Ein Leitfaden zum Lebensende - demenzjournal.com

Lebensqualität

Ein Leitfaden zum Lebensende

Zehn Hefte vermitteln wertvolles Wissen zur Betreuung und Pflege von Menschen mit schwerer Demenz. Bild Martin Mühlegg

Die gängigen Ratgeber zur Begleitung von Menschen mit Demenz widmen sich vor allem den frühen Stadien der Krankheit. Aus einer Zusammenarbeit von Angehörigen, Praktikern und Wissenschaftlern ist in Zürich der Leitfaden «Lebensende mit Demenz» entstanden.

«Lebensende mit Demenz» heisst es auf dem Schuber. Die ansprechend und modern gestaltete Schachtel enthält zehn Hefte zu zehn Themen: Lebensqualität, Essen und Trinken, Kommunikation, Gesundheit, Herausforderndes Verhalten, Spiritualität, Rechtliches und Finanzielles, Sterben, Zusammenarbeit mit Fachpersonen, Eigener Umgang.

Im Unterschied zu den meisten gängigen Ratgebern geht es im neuen Leitfaden nicht um das Autofahren, Orientierungsprobleme oder die Sicherheit im Haushalt.

Es geht um die Probleme, die sich vor allem im letzten Abschnitt einer Demenzerkrankung stellen. 

Was ist zu tun, wenn der erkrankte Partner das Essen verweigert und/oder Schluckstörungen hat? Wie kann ich sicherstellen, dass die Mutter trotz abnehmender Urteilsfähigkeit selbstbestimmt leben und sterben kann? Wie erkenne ich die Wünsche meiner Schwester, die nicht mehr sprechen kann? Was ist nach dem Tod zu erledigen?

Mehr über das Sterben zu wissen, um es menschlicher zu gestalten: Dieses Ziel verfolgt das Nationale Forschungsprogramm «Lebensende». Die «Zürcher Verlaufsstudie zu Leben und Sterben mit fortgeschrittener Demenz» (ZULIDAD) ist eines der in diesem Rahmen geförderten Projekte.

Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) und das Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich untersuchen in Zusammenarbeit mit den Pflegezentren der Stadt Zürich und dem Demenz-Zentrum Sonnweid in Wetzikon die letzte Lebensphase.

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Die ZULIDAD-Studie erfasst den Gesundheits- und Sterbeverlauf, die Pflegemassnahmen, die Pflegeergebnisse und die Lebensqualität und deren stabilisierenden Faktoren von Pflegeheimbewohnern mit fortgeschrittener Demenz.

Ein zentrales Element der ZULIDAD-Studie ist der Runde Tisch. Hier treffen sich verschiedene Gruppen zum Austausch. Die erste Gruppe besteht aus Angehörigen von Menschen mit fortgeschrittener Demenz. In der zweiten Gruppe sind Fachpersonen aus der Praxis wie Palliativmediziner, Pflegefachleute und Theologen vertreten. Die dritte Gruppe bildet das ZULIDAD Forschungsteam.

Das Zusammentreffen von Angehörigen, Praxisexperten und Wissenschaftlern ermöglicht einen praxisnahen und interdisziplinären Austausch. 

Der nun vorliegende Leitfaden «Lebensende mit Demenz» ist an diesem Runden Tisch entstanden. alzheimer.ch unterhielt sich mit dem Projektverantwortlichen, Co-Herausgeber und Oberarzt Florian Riese.
 
alzheimer.ch: Es gibt viele Ratgeber zur Begleitung von Menschen mit Demenz. Warum gibt es nun einen weiteren?

Florian Riese: Es gibt viel Informationsmaterial zu Demenzformen oder für die Zeit nach der Diagnosestellung. Aber wenn es auf das Lebensende zugeht, tritt eine grosse Verunsicherung ein. Hier haben wir eine Lücke gesehen und wollen nun Unterstützung bieten. Wir möchten aufzeigen, wie man trotz fortgeschrittener Demenz ein möglichst gutes Leben und Sterben ermöglichen kann.

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Welche Schwerpunkte hat der Leitfaden?

Ganz allgemein geht es bei einer fortgeschrittenen Demenz um die Palliativ-Versorgung. Ein wichtiges Thema ist das Essen und das Trinken. Was ist, wenn die Betroffenen nicht mehr selber essen und trinken können? Was ist, wenn sie den Mund schliessen und den Kopf wegdrehen? Was ist, wenn sie nicht kooperieren während der Unterstützung?

Als Oberarzt in der Gerontopsychiatrie begegnest du vor allem Menschen mit Demenz, die in grosser Not sind und sich herausfordernd verhalten…

Das ist bei uns ein wichtiges Thema, das mit einer fortgeschrittenen Demenz nicht besser wird. Ein weiteres wichtiges Thema ist der Schmerz. Dieser hängt oft zusammen mit dem herausfordernden Verhalten. Es sind klassische Palliativ-Themen, die wir mit dem Leitfaden abdecken.

Ein Ziel dieses Leitfadens ist es, dass Angehörige den Fachpersonen auf Augenhöhe begegnen können.

Ein Kapitel setzt sich deshalb mit dem Thema «Umgang mit Fachpersonen» auseinander. Wie kriege ich als Angehöriger die Fachpersonen dazu, auf mich zu hören?

Der Leitfaden ist am Runden Tisch entstanden. Wie wurde es möglich, dass eine grosse und heterogene Gruppe von Menschen gemeinsam einen Leitfaden herausgeben konnte?

Das besondere an der Entstehung dieses Leitfadens ist, dass sich hier viele Experten und Angehörige über Jahre hinweg immer wieder getroffen haben. Wir sind partizipativ vorgegangen. Wir haben die Themen immer wieder von verschiedenen Seiten her beleuchtet und den Inhalt überarbeitet.

Es gibt bei der Begleitung von Menschen mit schwerer Demenz nicht nur eine richtige Meinung, sondern viele Perspektiven.

Aus dem Nebeneinander ergibt sich das bestmögliche Bild. Ich habe aus diesem Prozess gelernt, dass wir die Perspektive immer wieder wechseln müssen. Ärzte, Pflegende und Angehörige neigen zu Vorurteilen – aber am Schluss müssen wir die Probleme gemeinsam angehen.

Im Projekt ZULIDAD erforschst du die Lebensqualität von Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Gibt es dazu neue Erkenntnisse, die man nun im Leitfaden nachlesen kann?

Es gibt ein Kapitel, das sich nur mit dem Thema beschäftigt. Lebensqualität ist aus Sicht eines Forschers und auch im Alltag von uns allen kein einfaches Thema. Lebensqualität hängt damit zusammen, was die Person im Alltag noch selbstständig tun kann, wie viele Fähigkeiten sie noch hat.

Lebensqualität ist ganz klar etwas Subjektives, das sich auch in Kontakt mit anderen Menschen vollzieht.

Lebensqualität ist nicht etwas, das wir von aussen messen können, sondern das letztlich von den einzelnen Personen ganz unterschiedlich gelebt wird. Dies spiegelt sich sehr gut in dem Leitfaden wieder.

Gibt es den Leitfaden im Buchhandel?

Es gibt ihn nicht im Buchhandel, weil wir die Rechte nicht an einen Verlag abgeben wollten. Wir wollten den Prozess unter Kontrolle haben, und wir wollen bestimmen, was mit dem Leitfaden in der Zukunft passiert. Deswegen haben wir ihn im Eigenverlag herausgegeben. Man kann ihn über das Zentrum für Gerontologie Zürich bestellen.

Video: Das Interview mit Florian Riese

Lebensende mit Demenz

Ein hilfreicher, schön gestalteter Leitfaden alzheimer.ch/youtube