Pflegen und berufstätig sein: Wie kann es gelingen? - demenzjournal.com

Alzheimer und wir

Pflegen und berufstätig sein: Wie kann es gelingen?

Was es braucht: mehr Zeit, Austausch und Stolz auf die Pflege-Aufgabe. Bild Peggy Elfmann

Ob sich Beruf und Pflege vereinbaren lassen, hängt immer von der individuellen Situation ab – vor allem natürlich von der Art des Jobs und den Pflege-Aufgaben. Wie können pflegende Angehörige für sich eine Lösung finden?

Ich erinnere mich daran, dass mich eine Kollegin kurz nach der Alzheimer-Diagnose meiner Mama fragte, ob ich meinen Job aufgeben würde. Mir schien das damals total absurd. Ich bin wahnsinnig gerne Journalistin und arbeite auch gerne.

Mal davon abgesehen, ging es meiner Mama noch sehr gut. Und so konnte ich das Thema ein wenig wegschieben, auch weil ich wusste, dass mein Papa sich gut um meine Mama kümmert. Das tut er immer noch, aber mittlerweile braucht Mama Pflege und Betreuung rund um die Uhr.

Die Frage «Pflegen oder berufstätig sein?» habe ich mir also aus bestimmten Gründen wieder gestellt.

Ich möchte meinen Papa unterstützen und mich um Mama kümmern, bin aber bislang nur alle paar Wochen vor Ort, da ich mit meinen Kindern weit entfernt von meinen Eltern wohne. Daher organisiere ich vor allem Dinge wie Hilfsmittel aus der Ferne, führe telefonische Gespräche mit Tagespflege oder Arzt und bin Gesprächspartnernin für Papa. Ich merke, dass mich das schon ziemlich fordert.

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«Ich erinnere mich an diese Phase als sehr anspruchsvolle und anstrengende Zeit in Erinnerung. Mein Vater brauchte Pflege, meine Mutter hatte eine Demenz, ich war berufstätig in einem sehr schönen Job und hatte zwei kleine Kinder. Es war ein permanentes Hopping von einem zum anderen und der Versuch viele Bälle in der Luft zu halten», erzählt Anja Kälin in der neuen Folge von Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie.

Berufstätig sein und pflegen: Den Job aufgeben?

Die Statistik zeigt, dass Anja und ich mit unseren Erfahrungen nicht alleine sind. Drei von zehn Pflegepersonen von Menschen mit Demenz sind berufstätig, zeigt eine Erhebung des Zentrums für Qualität in der Pflege.

Die Pflegenden sind damit in einer Lebensphase, die eine dreifache Belastung darstellt: Sie tragen Pflegeverantwortung, sind berufstätig und haben eigene Kinder. Keine Überraschung also, dass sich viele pflegende Angehörige überlastet fühlen.

«Wäre es da besser, den Beruf aufzugeben?», habe ich Anja gefragt. «Das sollte man nicht leichtfertig tun», sagt sie. «Ein erfülltes Berufsleben ist ja etwas ganz Wundervolles. Es ist identitätsstiftend, man hat soziale Kontakte, es gibt eine Struktur und ist wichtig für den Erhalt des Lebensunterhalts.»

Über die Pflegesituation sprechen

Aber was tun, wenn man pflegen und berufstätig sein möchte? Wie kann man für sich eine Lösung finden? Hilft es, darüber zu sprechen?

Ich habe gute Erfahrungen gemacht damit, offen mit der Krankheit meiner Mama umzugehen.

Anfangs habe ich gezögert, denn zum einen wollte ich nicht mit jedem Kollegen, jeder Kollegin über mein Privatleben sprechen. Und zum anderen hatte ich Bedenken, wie dies in meinem Arbeitsumfeld ankommen würde. Aber als Journalistin habe ich da auch deutlich mehr Freiheiten als andere Angestellte.

«Es kommen immer wieder Menschen zur Beratung, die Angst vor Arbeitsplatzverlust haben oder Mobbing spüren aufgrund ihrer Pflegesituation», erzählt Anja von ihren Erfahrungen als Coach für pflegende Angehörige. Was kann man da tun? Nicht jeder Vorgesetzte reagiert so offen und hilfsbereit, wie ich es erlebt habe. Nicht jeder Kollege, jede Kollegin sind so interessiert und unterstützend wie meine KollegInnen.

«Meist sind die Bedenken nur Kopfkino – und man kann darüber reden. Die Unternehmen sind in der Regel ja interessiert daran, ihre Mitarbeiter zu halten», sagt Anja.

Sie rät dazu, kreativ zu werden, wenn es um die Vereinbarkeit geht. «Nur weil es bisher in einer Firma immer so war, heisst es nicht, dass es immer so sein muss. Man kann Arbeit auch anders organisieren. Es sind oft viel mehr Lösungen möglich, als man zunächst denkt.»

Welche Leistungen gibt es für berufstätige pflegende Angehörige?

Auch Arbeitgeber wissen oft gar nicht, was sie tun können. Laut einer ZQP-Unternehmensbefragung fehlen 62 Prozent der befragten Personalverantwortlichen Informationen darüber, welche Mitarbeiter tatsächlich Unterstützungsbedarf haben.

Im ersten Schritt ist es sinnvoll, die eigene Situation zu reflektieren und dann zu überlegen, in welchem Bereich man etwas ändern kann.

Braucht man mehr Zeit für die Pflege, kann man sich informieren, welche Leistungen es für pflegende Angehörige gibt. Zum Beispiel gibt es die Familienpflegezeit und die Pflegezeit. 

Wer kurzfristig die Pflege eines nahen Angehörigen übernehmen oder regeln muss, hat das Recht auf eine Freistellung von bis zu zehn Tagen und kann dafür ein Pflegeunterstützungsgeld beantragen.

(Mehr Infos findet ihr auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums. Hier gibt es zum Beispiel auch einen Familienpflegezeit-Rechner.)

Quelle Youtube

Vielleicht kann man die Arbeit anders aufteilen und Aufgaben abgeben, um Stunden zu reduzieren. Auch Jobsharing ist eine Möglichkeit. Vielen pflegenden Angehörigen hilft Homeoffice. Auch die Verhinderungspflege unterstützt im Alltag und ist eine gute Möglichkeit, um Job und Pflege besser miteinander zu vereinbaren.

Vorbilder suchen lohnt sich – und stolz sein

Wer im Job keine Veränderungen vornehmen möchte oder kann, dem hilft es möglicherweise, das Pflege-Netzwerk zu erweitern und Aufgaben zu verteilen, etwa indem man Ehrenamtliche, Demenzbegleiter oder einen Pflegedienst hinzuzieht.

Auch eine Tagespflege oder ein Pflegeheim kann eine Lösung sein. Mein Tipp: Sich Role Models suchen.

Ich dachte lange, dass ich alleine bin mit meiner Aufgabe als pflegende Angehörige. Doch als ich näher hinschaute und mit meinen Kollegen mehr über die Alzheimer-Erkrankung meiner Mama sprach, merkte ich, dass es noch weitere Kolleginnen gab, die sich um ihre Eltern kümmern. Dieser Austausch hat mir geholfen.

Ich wünsche mir, dass das Pflegen eines Menschen und eine möglicherweise verbundene Auszeit oder Reduzierung im Job normal wird. Niemand sollte sich für die Pflege schämen oder stressen. Ich wünsche mir, dass Pflegen als eine wertvolle Aufgabe angesehen und wertgeschätzt wird.

Denn genau das ist es: Wer einen Menschen pflegt, leistet eine wichtige Tätigkeit und lernt dabei neue Fähigkeiten, die auch für den Job eine Bereicherung und Ressource sein können. Somit profitieren Unternehmen sogar von der Pflege-Erfahrung.

Ich hoffe, ihr findet einen guten Weg für euch. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Podcast-Folge Pflege, Beruf und Familie vereinbaren euch dabei unterstützen kann.

«Information über Demenz bleibt zentral demenzjournal.com leistet einen wichtigen Beitrag dazu.»

Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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