Mich hat der Film angeregt, auch in meinem Leben, in meinem Alltag den Blick auf Veränderungen zu richten. Was ist – noch – möglich? Was gibt es auszuprobieren? Wo steht eine Veränderung an? Nicht nur in der Kunst geht es darum, auch im ganz gewöhnlichen Alltag. Soll die Küche etwas praktischer eingerichtet werden? Brauche ich eine Trittleiter, um Regale zu erreichen, die eines Tages zu hoch sein werden? Soll ich mir eine gute Lupe kaufen?
In die erste Fassung dieses Textes schlich sich haufenweise das Wort noch ein, das mir meine Lebensgefährtin beim Gegenlesen jeweils anstrich. Sie hat recht. Noch ist eines jener kleinen Wörter, die viel nach sich ziehen. Noch deutet in die Zukunft: Jetzt kann ich noch dies und jenes, aber, leise drohend: bald vielleicht schon nicht mehr.
Es zeigt, dass mein Altersblick auf zukünftige Defizite ausgerichtet ist. Das noch tritt häufig gemeinsam mit dem nur auf. Die beiden unscheinbaren Wörtchen bewerten Aussagen, die nicht bewertet werden müssten. Ich kann noch zwei Stunden am Stück gehen. Oder: Ich kann nur zwei Stunden gehen. Beide Sätze klingen anders als die schlichte Aussage: Ich kann zwei Stunden am Stück gehen.
Sich den auf Defizite ausgerichtete Blick auf das Altern abzugewöhnen, ist nicht einfach.
Ein Artikel im Tagesanzeiger
3 weist darauf hin, dass der defizitäre Blick
nicht die Realität abbildet. Die geistigen Fähigkeiten, so lese ich, würden erstaunlich stabil bleiben. Die
Aussetzer, Vergesslichkeit und Verwechslungen würden überbewertet.
Alte Menschen seien vielleicht weniger schnell, dies mache jedoch die Erfahrung wett. Die Forschung konzentriere sich auf die Unterschiede zwischen Jung und Alt, und nicht darauf, was trotz Alterungsprozess erhalten bleibe. Das präge die öffentliche Wahrnehmung. Offenbar prägt es auch meine eigene. Dabei ist im Alter vieles möglich, sogar Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
Auch die Autorin Hanna Gagel berichtet von der Schaffenskraft des Alters. In ihrem Buch So viel Energie – Künstlerinnen in der dritten Lebensphase4 porträtiert sie 16 Künstlerinnen, die einen grossen Teil ihres Werkes im höheren Alter schufen.
Sie berichtet von Helen Dahm, die erst mit 75 wirklich Anerkennung fand und mit 76 den Kunstpreis der Stadt Zürich erhielt. Sie arbeitete bis zu ihrem Tod mit fast 90 Jahren. In einem Radiointerview sagte sie 78-jährig: Ein grosses Geschenk ist es, alt werden zu dürfen.