Kann man ins Spital, wenn man eine Patientenverfügung hat?

Quergedacht

Patienten-Verfügungen gegen Bettenknappheit?

Weshalb drängen plötzlich so viele Ärztinnen und Ethiker darauf, als älterer oder vorerkrankter Mensch solle man sich damit auseinandersetzen, ob man überhaupt noch eine Intensivbehandlung möchte? Warum ausgerechnet jetzt? Bild PD

Mein Mann hat eine beginnende Demenz. Nun lese ich überall, man solle eine Patientenverfügung aufsetzen. Muss ich ihn davon überzeugen? Ich habe Angst, dass man ihn dann nicht mehr ins Spital aufnimmt, sollte er an Covid-19 erkranken.

Die Befürchtung überrascht nicht. Liest man Zeitung oder schaut fern, lässt sich der Eindruck gewinnen, dass Patientenverfügungen dabei helfen sollen, überfüllte Intensivstationen zu verhindern.

Wenn möglichst viele Personen – gerade diejenigen, denen ein schwerer Verlauf der Krankheit droht – festlegen, dass sie lieber keine Intensivtherapie und schon gar kein Beatmungsgerät in Anspruch nehmen möchten, bleiben eher genügend Betten für die anderen übrig. Die Gefahr einer Knappheit sinkt.

Ärztinnen und ihre Behandlungsteams kommen dann nicht in die fürchterliche Lage, auswählen zu müssen, wem sie das letzte freie Bett geben und wer leer ausgeht – und deswegen womöglich stirbt.

Ob derartige Situationen entstehen oder nicht, entscheidet sich in den Alters- und Pflegeheimen, hiess es vergangene Woche in der Nachrichtensendung 10vor10, denn dort sollen die Patientenverfügungen zu Papier gebracht werden.

Da kann man schon auf den Gedanken kommen, es bestünde eine moralische Pflicht, sich selbst vorzeitig auszusortieren. Oder es dem eigenen Partner nahezulegen.

Nicht doch! – wenden nun gerne diejenigen ein, die für Patientenverfügungen werben. Schliesslich könne eine jede und ein jeder ablehnen, ein solches Dokument zu verfassen. Es bleibe selbstverständlich die freie Entscheidung des Einzelnen, es zu tun oder zu lassen.

Aber! – und dann folgen Argumente, weshalb es eben doch eine gute Idee ist, sich eine Patientenverfügung zuzulegen. Oder noch besser: Sich mit einer Expertin zusammenzusetzen, die einen über Krankheiten und deren Prognosen informiert und einem dabei hilft, die eigenen Wünsche zu Papier zu bringen; also ein sogenanntes Advance Care Planning durchzuführen.

Denn darum geht es angeblich: Dass die Ärztinnen auch wirklich tun, was der Patient wünscht. Aber wer möchte schon eine Therapie mit zweifelhaften Erfolgsaussichten? Die einen, falls man sie überlebt, womöglich langfristig schwer zeichnet?

Ziehen es die meisten von uns denn nicht ohnehin vor, nicht an Schläuchen auf einer Intensivstation zu liegen und erst recht nicht dort zu sterben?

Eine Patientenverfügung kann einen sicher davor bewahren. Und zudem: Möchte man es seinen Angehörigen aufbürden, eines Tages unter Druck einer Behandlung zuzustimmen oder sie abzulehnen, weil man es versäumt hat, eine Vorausverfügung zu erstellen?

Eine rundum gute Idee, so eine Patientenverfügung, legen ihre Befürworterinnen nahe. Und natürlich kann, wer mag, hineinschreiben, er wünsche das volle Programm – Schläuche, Beatmung und so weiter … . Solange es medizinisch Sinn ergibt, wird dem gefolgt.

Niemand muss sich sorgen, dass man ihn oder den Ehegatten abweist und einfach sterben lässt. Schon gar nicht, wenn er noch selbst zu entscheiden vermag, denn in diesem Fall kommt die Patientenverfügung gar nicht zum Einsatz.

Also alles gut? Nun ja. Nicht von ungefähr kommen Ängste auf. Wenngleich allenthalben versichert wird, es könne sich auf eine völlig ergebnisoffene Beratung verlassen, wer sich von einer Expertin bei der Erstellung einer Patientenverfügung helfen lässt, liegen einige Fragen nahe:

Weshalb drängen plötzlich so viele Ärztinnen und Ethiker darauf, als älterer oder vorerkrankter Mensch solle man sich damit auseinandersetzen, ob man überhaupt noch eine Intensivbehandlung möchte? Warum ausgerechnet jetzt?

Weil sich damit die Erwartung verbindet, es liessen sich Engpässe auf Intensivstationen vermeiden, wenn viele Menschen eine Patientenverfügung verfassen – wie es in der Nachrichtensendung anklang? Weil man davon ausgeht, die Leute würden sich gegen die Intensivtherapie entscheiden – und nicht für das volle Programm?

Gern schliesst sich dem die Behauptung an, ältere Menschen wollten sowieso nicht mehr auf die Intensivstation. Um zu suggerieren, das sei auch ganz richtig so? Denn ihr Leben ende ohnehin bald. Und ob es nicht sowieso jeglicher Lebensqualität entbehre?

Wie ergebnisoffen verläuft eine Konsultation, wenn der Experte mutmasst, ein alter Mann verzichte ohnehin lieber auf eine Beatmung? Und wie leicht fällt es, ein Beratungsgespräch zu verweigern, wenn man wieder und wieder zu hören bekommt, wie wichtig es doch sei, sich über seine Behandlungswünsche Gedanken zu machen?

Gerade dann, wenn man sich verletzlich fühlt, etwa weil man krank ist? Oder anders: Wie naiv ist es zu glauben, jeder und jede entzöge sich ohne Weiteres dem, was die Medien Tag für Tag lautstark präsentieren?

Es ist nicht lange her, da fürchteten viele Patienten, Ärzte könnten sie monatelang, künstlich beatmet und ernährt vor sich hinvegetieren lassen, obwohl sie lieber stürben.

Das Schreckgespenst einer paternalistischen Medizin, die keinerlei Rücksicht auf den Willen der Patientinnen und Patienten nimmt.

Inzwischen gilt das als überwunden. Was die einzelne Patientin wünscht, soll im Zentrum stehen, der Respekt ihrer Autonomie. Doch wie weit her ist es damit, wenn die Sorge aufkommt, dem eigenen Ehemann würde womöglich die Behandlung verweigert?