Von Wörtern und Namen - demenzjournal.com

Pandemie-Poesie

Von Wörtern und Namen

Neue Wörter am Laufmeter – Die Pandemie lädt ein zur Wortspielerei und philosophischen Reflexion. Bild Pixabay

Seit Beginn der Corona-Krise sind einige Wörter aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Esther Spinner macht sich ans Erfinden, indem sie mit Buchstaben spielt. Dabei entdeckt sie verblüffende Aussagen, die sie inspirieren.

Die unsicheren Zeiten begannen mit einem Wort: neuartiges Coronavirus. Dieses neuartige Virus war zunächst weit weg, veränderte dann im Näherkommen seine Gestalt, heisst nun immer noch neuartiges Coronavirus oder nur Coronavirus, heisst aber auch Covid 19 oder SARS-CoV-2.

Mit diesen drei Wörtern begann es. Bald kamen neue hinzu. Ich lernte das social distancing kennen und den lockdown. Social Distancing, las ich bald, sei eigentlich nicht korrekt, denn es gehe um eine physische und nicht um eine soziale Distanzierung.

Der Lockdown wurde akzeptiert und verbreitete sich weltweit. Überall wurden Läden und Restaurants geschlossen, abgeschlossen, zugeschlossen. Zugeschlossen und heruntergefahren? Kann ich mir das Wort so erklären? Das Wort Flickenteppich, das danach aufkam, verstand ich gut.

Ein Kanton war gelb, ein anderer rot oder grün – und alle zeigten verschiedene Muster, ein Flickenteppich eben, bis der Bund eingriff und verlangte: Bleiben Sie zu Hause. Bitte. Alle.

Also blieben wir zu Hause, bis jetzt, wo alles wiederum anders ist. Das Wort Rückdown las ich und überlegte mir, wie das geht, dieses retour und hinunter zugleich. Ich dachte an eine Treppe, zum Beispiel eine Auszugstreppe, die in Häusern aus den Fünfziger Jahren in den Estrich führt, und die man nur hinderschi, also mit dem Rücken voran, hinunterklettern kann.

Ich sah das Bild vor mir: wir alle, alt und jung, wie wir solche Treppen hinunterklettern, und damit das Geschehene quasi ungeschehen machen.

Doch so einfach ist es nicht, der Rückdown, so heisst es, kann sehr schnell wieder in einen Lockdown führen. Aber zunächst öffnen wir das Krisenfenster, ein Wort, das die Bundespräsidentin benutzte. Wir öffnen es, und ein frischer Wind soll durch unser Leben wehen. Oder wir öffnen das Fenster und erleichtern damit der Krise und dem Virus den Einzug in unseren Alltag. Ein Doppelwort also, positiv oder negativ zu gebrauchen.

Vieles ist nicht eindeutig.

Ob die Masken nützen oder nicht, muss ich selbst entscheiden, ob ich hinaus gehen soll oder nicht ebenfalls. Denn nun dürfen auch Menschen in meinem Alter wieder hinaus. Doch wie oft, wie lange, wohin und mit wem, alles ungeklärte Fragen, die ich mir früher nicht stellen musste.

Auch wie lange es dauert, bis wir wieder leben wie früher, ist offen. Und auch, ob dieses frühere Leben sich überhaupt je wieder einstellt und ob ich genau dieses frühere Leben wieder haben möchte. Schnell wird es nicht kommen, das höre ich täglich. Ein Marathon ist kein Kurzstreckenrennen.

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Teuer wird er auch, dieser Marathon. So oft wie in den letzten Tagen habe ich das Wort Milliarde noch nie gehört, dabei weiss ich nicht einmal, mit wie vielen Nullen sie geschrieben wird. Aber ausgegeben werden die Milliarden, denn, so meinte ein Politiker: Demokratie kostet.

Ich kann nur hoffen, dass auch ein bisschen etwas von dem Geld dem Klima zugute kommt und denjenigen, die überall auf der Welt von hundert Franken träumen und nicht von Milliarden.

Wenn ich genug habe von diesen sich widersprechenden und sich wiederholenden Informationen, mache ich mich ans Anagrammieren.

Das bedeutet, dass ich die Buchstaben eines Wortes oder eines Satzes umstelle zu einem neuen Wort oder Satz. Die einzige Regel: Es müssen alle Buchstaben wieder verwendet werden. So entsteht aus der Amsel die Selma und aus dem Tiger die Greti.

In unsicheren Zeiten

In unsicheren Zeiten
nutze ich reine Sinne
zu sichten eine inner
neue Innensicht – Reiz
eint Schreien zu Nein
zur einen, einen Sicht
stuerze ich? nein nein
ich ersinne Unzeiten
Zen-Runen – seit ich ein
Ich in unseren Zeiten
nutze ich reine Sinne
in unsicheren Zeiten
April 2020

Schwieriger wird es mit längeren Aussagen. Ich versuche mich an In unsicheren Zeiten und bin erstaunt, was ich in diesen Zeiten entdecke. Ich finde in dieser Zeile die Zen-Runen, das Wort Unzeiten und auch eine neue Innensicht.

Nach langem Hin- und Herschieben von Buchstaben, nach dem Aufschreiben vieler neuer Zeilen, die alle die Buchstaben der Ausgangszeile enthalten, habe ich die Wahl. Welche Zeilen setze ich zusammen? In unsicheren Zeiten / nutze ich reine Sinne – so lautet eine Zeile.

Es gibt also etwas zu nutzen, meine Sinne, die reinen Sinne. Heisst das, mich auf mich zurückbesinnen? Zwei weitere Zeilen besagen: Schreien eint zu Nein / zur einen, einen Sicht. Das würde Mehrsichtigkeit bedeuten, würde heissen, verschiedene Facetten eines Problems, einer Schwierigkeit zu betrachten. So wie das Maskentragen nicht einfach gut oder schlecht, nützlich oder unnütz ist.

Ein Nein zur einen, einen Sicht heisst, sich öffnen für andere Meinungen, für verschiedene Sichtweisen, heisst, den eigenen zu Blick erweitern, die Neugier nicht zu verlieren und andere wegen abweichender Vorstellungen nicht zu verurteilen. Auch nicht die Impfgegnerinnen und Verschwörungstheoretiker, was mir nicht leicht fällt.

Nur wenig leichter fällt es mir, die indischen Eltern zu verstehen, die ihre neugeborenen Zwillinge Corona und Covid genannt haben sollen.

Schliesslich ist Corona eine Heilige. Sie sei in Heiligenlexika verzeichnet als die Patronin der Metzger und Schatzsucher, schreibt Anna Stüssi im Berner Länggassblatt, und, so lese ich, auch zuständig bei (Vieh)Seuchen. Die Pfarrei Naters-Mund habe sogar ein Gebet an die Heilige aufgeschaltet.

Die Zwillingseltern nennen nicht die Heilige als Grund für ihre Namenswahl. Sie sagen, das Virus sei zwar lebensbedrohlich, habe aber die Menschen dazu gebracht, stärker auf Hygiene zu achten, was positiv sei.

Anders argumentieren die russischen Eltern, die ihrem Sohn den Namen Kovid gaben. Der Name klinge schön, sei originell und habe eine starke Energie. Eben wie das Virus, das sehr energisch die Welt durchquert.

Spätestens, wenn Corona und Kovid in den Kindergarten kommen, hat sich das Virus hoffentlich verzogen. Oder die Erkrankung ist zumindest behandelbar. Und bis dahin? Bäume umarmen, empfiehlt eine Freundin. Das stelle ich mir durchaus hilfreich vor in Zeiten, in denen der Abstand zwischen den Menschen lebensrettend sein kann.

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Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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