Orientierung im Demenz-Dschungel - demenzjournal.com

Demenzkompass

Orientierung im Demenz-Dschungel

Der Demenzkompass soll das Auffinden geeigneter Angebote im Bereich Demenz erleichtern. Bild PD

Im April 2019 nahm die Onlineplattform Demenzkompass den Betrieb auf. Ihr Ziel ist die überregionale Vernetzung von Akteuren im Bereich Demenz, um Betroffenen die Suche nach Informationen zu erleichtern. Wie funktioniert das und wo steht das Projekt aktuell?

Menschen mit Demenz und deren Angehörige haben viele Fragen, die sie rasch und kompetent geklärt haben wollen: Wo kann man sich abklären lassen? Wie entwickelt sich eine Demenz und was bedeutet das für das künftige Miteinander? Welche Unterstützungsangebote gibt es? Wie lässt sich die Selbständigkeit möglichst lange wahren?

Das Gesundheitsnetz Berner Oberland (GBO) lancierte im Frühjahr 2019 ein Pilotprojekt, das Betroffenen, Angehörigen, aber auch Fachpersonen die Beantwortung ihrer Fragen erleichtern soll: den Demenzkompass.

Die Online-Plattform ist im Entstehen begriffen.

Noch wirkt sie wie ein Gerüst. Das Haus lässt sich erahnen, doch bis es fertig ist, bleibt viel zu tun. Aline Tillmann, Projektleiterin der Kompetenzerweiterung Demenz der Spitex Region Interlaken, betreut den Aufbau.

Im Gespräch mit alzheimer.ch gibt sie Einblick in die Hintergründe des Projekts: «Als Betroffener oder Angehöriger ist es belastend, Angebote und Fachwissen zu suchen. Rasch wird es zu komplex. Auch wenn ich als Fachperson nach einer Tagesstätte suche, muss ich auf jeder Pflegeheimhomepage prüfen, ob dort so etwas angeboten wird. Da haben wir gemerkt, wir brauchen einen Kompass, der einen durch diesen Demenz-Dschungel führt».

Zentrales Navigationselement ist – in der Desktopansicht – die Windrose. Dort können Besucher Rubriken wie Krankheit, Beratung oder Wohnform anwählen. Wer beispielsweise mehr über den Umgang mit Demenz erfahren möchte, wird auf eine Unterseite mit einer ausdifferenzierten Windrose weitergeleitet.Bild 1

Der Fokus liegt auf der knappen Information sowie insbesondere der Vernetzung. Entsprechend wichtig ist die Kartennavigation mit Filtermöglichkeit, das Alleinstellungsmerkmal, wie Tillmann betont: «Ich verliere mich nicht im grossen Ganzen, sondern kann nach Ort und gesuchter Dienstleistung eingrenzen».

Teil eines grösseren Projekts: Vernetzung und Kooperation

Der Demenzkompass ist das erste Produkt des Gesundheitsnetzes Berner Oberland. Der Verein wurde 2018 von Pflegefachleuten, Ärztinnen, Therapeuten, Psychologinnen, Heimen, der Spitex, Beratungsstellen und anderen Leistungserbringern aus der Region gegründet.

Seine Mitglieder trafen sich bereits ab 2016 regelmässig im Netzwerk Demenz, um die Kooperation zu fördern.

Sowohl Kompass als auch Gesundheitsnetzwerk sind Elemente eines grösseren Unterfangens, das gemäss Tillmann entstand, weil «die Strukturen für Menschen mit Demenz bei der Spitex ungenügend sind». Geringe Fachkompetenz oder wechselnde Ansprechpartner etwa erschweren die Unterstützung Betroffener und Angehöriger.

Deshalb etablierte die Spitex Region Interlaken 2016 die «Demenztour».

Indem Hausbesuche von stets demselben Pflegeteam durchgeführt werden (maximal fünf Mitarbeitende pro Klient), werden Wechsel reduziert. Spezifisch ausgebildete «Demenz Coaches» begleiten Betroffene und Angehörige. Sie folgen dem Recovery-Ansatz, der auf eine individuelle Strategie unter Einbezug des Umfelds abzielt.

In Zusammenarbeit mit der Memory Clinic Interlaken funktioniert das System bereits: Nach der Diagnose erhält der Betroffene einen Demenz Coach, der das Betreuungsnetz (Dienstleister, Angehörige und Freunde) erfasst, aktiviert und berät.

Unter Umständen kann er dabei auf Leistungsanbieter zurückgreifen, die bereits im Demenzkompass verzeichnet sind.Bild 2

«Die Prämisse ist: Wir tragen die Person, die zuhause erkrankt ist, gemeinsam», sagt Tillmann. Denn nur eine gute Netzwerkstruktur ermöglicht Menschen mit Demenz ein selbstbestimmtes Leben zuhause. Aktuell gibt es fünf Coaches. Das Ziel ist, das Modell überkantonal zu etablieren.

Know-How abrufen, Kräfte bündeln, vernetzen. Diese Idee steckt auch hinter dem Demenzkompass. Wie die Plattform funktioniert und wo das Projekt aktuell steht, verriet uns Aline Tillmann in einem Interview.

Von der Idee zum Kompass – Interview mit Aline Tillmann

alzheimer.ch: Frau Tillmann, was waren die Anfänge dieser Landkarte für Demenz-Dienstleistungen?

Aline Tillmann: Ich habe in der Entwicklungsphase ab 2016 rund zwanzig Leistungserbringer aus der Region Oberland/Ost eingeladen. Ärzte, Angehörige, Therapeuten, Sozialdienste, Mitarbeitende aus der Spitex, der Memory Clinic und der Alzheimer Vereinigung.

Dieses Netzwerk hat sich während zwei Jahren alle zwei Monate getroffen. Und wir haben gemerkt, dass das eine tragfähige Netzwerkstruktur ist, die man online abbilden müsste. Aus dem Netzwerk Demenz haben wir dann den Verein Gesundheitsnetz Berner Oberland (GBO) gegründet. Das erste Produkt des Vereins ist der Demenzkompass.

Wie sind Sie bei der Entwicklung vorgegangen?

Wir haben geschaut, was die Überthemen im Bereich Demenz sind. Diese Themen entsprechen den Teilen der Windrose auf der Startseite. Dann wurde das Fachwissen der einzelnen Netzwerkteilnehmer abgerufen.

Zum Beispiel hat der Arzt von der Memory Clinic das Thema Diagnostik aufgebaut. Den Bereich Wohnform hat die Heimleitung übernommen.

Was kann der Kompass?

Der Kompass vermittelt einerseits Fachwissen. Andererseits können Betroffene gezielt nach Angeboten suchen, indem sie in der Karte ihre Postleitzahl eingeben. Oder wenn Sie als Fachperson ein Formular für eine Anmeldung in der Memory Clinic suchen, können Sie sich das direkt herunterladen.

Wie erfahren Angehörige oder Betroffene von diesem Angebot?

In erster Linie über Mund-zu-Mund-Werbung oder Zeitungsartikel. Wir durften uns ausserdem dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorstellen, das im Anschluss eine Broschüre für Fachpersonen herausgegeben hat. Es ist auch angedacht, dass jeder Leistungserbringer, der auf der Plattform abgebildet ist, die Seite bei sich vernetzt.

Der Demenzkompass lebt also von der Vernetzung?

Genau. Die Idee ist, dass sich dort funktionierende Netzwerke abbilden können. Wir konnten zum Beispiel die Spitex Luzern für das Projekt gewinnen. Diese wiederum hat ein Netzwerktreffen, an dem wir den Kompass vorstellen durften. Die Leistungserbringer selbst vernetzen sich weiter – Mund zu Mund oder via Social Media.

Wie werde ich als Organisation in den Demenz-Kompass aufgenommen?

Sie schreiben eine Mail an info@demenzkompass.ch oder füllen das Formular auf der Website aus. Der Vorstand des GBO entscheidet anhand festgelegter Kriterien, ob Ihre Organisation die Anforderungen erfüllt.

Zum Beispiel genügt es nicht, eine beliebige Spitex-Organisation zu sein. Man muss kompetent in Bezug auf Demenz und ein anerkannter Player im schweizerischen Gesundheitswesen sein.

Es ist wichtig, dass es sich um ein seriöses Angebot handelt, das seine Arbeitskräfte nicht ausbeutet. Und Sie müssen bereit sein, sich zu vernetzen.

Und wenn man aufgenommen wird?

Zahlt man eine jährliche Lizenzgebühr von 220 CHF sowie eine einmalige Aufschaltgebühr von 100 CHF. Gewinnorientierte Unternehmen zahlen die Aufschaltgebühr pro Standort, nicht gewinnorientierte einmalig.

Hemmt das Lizenzmodell nicht die breite Abbildung der Angebote?

Das GBO ist ein gemeinnütziger Verein. Gleichwohl haben wir Unterhaltskosten. Die Anschubfinanzierung hat die Spitex Region Interlaken übernommen, aber langfristig muss sich die Plattform tragen. Wir haben die Lizenzgebühren jedoch bewusst tief gehalten.

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Wie ist der aktuelle Stand, wenn Sie ein Jahr Revue passieren lassen?

Der Demenzkompass ist in der Bekanntmachungsphase. Jetzt sind rund 50 Anbieter vertreten. Diese Zahl soll sich bald verdoppeln, wenngleich der Zeithorizont schwer zu definieren ist.

Wir wollen schauen, wie es anläuft. Es wurden bereits Kontakte geknüpft, die sich wiederum bemühen, ihr Netzwerk zu aktivieren. Es braucht Leute, die vor Ort anpacken.

Was ist Ihre Vision für den Demenzkompass?

Dass schweizweit alle kompetenten Angebote im Bereich Demenz auf dieser Plattform aufgeschaltet sind. Damit Betroffene, Angehörige und Fachpersonen über die Kartennavigation einfach zu ihrem Angebot kommen.

Wo sehen Sie Optimierungsmöglichkeiten?

Es sollen mehr Kantone dazukommen. Ausserdem wollen wir den Kompass auf Französisch und Italienisch übersetzen, damit auch die Westschweiz und das Tessin abgebildet sind. Auch das Fachwissen kann man erweitern.

Das Spannende an dem Projekt ist, dass die Inputs aus dem Netzwerk selbst kommen. Der Demenzkompass ist eine Plattform, die nach wie vor in der Entwicklung ist.