Wer derzeit auf sozialen Medien Seniorenwohnhäuser «besucht», bekommt einen oft sehr heimeligen Eindruck. Da wird gebastelt, vorgelesen, videotelefoniert. Mit Mundschutz, aber mit viel sichtbarem Engagement des Personals und freudigen Gesichtern bei den Bewohnenden. Wer auf sozialen Medien die Einträge von Angehörigen liest, wird schnell traurig.
Da ist von Tränen die Rede, von Unverständnis, von Angst vor einem Abschied ohne Kontakt, von Abbau und Frustration, weil digitale Medien zu verwirrend für den Kontakt sind. Und von Überforderung mit der Anfrage vom Heim, ob die Angehörigen im Fall einer Infektion ins Krankenhaus gebracht werden sollen. Zwei Seiten einer Medaille, könnte man denken.
So sei es nun mal immer schon gewesen, was für die einen (Bewohnende) eine gute neue Normalität ist, belastet die anderen (Angehörige) aus unterschiedlichen Gründen. Man könnte auch denken, dass von beiden Seiten nur die extremen Ränder sichtbar sind, weil sich weder die Wohnhäuser digital in den mühsamen Alltag abseits der frohen Stunden blicken lassen noch die zufriedenen Angehörigen viel schreiben.
Sicher ist, dass die Belastung in den Seniorenwohnhäusern für das Personal derzeit groß ist.
Dass die der Politik scheinbar die Langzeitpflege ausblendet (zum Beispiel in den Expertenstäben). Und dass die Angehörigen in ihrer Angst und Ohnmacht ziemlich allein sind. Hier müssen politische Forderungen und ausgleichende Angebote ansetzen.
Wichtiger aber scheint mir, was sich in Nebensätzen, zwischen den Zeilen, in den kaum publizierten Fakten abbildet. Mit der langsamen Entspannung der Lage sollten wir dringend auf Themen schauen, die sich nun gezeigt haben. Ich möchte drei herausgreifen – durchaus zugespitzt und ohne jemals die Leistungen der Langzeitpflege im Geringsten in Frage zu stellen!
«Jetzt ist endlich mal Ruhe»
Dass nun keine Angehörigen, keine Ehrenamtlichen, keine Dienstleister usw. ins Haus kommen, führt zu einer gewissen Ruhe in den Häusern. Man könnte es wohl damit vergleichen, dass wir auch zu Hause jetzt ein wenig «runterkommen» und sich alles entschleunigt.
Einerseits bietet dieses Aufatmen der Einrichtungen die Chance, hinzusehen, was vielleicht wirklich zu viel war davor, Aktionismus oder «Wildwuchs». Aber wenn die Abwesenheit von Angehörigen und Ehrenamtlichen als wohltuend erlebt wird, ist es doch Zeit für eine kritische Reflexion. Zumal, wenn dann Angehörige als «Menschen von außen» betrachtet werden.
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Nachdem viele Häuser mit großem Engagement schon lange daran gearbeitet haben, sich zu öffnen für die Kommune, Angehörige als Teil des Systems zu verstehen, durch freiwilliges Engagement die Lebensqualität zu verbessern, muss dieses Aufatmen sehr nachdenklich stimmen. Ist eine Voraussetzung für gute Pflege, dass niemand dabei stört?
«Die Angehörigen leiden ja mehr unter der Distanz als die Bewohner»
Klarerweise ist es die Aufgabe der Einrichtungen, für das Wohlergehen ihrer Klientinnen und Klienten zu sorgen, in jeder Hinsicht. Aber diese sind eben keine abgeschnittenen Wesen, sie sind (meist) Teil einer Familie, mit ihrer eigenen Dynamik und Geschichte.
Ein Mensch wird ja nicht zum familienlosen Bewohner, wenn er seinen Wohnort in eine Einrichtung verlegt. Er ist und bleibt eingebunden in ein Gewebe, das wir nie ganz verstehen werden und auch nicht müssen. Die Sorge für und die Sorge der Angehörigen sind wesentliche Lebensvollzüge auch in einer fortschreitenden Demenz.