Was bringt das «Leuchtturm-Projekt»? - demenzjournal.com

Plattform Mäander

Was bringt das «Leuchtturm-Projekt»?

Ein externes Gutachten bescheinigt dem kantonalen Demenz-Projekt «Mäander» Pioniercharakter. Unsplash

Die Zahl Demenzbetroffener wächst. Eine Herausforderung, welcher der Zürcher Regierungsrat mit einer neuen Stiftung begegnen will. Doch schon jetzt stösst die «Plattform Mäander» auf Widerstand.

Mäander sind Flussschlingen, die sich ihren Weg durch die Landschaft suchen. Mal schneller, mal langsamer, geformt durch Hindernisse. Genau das soll die «Plattform Mäander» tun: vielfältige Wege finden zur Integration von Menschen mit Demenz in unsere Gesellschaft.

Allerdings kostet allein die fünfjährige Startphase 1,6 Millionen Franken. 1,5 Millionen sollen aus dem Lotteriefonds kommen. Viel Geld für eine neue Institution, die es nach Ansicht einiger in dieser Form nicht braucht.

«Diese Stiftung ist eine Konkurrenz zu Bestehendem», findet Daniel Wagner, Initiator des Zürcher Demenz Meet, «und ein Affront für alle Engagierten, die für ihre Projekte um jeden Rappen kämpfen müssen».

«Wieso unterstützt man nicht Projekte, die es schon gibt?», fragt Regula Bockstaller, Inhaberin der Praxis 60 Plus. «Warum so ein bürokratischer Wasserkopf? Betroffene und Angehörige sehen keinen Rappen von diesem Geld». Eine nachvollziehbare Sorge, denn der grösste Kostenpunkt ist das Personal.

Die Gesellschaft muss ‹demenzfit› werden

Dass gehandelt werden muss, ist klar. Bis 2040 dürften im Kanton Zürich aufgrund der demografischen Entwicklung etwa 47’000 Menschen von einer Demenz betroffen sein. Zählt man das pflegende Umfeld dazu, sind das geschätzt 150’000 Betroffene.

Mäander: ein Produkt der Nationalen Demenzstrategie

2017 beauftragte der Zürcher Regierungsrat die Gesundheitsdirektion, eine Idee für eine Institution zu entwickeln, welche die Verbesserung der Lebensbedingungen von Betroffenen und deren Einbindung in die Gesellschaft fördert. Im Juli 2020 stimmte der Regierungsrat der Gründung der Stiftung Mäander zu. An der Entwicklung mitbeteiligt waren die Städte Zürich und Winterthur, der Zürcher Gemeindepräsidentenverband sowie Alzheimer Zürich und Pro Senectute.

«Unsere Gesellschaft ist gefordert, diese Menschen mitzunehmen», sagt Christoph Franck, Projektverantwortlicher der Gesundheitsdirektion Zürich. Menschen mit Demenz sollen so lange wie möglich zuhause bleiben können – um Pflegeinstitutionen zu entlasten und Betroffene in ihrem vertrauten Umfeld sowie in der Gesellschaft zu halten.

Deshalb will Mäander gemäss Regierungsrat «innovative Ideen» zur Reife bringen, die das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Demenz verbessern.

Dies indem die Stiftung in Match-Maker-Funktion Projektinitianten mit Projektpartnern, zum Beispiel aus der Praxis und der Wissenschaft, sowie Geldgebern zusammenbringt. Die Stiftung selbst leistet keine finanzielle Unterstützung.

«Die Projekte werden finanziert aus Eigenleistungen der Beteiligten und Beiträgen von Sponsoren. Das kann beispielsweise eine Stiftung sein, ein Pflegezentrum oder ein Detailhändler», so Franck, der Mäander nach dem Weggang der vormaligen Projektverantwortlichen Monique Arts übernommen hat.

Ein Kriterium für Mäander-Projekte ist die gesamtgesellschaftliche Ausrichtung: Es geht gemäss Franck nicht nur um die Bedürfnisse der Betroffenen, sondern auch um die der Gesellschaft und ihrer verschiedenen Akteure.

Ein «Pionierprojekt mit Leuchtturmpotenzial», resümiert ein externes Beratungsbüro, das mit der Konzeptprüfung betraut war.

Pilotprojekte versus reale Bedürfnisse?

Die Plattform will «koordinieren, initiieren, kommunizieren». Da das theoretisch klingt, sollen drei Pilotprojekte die Vision von Mäander fassbar machen:

  • Velokumpel: Ausfahrten mit Spezialfahrrädern für Menschen mit Demenz
  • Hotline Demenz: konfessionsübergreifender, seelsorgerischer Telefondienst für Direktbetroffene und ihre Angehörigen
  • MitDemenz: Kuraufenthalte mit Schulungs- und Präventionsangeboten für pflegende Angehörige

Vor dem Hintergrund, dass Mäander frische Ideen fördern will, gibt es hier Köpfeschütteln.

«Veloausflüge sind bei weitem nichts Neues», sagt Bockstaller, die in der Demenzszene gut vernetzt ist. «Einige Heime machen solche Ausfahrten mit Spezialrädern schon.» Dasselbe gelte für die Hotline Demenz: «Man kann jede Alzheimer Vereinigung und jede Altersbeauftragte anrufen.»

MitDemenz dagegen weckt Interesse. Hier geht es darum, pflegende Angehörige aufzufangen, bevor sie unter der Last ihrer Aufgabe zusammenbrechen. Ein Erholungs- und Schulungsangebot, bei dem die zu betreuende Person ebenfalls versorgt wird, tut Not.

Ansonsten scheinen die Pilotprojekte an den Bedürfnissen von Betroffenen vorbeizugehen. Einblicke in die drängendsten Probleme:

«Du kommst mit einer Diagnose aus der Klinik und stehst alleine da», sagt Wagner, der das Irren durch den ‹Demenz-Dschungel› als Angehöriger miterlebt hat. In einer hochbelastenden Situation müssen sich Betroffene und Angehörige selbst Informationen zusammensuchen.

Auch Fachleute sind überfordert. Es fehlt eine Übersicht über regionale Angebote und Anlaufstellen, wie Birte Weinheimer, Fachleitung Psychologie in der Memory Clinic Entlisberg, bestätigt.

Das «Demenzmanifest» bündelt Forderungen an die Politik:

Demenzmanifest

Jetzt reden wir Klartext!

Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen haben in der Online-Aktion «demenzstrategie.ch» Forderungen gestellt: Ein System, das die krankheitsbedingte Betreuung und Beratung bezahlt. Vernetzte … weiterlesen

Da Angehörige neben ihrem Beruf bis zu 60 Stunden pro Woche Pflege- und Betreuungsarbeit leisten, braucht es dringend finanzielle Unterstützung respektive Entlastung. Problematisch auch die fehlende Wertschätzung: «Man muss sich schämen, verstecken, während man durch die fortschreitende Krankheit gleichzeitig Verlust erlebt», erläutert Bockstaller.

Denn Demenz ist noch immer tabuisiert. Durch die engen Wert- und Normvorstellungen fallen Menschen mit Demenz aus unserer Gesellschaft. Wir brauchen mehr Selbstverständlichkeit im Umgang mit Demenz, mehr Sensibilität und Wissen.

Während Versorgungsfragen explizit ausgeklammert werden, ist die Enttabuisierung ein Kernanliegen von Mäander.

Leider findet das in den Pilotprojekten keinen Niederschlag. «Die Projekte sollen die Wirkungsweise von Mäander illustrieren. Wir haben Ideen ausgewählt, die einfach realisierbar waren und wofür wir rasch Partner finden konnten», begründet Franck die Wahl.

Veronique Tischhauser, Direktorin von Pro Senectute, plädiert dafür, Mäander nicht an diesen drei «Beispielen» zu definieren. Es stellt sich die Frage: Woran dann?

Warum Mäander auf Gegenwind trifft

Dass Vision und Gestalt von Mäander nicht greifbar werden, ist nicht das einzige Problem. Mäander zeigt neuralgische Stellen im Zusammenwirken zwischen Politik und Verwaltung, Fachorganisationen, Betroffenen und Angehörigen auf.

«Wir haben zwei Ebenen und zwischen beiden ist eine Betonplatte, die nicht durchlässig ist», so Wagner. «Oben sind die Institutionen, Behörden und Fachleute, unten die Betroffenen und die Angehörigen». Ein strukturelles Problem, durch das kein kreativer Austausch stattfindet: «Bei der Bedürfnisabklärung wurden nur die Institutionen vorgeladen, doch das ist ein Silo-Denken. Mäander ist ein Silo».

Top-down statt Bottom-up.

Vertreten sind Betroffene und Angehörige zwar durch Fachorganisationen wie Alzheimer Zürich oder Pro Senectute, jedoch nur indirekt. Zum Zürcher Demenzforum – der Plattform, auf der 2014 bis 2020 die Demenzproblematik und auch Mäander diskutiert wurde – waren die üblichen Player geladen. Einen Echo-Raum mit Betroffenen gab es nicht.

Kritik entzündet sich zudem an der Summe von 1,6 Millionen Franken, die für die Startphase aufgewandt werden sollen. Auch Claudia Günzel, Initiantin des Projekts MitDemenz und überzeugt von der Idee hinter Mäander, zweifelt: «Dass so viel Geld fliesst, ist nicht gerechtfertigt».

Eine Befürchtung ist, dass Mäander Spendengelder abziehen wird.

Wie werden sich Stiftungen und Sponsoren verhalten, sollte Mäander seine Arbeit aufnehmen? Was bedeutet das für bestehende Projekte oder Ideen, die es nicht zum Mäander-Projekt gebracht haben?

Projektverantwortlicher Franck betont: Das Ziel sei, «zusätzliche Finanzierungsquellen in der Wirtschaft zu erschliessen. Wenn Mäander am Ende einfach ein weiterer Player ist, der sich um dieselben Mittel bemüht, dann hat das Projekt sein Ziel verfehlt».

«Information über Demenz bleibt zentral demenzjournal.com leistet einen wichtigen Beitrag dazu.»

Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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Was es braucht

Wo der Nutzen von Mäander in seiner Urform liegt, zeigt sich am Beispiel von MitDemenz. Da Günzel ihre Idee eines Kuraufenthalts für Angehörige bereits vor Mäander vorantrieb, handelt es sich nicht um ein eigentliches Pilotprojekt. Doch es war Monique Arts, die ihr den Kontakt zur Versicherungsgesellschaft Helsana vermittelte und ihr so Türen öffnete.

«Monique Arts war für mich die Personifizierung von Mäander. Sie hat mich in gesundheitspolitischen und geschäftstechnischen Fragen beraten, wo ich als Krankenschwester aufgelaufen wäre», sagt Günzel. Der Grundgedanke von Mäander ist also ein guter. Aber:

«Es braucht keine neue Stiftung, um ein paar Fäden zwischen Projekt und Sponsor zu ziehen. Das hätte man in bestehende Strukturen einbinden können».

Unkompliziert, kostenschonend und niederschwellig muss es sein. Eine weitere Institution würde die ohnehin unübersichtliche Demenzlandschaft noch verwirrender machen, findet Sarah Müller, Geschäftsführerin des Entlastungsdiensts Zürich.

Das Geld sollte direkt den Betroffenen und Angehörigen zugutekommen, nicht in Betriebskosten verdampfen. Wie viele fordert Müller, in bestehende Angebote und deren Sichtbarkeit zu investieren.

Denn was fehlt, ist eine Plattform, die alle vorhandenen Angebote lokal aufgeschlüsselt abbildet. Vernetzen statt «initiieren» und «koordinieren», mehr braucht es auch gemäss Wagner nicht.

Wie geht es weiter?

Mäander steht in den Startlöchern. Jetzt muss der Kantonsrat entscheiden, ob er die Vorlage des Regierungsrats unterstützen will. Werden die 1,5 Millionen Franken gesprochen, geht es an die Gründung der Stiftung. Ab nächstem Jahr könnte die Plattform den Betrieb aufnehmen.

«Wir sind in einer entscheidenden Phase», sagt Tischhauser von Pro Senectute. «Mäander muss sich erst formell konstituieren, und doch wird gleichzeitig versucht, die Arbeit durch Pilotprojekte visibel zu machen.»

Letzteres ist noch nicht gelungen. Alle drei Pilotprojekte sind vor allem durch Corona ins Stocken geraten, wie Franck mitteilt. Auch sei es schwierig, Partner aus der Wirtschaft zu finden, solange es die Stiftung noch nicht gebe.

Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt Velokumpel, dessen Testfahrt in Arts privatem Umfeld stattfand. Hier steht noch das Konzept der ZHAW-Studentinnen aus, die das Projekt wissenschaftlich begleitet haben. Nichts Neues gibt es bei der Hotline Demenz. Das Projekt befindet sich auf der Pendenzenliste der Spital- und Klinikseelsorge der Katholischen Kirche Zürich. Auch wie es mit MitDemenz weitergeht, steht gemäss Günzel «in den Sternen». Das Projekt ist komplex, die Finanzierung schwierig. Doch immerhin hat Alzheimer Schweiz nun Interesse signalisiert, das Patronat zu übernehmen.

So bleiben viele Fragen offen, gerade was die Ausgestaltung von Mäander betrifft. Wer wählt aus, welche Projekte gefördert werden? Nach welchen Kriterien? Wie wird die Qualitätssicherung gewährleistet? Ist die langfristige Finanzierung von Mäander durch Beiträge der Partnerorganisationen, Projektpauschalen und Sponsoren wirklich nachhaltig? Und ist Mäander mehr als eine blosse «Ablasshandlung», nach der der Kanton die Hände in den Schoss legen kann, wie Bockstaller befürchtet?

Neben dem geringen Output der Pilotprojekte schürt die schwache Kommunikation die Skepsis.

Die offiziellen Dokumente sind wenig konkret, die Website der Plattform Mäander nicht aufrufbar. Sprich: Viele wissen nicht, worin hier eigentlich investiert werden soll. Das und der fehlende Austausch mit der Basis sorgen für Verwirrung, wecken Ängste.

Es müsste nicht sein, denn die Idee hinter Mäander ist wertvoll. Doch Organisationen und private Ehrenamtliche müssen mitgetragen werden. Sie brauchen die Zusicherung, dass ihr liebevoll vorangetriebenes Projekt nicht im Schatten des Leuchtturms verschwindet.

«Es ist uns bewusst, dass Mäander als Konkurrenz gesehen werden könnte», sagt Franck. «Doch wir wollen nichts in die bestehende Landschaft hineinzwingen. Das Projekt wird nur funktionieren, wenn auch der Nutzen gesehen wird. Von diesem Nutzen sind wir überzeugt. Den Tatbeweis werden wir erbringen müssen.»

Die Gefahr besteht, dass allzu rasch ein Unterfangen verurteilt wird, bevor es die Chance hatte, seinen Wert zu beweisen. Denkbar ist jedoch auch, dass viel Geld und Ressourcen in den Sand gesetzt werden, sollte Mäander der Papiertiger bleiben, der es aktuell ist.

Das Mäander-Projekt

Bringt das Projekt einen Mehrwert für Menschen mit Demenz? alzheimer.ch/youtube