen: Es gibt keine «Schulmedizin» und keine «alternative» oder «komplementäre» Medizin. Es gibt nur eine Medizin, die wirkt oder nicht wirkt. Der Patient, seine Erwartungen, seine Wünsche und Vorstellungen stehen im Mittelpunkt.
Wir haben dazu einige Personen befragt. «Der Patient der Zukunft wird anspruchsvoller werden und besser informiert sein», sagt Peter, bis vor kurzem Vize-CEO in einer grossen Firma. «Darauf muss das Gesundheitssystem eingehen und sich anpassen.» Leider stehen dem noch diverse Probleme im Wege. Zum einen sind es die Rahmenbedingungen, die den Ärzten oftmals nicht die Zeit lassen, um mit den Patienten ausführlich zu sprechen.