25. März 2011 – Er ist so lieb
Als ich kürzlich mit Paul bei der Podologin war, sagte sie beim Abschied: «Zum Glück ist Ihr Mann so lieb …». Denkste … soll sie mal versuchen, einen ganzen Tag mit ihm zusammen zu sein!
Ich meine damit die endlosen Versuche, ihm ein frisches Hemd anzuziehen, wenn er sich unbedingt wieder das stinkende überziehen will. Oder wenn er subito zum Coiffeur gehen will und nicht warten kann, bis ich ihn hinfahre. Oder die vielen Kommentare, wenn ich beim Kochen bin oder Auto fahre.
Ich nicke, ja er ist lieb. Ja, stimmt, eigentlich ist er ja lieb. Er wäre lieb, wenn ihm nicht immer der «Mann B» in die Quere käme.
«Er ist so lieb», sagte heute auch die Spitex-Frau. «Manchmal aber auch gar nicht», fügt sie noch hinzu. Gerechterweise, denn oft hat auch sie unter seinem Besserwissen und den Aggressionen zu leiden. Sie erlebt ihn also auch in solchen Momenten. Aber nur eine Stunde pro Woche.
Das ist erträglich. Eine Stunde Paul hüten würde mir auch Freude machen. Eine Stunde pro Woche, vielleicht auch zwei.
Warum kommen all die lieben Mitmenschen, die Pauls Lieb-Sein so ausdrücklich betonen, ihn nicht mal besuchen, vielleicht sogar einen ganzen Nachmittag lang?
Mich entlasten! Sollen sie doch mit ihm zum Arzt, auf dem Weg stets nach einer Toilette Ausschau haltend, ihn durch die vielen Menschen schleusen, ihn behüten im Bus wenn er zu früh aussteigen will, wenn er glaubt, zu wissen, welchen Bus nehmen und sich zum richtigen nicht hinführen lässt. Diskussionen, Überzeugungsarbeit, Erklärungen, endlose.
Wie gerne würde ich ihn euch geben, stundenweise, ja, ja er ist lieb. Nur ich weiss ihn nicht richtig zu nehmen, wie es scheint. Denkt ihr, ich bin wohl das Problem? Aber warum kommt ihr ihn nicht besuchen? Kommt, ich lade euch ein!
26. März 2011 – ZDW
Zwingend – Dringend – Wichtig. Wieder einmal muss ich diese Formel anwenden, um nicht ins Schleudern zu geraten. Was mir Sorgen bereitet: kaum bin ich eine Stunde zu Fuss unterwegs, schmerzen mich Knöchel, Schienbein, Waden, Knie, ja die ganzen Beine.
Brennende Schmerzen, nach einer Stunde unterwegs kann ich kaum mehr gehen. Jeder Schritt ist eine Qual.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Heute werde ich es wieder mit einem Waldspaziergang versuchen, dabei werde ich aber die Wanderschuhe anziehen. Ob da ein Unterschied ist zu den gewöhnlichen Halbschuhen? Bin gespannt.
Oder ist es einfach ein psychosomatisches Signal, ein Zeichen, dass ich nicht mehr kann? Ich habe von zwei Angehörigen gehört, die Lähmungserscheinungen hatten, weil ihr Körper mit «ich-kann-einfach-nicht-mehr» für sie geredet hat.
Doch mein Körper braucht sich nicht mit solchen Zeichen zu melden, ich spreche für mich selbst. Meine Kraftpillen heissen: «Ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht: Christus Jesus».
Und ich habe ja nun die Ferien brav geplant und für Paul vorgesorgt, ich werde ihn am nächsten Freitag bringen, und am Sonntag mit Andy ins Tessin fahren. Und für die Vorbereitungen werde ich die nötige Kraft bekommen.
Paul hat sich nie wichtige Daten merken können. Weder meinen Geburtstag, geschweige denn unseren Hochzeitstag. Heute wollte uns eine besondere Freude machen. Frühes Mittagessen (Poulet an süss-saurer Sauce mit Ananas und Peperoni, dazu breite Nudeln und Salat), bereits um ein Uhr geht’s dann los: «Überraschung!».
Das Ziel: Chutzen auf dem Belpberg. Dort waren wir, als wir uns kennen lernten. Heute, 28 Jahre später, gehen wir auch wieder zu Fuss auf den Chutzen. Leider ist das Restaurant geschlossen, den Ausblick geniessen wir, auch wenn er nicht super klar ist. 28 Jahre – das scheint eine lange Zeit zu sein und ist doch so schnell verflogen.