Die Schweiz im Jahr 1917: Das Land ist schlecht vorbereitet auf den Ersten Weltkrieg. Reallöhne und Kaufkraft sinken bis zu 30 Prozent, viele Familien verarmen. Besonders hart trifft die Krise jene Menschen, die keine Arbeit haben. Alte Menschen und Witwen, die nicht auf die Unterstützung ihrer Familie zählen können, sind auf Notstandsunterstützung und Almosen angewiesen. Pflegebedürftige alte Menschen leben in Asylen unter ärmsten Bedingungen.

Gleichzeitig steigern die Unternehmer ihre Umsätze und Gewinne. Viele dieser Kriegsgewinnler protzen mit ihrem neuen Reichtum und sorgen damit für Empörung. 1918 macht die Armee mobil, weil ein Volksaufstand droht.

In diesem Umfeld kommen 1917 in Winterthur zehn Männer – Ärzte, Pfarrer und Fürsorger – mit der Absicht zusammen, ein Hilfswerk für die «bedürftigen Greise beiderlei Geschlechts» zu gründen.

Ein Mittagstisch in den 1990er-Jahren.Bild Pro Senectute

Ein halbes Jahr später wird in Bern formell die Stiftung «Für das Alter» gegründet (seit 1978 Pro Senectute). Ihr wichtigstes Anliegen – dies ist unter anderem in den Statuten verbürgt – ist die Schaffung einer Altersversicherung. Erst 30 Jahre später sollte diese Vision in Form der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) Wirklichkeit werden.

«Bei der Recherche wurde mir deutlich, wie mühsam das Ringen um die AHV war», sagt Kurt Seifert. Der Sozialpädagoge arbeitete von 1999 bis 2016 als Fachmann für Forschung und Grundlagenarbeit für die Pro Senectute. Zum 100-jährigen Bestehen hat er das Buch «Eine Jahrhundertgeschichte – Pro Senectute und die Schweiz 1917 – 2017» geschrieben.

«Die grossen Enttäuschungen sind immer wieder spürbar. Ich habe grosse Achtung vor diesen Menschen, die ihre Vision nie aus den Augen verloren haben.»

Kurt Seifert

In den bürgerlichen Kreisen sei die Ansicht verbreitet gewesen, dass die Familien für die Vorsorge zuständig seien. Für Menschen in Not reiche die Fürsorge aus. Zudem hätten die Versicherungsunternehmer erfolgreich gegen eine Altersversicherung lobbyiert. «Dass die Schweiz den Sozialstaat später als andere Länder eingerichtet hat, hängt auch mit dem Föderalismus zusammen.»

Das Buch «Eine Jahrhundertgeschichte» zeigt die gesellschaftlich-politischen Zusammenhänge der vergangenen 100 Jahre auf. Es enthält viele eindrückliche Fotos aus dieser Zeit. Es zeigt zum Beispiel die Mobilmachung der Armee im Jahr 1918, Bilder aus Armenhäusern oder Demonstrationen für mehr Arbeitsplätze.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einführung der AHV ändern sich die Bilder. In den 1950er-Jahren beginnt die Zeit des bürgerlichen Ehe- und Familienmodells: Der Ehemann sorgt allein für die Existenz, die Ehefrau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Autos, Waschmaschinen, allerlei Küchengeräte und später auch Fernseher versüssen den Alltag und ermöglichen mehr Freizeit.

Auch die Pro Senectute und die Arbeit für alte Menschen sind im Wandel: Im Winter 1953/54 bietet das Zürcher Kantonalkomitee erstmals einen Hauspflegedienst an. 1960 öffnet in Bern die erste «Beratungsstelle für Betagte». In den 1970er- und 1980er Jahren folgen mit dem Dreisäulenmodell (obligatorische Pensionskasse) und dem Ausbau der Ergänzungsleistungen weitere Verbesserungen, die alten Menschen zugutekommen.

Heute, 100 Jahre nach der Pioniertat der zehn Männer aus Winterthur, nehmen 700’000 Menschen die Dienstleistungen der Pro Senectute in Anspruch.

Die Pro Senectute Schweiz hat 24 kantonale und interkantonale Organisationen. Sie unterhält über 130 Beratungsstellen und vertritt die Interessen von alten Menschen gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit. Mit verschiedenen Anlässen und Aktionen feiert die Pro Senectute in diesem Jahr ihr Jubiläum.