«Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» – wir müssen wohl damit leben, dass die Kostenträger diesem Prinzip folgen. Gegen das eigentliche Ziel der Kontrolle, die Überprüfung der Richtigkeit einer Pflegestufe, haben wir nichts einzuwenden.
Und eigentlich haben wir auch ganz allgemein gegen externe Kontrollen nichts einzuwenden, stellen doch alle Gäste, Besucherinnen und Angehörige, die tagtäglich bei uns ein und aus gehen, in gewisser Weise auch immer eine Kontrolle unserer Arbeit dar.
All diese Menschen erleben uns in unserem Alltag hautnah. Sie sehen, was wir tun, wie wir es tun und mit welchem Ergebnis wir es tun. Sie geben uns Rückmeldungen und zeigen uns damit immer wieder auf, was uns gut gelingt und was wir noch weiterentwickeln können. Über diese Art der Kontrolle freuen wir uns, ihr stellen wir uns gerne.
Wie gestaltet sich demgegenüber ein Pflegecontrolling?
Variante 1
Eine Krankenkasse bittet uns schriftlich um die Zustellung diverser Dokumente, welche die ausgewiesene Pflegestufe belegen sollen. Eine Vertreterin der Kasse prüft dann an ihrem Arbeitsplatz, ob die von uns erstellte Pflegedokumentation die Aussagen und Informationen enthält, welche das Erfassungssystem RAI als Nachweis für die Richtigkeit der Pflegestufe vorgibt. Es wird nicht geprüft, was wir tun, warum wir es tun, wie wir es tun, mit welchem Ergebnis wir es tun – nein, es wird nur geprüft, was wir, und vor allem auch, wie wir es aufgeschrieben haben.
Variante 2
Eine Vertreterin der Krankenkasse meldet sich zu einem Pflegecontrolling vor Ort an. Sie vereinbart einen Termin und informiert uns, welche Einstufungen sie überprüfen wird. Am vereinbarten Termin begutachtet sie dann (wie bei Variante 1) die relevanten Dokumente und fällt ihren Entscheid. Einige Kassenvertreterinnen suchen ergänzend zur Dokumentation noch das Gespräch mit den Pflegenden, andere verzichten darauf. Auch bei dieser Variante geht es also um das Geschriebene, teilweise ergänzt durch mündliche Ausführungen, nicht aber um das tatsächlich Geschehene. Es zählt, was und wie es auf dem Papier steht.
Beide Varianten entsprechen den heutigen rechtlichen Voraussetzungen, sie sind vertraglich legitimiert. Bei beiden Varianten spielt die subjektive Meinung der Prüferin eine entscheidende Rolle. Die Begründungen für die Beurteilungen sind häufig sehr individuell geprägt, manchmal sogar widersprüchlich formuliert.
Von Januar bis Juni 2018 erlebten wir in der Sonnweid insgesamt acht Pflegecontrollings. Dabei wurde die Korrektheit der von uns über das System RAI generierten Pflegestufen von 25 Bewohnenden überprüft – durch ehemalige Wohngemeinden und durch verschiedene Krankenkassen.
Dienen diese Kontrollen nun auch denen, um die es geht – den Menschen, die bei uns leben? Führen sie, und die damit eingeforderte Dokumentation, zu dem, was die Kassen in ihrer Selbstdarstellung versprechen: «ganz persönlich», «Orientierung an den Bedürfnissen unserer Kunden», «die Gesundheit im Mittelpunkt», «mit Einschränkungen gut leben können»? Wir glauben: NEIN.
Ein Pflegecontrolling in der heutigen Form führt nicht zu mehr Qualität in der Betreuung!
Wir werden aufgefordert, das, was wir tun, möglichst häufig, möglichst ausführlich und möglichst in einer Sprache, die nicht immer unsere Alltagssprache ist, zu dokumentieren. Ob diese Dokumentation den Menschen nutzt, interessiert nicht und wird auch nicht geprüft. Hauptsache, das Papier ist voll.
Das Controlling prüft nicht die Realität, sondern das zu Papier gebrachte Abbild der Realität. Aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel heraus kann sogar gesagt werden, dass die Form des Controllings zwei grundlegende Gütekriterien von Messungen oder Erhebungen missachtet: die Validität und die Objektivität.