Was ist ein Mensch mit Demenz? Ist er ein Mensch, der zunehmend von seinem Geist verlassen wird (demens)? Zerfrisst die Demenz seine Vernunft, bis der Mensch gleichsam selbst vernichtet wird? Ist er (noch) ein emotionales, ein empfindendes Wesen? Hat der Mensch mit Demenz noch Würde? Erleidet er ein unwürdiges Siechtum? Ist er ein Mensch mit einer unheilbaren Krankheit? Wird er bestimmt durch die Anzahl der senilen Plaques in seinem Gehirn?
Werden schlaglichtartig Antworten auf die Frage so gegeben, wird deutlich: Die Demenz – und unser Umgang mit Demenz – wirft die Frage nach unserem Menschenbild auf. Dabei steht die Beschäftigung mit Demenz in einer Tradition, die das Thema wesentlich geprägt hat – und von dem sich die heutige Diskussion und die jetzige Realität erst emanzipieren muss.
Lange Zeit hat es sich die Öffentlichkeit sehr einfach gemacht: Die Alleinzuständigkeit zur Beschäftigung mit dem Phänomen Demenz wurde an die Medizin übertragen.
Indem die Alzheimer-Demenz vor etwa 40 Jahren in die Diagnoseschemata aufgenommen wurde, wurde zementiert, dass es Ärzte sein sollen, die mit ihren Methoden und Instrumentarien für Diagnostik und Therapie der Krankheit Demenz zuständig sind.
Folglich beherrschen bei der Frage nach dem «Wesen» der Demenz heute medizinische Antwortstrategien das Feld. Nahezu jeder, der sich im Themenfeld Demenz bewegt, kann mühelos Leitsymptome, Ätiologiehypothesen (Vermutungen über die Ursachen der Krankheit) und therapeutische Optionen nennen.1
Die Tücken und Fallstricke dieses Vorgangs (der Übertragung des Themas Demenz an die Medizin) sind im Ergebnis heute gut zu erkennen. Die Medizin, die lediglich das, was man ihr aufgetragen hat, getan hat, kann letztlich nur ein ausschnitthaftes Bild der Wirklichkeit Demenz bearbeiten: Diagnostik und Therapie einer Krankheit.
Durch diese Pathologisierung gerieten zahlreiche Aspekte der Demenz und die von ihr Betroffenen gar nicht erst in den Blick. Stigmatisierung der Betroffenen und Tabuisierung des Themas Demenz sind somit leicht zu erklärende Folgen.
Hinzu kam ein Weiteres: Indem der Blick lange Zeit allein auf die zunehmenden Einschränkungen und Verluste der kognitiven Leistungsfähigkeit von Menschen mit Demenz gerichtet wurde, trat ein Aspekt der Demenz in den Vordergrund, der angesichts des gegenwärtigen Zeitgeistes verheerende Folgen hatte:
In einer Gesellschaft, in der Selbstbestimmung, Autonomie, intellektuelle Leistungsfähigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit von höchster kultureller und politischer Relevanz sind, scheinen Menschen mit Demenz mit Voranschreiten des demenziellen Prozesses genau das alles nicht mehr zu sein und verwirklichen zu können, was als Leitwert Geltung hat.2
Prozesse des Alterns, die mit einem Verlust der Fähigkeit zu rationaler Selbstbestimmung einhergehen, werden in den pathologischen Bereich gedrängt und mit dem Siegel «krank» versehen. Menschen mit Demenz kamen so über lange Zeit im gesellschaftspolitischen Diskurs so gut wie nicht vor.3 Die Gesellschaft als Ganze erklärte sich als für das Thema Demenz nicht zuständig.