Der Mann sieht immer wieder Angehörige, die längst verstorben sind. Sie kommen in sein Zimmer und reden mit ihm. Die Ehefrau ist völlig verstört. Was ist bloss mit ihrem Mann los? Spinnt er? Nein, er hat eine Lewy-Körperchen-Demenz.
alzheimer.ch: Herr Klöppel, die meisten Leute haben von Lewy-Körperchen-Demenz noch nie etwas gehört…
Stefan Klöppel: Ja, der Focus ist zu sehr auf der Alzheimer-Demenz. Es gibt aber noch andere Demenzformen, und es ist wichtig zu wissen, welche es ist, denn jede wird anders behandelt. Die Lewy-Körperchen-Demenz ist auch gar nicht so selten: 1 von 25 Demenzkrankheiten wird durch sie verursacht.
Was sind Lewy-Körperchen und warum lösen die eine Demenz aus?
Das sind kleine, runde Eiweisse, die sich bei den Betroffenen im Gehirn ablagern. Lewy-Körper schädigen die Nerven und stören den Austausch von Botenstoffen – das beeinträchtigt die Hirnfunktion. 1912 beschrieb der deutsche Arzt Friedrich Lewy die Eiweisse zum ersten Mal – deshalb heisst die Demenz so.
Die Demenz äussert sich typischerweise mit Halluzinationen. Wie macht sich das bemerkbar?
Meist sind das optische Halluzinationen, also der Betroffene sieht Menschen, Tiere oder Dinge, die es nicht gibt. Neulich erzählte mir ein Patient, ein verstorbener Angehöriger komme immer wieder in sein Zimmer, setze sich an den Tisch und fange ein Gespräch an.
Die Betroffenen scheinen die Personen sehr echt und lebensnah wahrzunehmen. Das Umfeld macht sich verständlicherweise Sorgen bei solchen Schilderungen.
Muss man das behandeln?
Wenn es nicht mit Angstgefühlen verbunden ist, nicht unbedingt. Als Sohn oder Tochter kann man zum Beispiel sagen:
«Ja, ich weiss, Du hast wieder Opa gesehen. Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen.» Ich versuche dem Patienten zu erklären, dass er diese Personen wegen seiner Krankheit sieht.
Haben die Betroffenen wie bei Alzheimer Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis?
Eher weniger. Einem Patienten mit einer Alzheimer-Demenz fällt es zum Beispiel schwer, sich eine Liste mit zehn Worten zu merken.
Sage ich die zehn Wörter einem Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz, kann er sie sich noch ziemlich gut merken – aber ich muss sie ihm langsam vorsagen.
Lewy-Patienten haben aber auch geistige Probleme.
Ja, zum Beispiel, sich räumlich zu orientieren oder die Aufmerksamkeit länger aufrecht zu halten. Und sie können nicht mehr so gut planen und organisieren wie früher. Es fällt ihnen zum Beispiel schwer, ein Abendessen für die Familie zu planen, was man alles einkaufen und vorbereiten muss. Die Symptome können ziemlich schwanken – mal sind die geistigen Fähigkeiten besser, mal schlechter.
Lewy-Körperchen-Demenz
Bei der Lewy-Körperchen-Demenz schädigen Eiweissablagerungen im Gehirn die Nervenzellen und unterbrechen die Signale von Botenstoffen – das beeinträchtigt die Hirnfunktion. Wie bei allen Demenzerkrankungen lassen die geistigen Fähigkeiten immer mehr nach.
Die Demenz äussert sich typischerweise durch:
Optische Halluzinationen: Die Betroffenen sehen Menschen, Gegenstände oder Tiere, die es nicht gibt.
Schwankungen von Hirnleistung und Aufmerksamkeit: In einem Moment hellwach, aktiv und unternehmungslustig, im nächsten teilnahmslos und verwirrt
Symptome wie bei Parkinson: Langsamer, starre Mimik, schlurfender Gang, Arme werden weniger bewegt, gebeugte Haltung
Die Lewy-Körper-Demenz kann weder aufgehalten noch geheilt werden. Die Symptome können Medikamente lindern, die auch gegen Parkinson oder Alzheimer eingesetzt werden. Bei Halluzinationen helfen atypische Neuroleptika. Klassische Neuroleptika dürfen die Patienten nicht bekommen, weil sie dann noch mehr Parkinson-ähnliche Beschwerden bekommen.
Das ist ja bei Alzheimer auch so.
Ja, aber bei der Lewy-Körperchen-Demenz ändert sich das im Rhythmus von 10 bis 15 Minuten, bei Alzheimer innerhalb von Tagen.
Manche Patienten haben zusätzlich Symptome, wie sie bei Parkinson vorkommen: Ihr Gesicht sieht so starr aus wie aus Wachs, sie flüstern, schlurfen, und ihre Hand zittert. Warum ist das so?
Wir gehen heute davon aus, dass die beiden Krankheiten dieselbe Ursache haben, also Lewy-Körperchen, aber sich unterschiedlich äussern. Vielleicht ist der eine anfälliger für geistige Symptome, der andere für motorische.
Warum ist es so wichtig, die Diagnose zu kennen?
Halluzinationen können auch aus anderen Gründen auftreten, zum Beispiel nach einer Operation. Dann geben wir Neuroleptika.
Die darf man einem Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz nicht geben, denn die Medikamente können die Parkinson-Symptome deutlich verschlechtern.