«Ich habe gelernt, dass man sich selbst nicht vergessen darf» - demenzjournal.com

Jung betroffen

«Ich habe gelernt, dass man sich selbst nicht vergessen darf»

Lea Bitter. Bild Marcus May

Die Mutter von Lea Bitter war erst 45, als sich bei ihr die ersten Symptome einer frontotemporalen Demenz bemerkbar machten. Wie geht Tochter Lea damit um, im Wissen, dass schon die Grossmutter von der Krankheit betroffen war?

alzheimer.ch: Lea, wann hast du bemerkt, dass mit deiner Mutter etwas nicht stimmt?

Lea Bitter: Es fing vor zwei Jahren an, als meine Mutter 45 war und ich 20. Anfangs wussten wir nicht, was sie hat, wir dachten, dass sie einfach ein wenig spinnt. Plötzlich hat sie mit einer anderen Stimme geredet und hat Wörter gebraucht, die es gar nicht gibt. Manchmal vergass sie mich und hat nur für sich selbst gekocht.

Diese Veränderungen kamen sehr schnell und wir fragten uns alle, was denn mit ihr los ist. Es war sehr schwer für mich, damit umzugehen.

Wie kann man sich an etwas gewöhnen, von dem man nicht weiss, was es ist?

Was änderte sich für dich, als die Diagnose Frontotemporale Demenz einmal feststand?

Es hat lange gedauert, bis ich mich damit abfinden konnte, dass meine Mutter nie mehr gesund wird. Mir wurde geraten psychologische Hilfe zu suchen, weil es mich immer stärker belastet hat. Schliesslich habe ich mich selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Die Zeit dort hat mich so gefestigt, dass ich jetzt fähig bin mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

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Was war ausschlaggebend dafür, dass du dir Hilfe geholt hast?

Ich kam an einen Punkt, an dem es für mich einfach nicht mehr ging. Es hat mich in meinem Alltag dauernd beschäftigt und belastet. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und schlafen sowieso nicht mehr. Irgendwann musste ich handeln, sonst wäre vieles schief gelaufen.

Hat dir der Aufenthalt in der Klinik geholfen?

Ja, ich nehme sehr viel mit. Ich traf Menschen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten wie ich. Ich habe gelernt, dass man sich selbst nicht vergessen darf, dass ich mir Zeit für mich nehmen und Dinge machen muss, die mir gut tun.

Ich musste mich der Tatsache stellen, dass meine Mutter diese Krankheit hat und ich nichts daran ändern kann.

Ich versuche die Zeit mit ihr zu geniessen und mich nebst dem vielen Leid an den schönen Momenten, die es immer noch gibt, zu erfreuen.

Ist die Krankheit in eurer Familie?

Ja, meine Grossmutter war ebenfalls davon betroffen. Nur wusste man damals viel weniger darüber. Meine Mutter hat also das gleiche mit ihrer Mutter durchgemacht wie ich jetzt mit ihr. Sie hat uns immer wieder von ihrer Angst erzählt, auch einmal krank zu werden. Klar muss ich jetzt befürchten, dass es auch mich eines Tages treffen wird. Man könnte das abklären und feststellen.

Für mich ist es momentan besser, wenn ich nicht weiss, ob die Krankheit in mir steckt. Ich möchte nicht wissen, wie sehr meine Zeit beschränkt ist.

Die Krankheit kann ja auch erst viel später kommen, wenn ich 70 bin, das weiss man nicht so genau.

Wäre das ein Grund für dich, keine Kinder zu kriegen?

Ja, sicher. Bevor ich dreissig bin hätte ich sowieso keine Kinder gewollt. Die Vorstellung, dass meine Kinder oder ein zukünftiger Lebenspartner mit mir das gleiche durchmachen müssten, wie ich es mit meiner Mutter erlebe … das möchte ich ihnen nicht antun.

Und der Gedanke, dass ich die Krankheit an meine Kinder weitergeben könnte, macht mir ebenfalls zu schaffen. Aber wer weiss, was noch passiert, ich bin ja erst 22, aber im Moment will ich keine Kinder.

Das Video-Interview mit Lea Bitter (schweizerdeutsch, entschuldigen Sie den schlechten Ton)

alzheimer.ch/Marcus May