In der Botschaft des Bundesrats zum neuen Erwachsenenschutzrecht wird die Förderung der Selbstbestimmung als vorrangiges Ziel der Gesetzgebungsrevision genannt. Für dasselbe Ziel treten Ethikerinnen und Ethiker seit geraumer Zeit ein. Mancher Geschichtsschreiber der modernen Bioethik reduziert diese sogar auf den Kampf um die Akzeptanz von Patientenrechten.
Das heisst natürlich nicht, dass die neue Gesetzgebung Einfluss und Argumenten der Ethik geschuldet ist. Ein Wandel des Zeitgeistes spielt eine weit grössere Rolle.
Zur beruflichen Verantwortung von Ethiker:innen gehört es, sich möglichst nicht von Zeitströmungen beeinflussen zu lassen, sondern diese kritisch zu beurteilen. Das Ziel, dem Selbstbestimmungsrecht zu mehr Achtung zu verhelfen, hält jedoch einer kritischen Hinterfragung stand.
Es nicht zu tun, ist auch ein Recht
Umso wichtiger ist es zu prüfen, ob diese Intention im Gesetz und in der Praxis verwirklicht wird. Was die Praxis betrifft, sind Zweifel angebracht. Ein Beispiel ist die zunehmend in Alters- und Pflegezentren zu beobachtende Praxis, im Aufnahmeverfahren Willenserklärungen über medizinische Behandlungen einzufordern.
Die betreffenden Institutionen fragen neue Bewohner:innen, ob sie Reanimation, lebensverlängernde Massnahmen oder eine Überweisung in eine Klinik wollen, füllen Formblätter aus und lassen diese nach dem Gespräch unterschreiben. Was ist von dieser Praxis zu halten?
Das Recht auf Selbstbestimmung gibt dem Einzelnen nicht nur das Recht, Willenserklärungen bezüglich künftiger medizinischer Massnahmen zu formulieren, es gibt dem Einzelnen auch das Recht, dies nicht zu tun.
Jede Person muss sagen können: «Das kann und will ich jetzt nicht entscheiden.» Wird ihr im Aufnahmeprozess eines Heims diese Möglichkeit genommen, missachtet man ihr Selbstbestimmungsrecht. Dies ist der Fall, wenn die Formulare die Möglichkeit, dass Personen sich nicht festlegen wollen, überhaupt nicht vorsehen. Das Vorgehen der Heime muss dennoch nicht rechtlich falsch sein. Dies wäre abzuklären.