4. November 2010 – Ferienbett im Heim
So ist er eben, der Beat, mein Musikkollege: Feinfühlig, einfühlsam, hilfsbereit, weiches Herz, dienstbereit und, und … Er hat sich anerboten, mit mir zum Altersheim Seewinkel zu fahren, zum Gespräch mit dem Verwalter.
Gestern Nachmittag war es so weit. Ich fühlte mich elend. Hinter dem Rücken meines Mannes! Es belastet mich sehr, Entscheidungen fällen zu müssen, ohne mit Paul darüber sprechen zu können. Heimlichkeiten! Entsetzlich!
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Bei diesem Gang ins Pflegeheim, mit der Realität vor Augen, hat sich etwas in mir offenbart. Jetzt erst fühle ich die Schwere meiner Situation. Diese Trauer muss ich verarbeiten. Ich darf sie nicht verdrängen, muss sie zulassen lernen, muss ihr in die Augen schauen.
Das Pflegeheim vermittelt eine Atmosphäre von Gemütlichkeit, heimelig der Aufenthaltsraum, der Blick auf die schon leicht verschneiten Berge. Der Essraum ist leider etwas eng, wie der Verwalter sagt. Ja, nach dem Umbau ist man oft klüger, wer macht schon keine Fehler beim Planen?
Dann das Gästezimmer besichtigen, ein Bett, ein Nachttisch. Ich seufze, mag fast nicht hinschauen. Ah, keine Toilette im Zimmer? Man kann eine Bodenmatte montieren lassen, um die Nachtwache zu alarmieren, sobald der Bewohner aufsteht.
Wir werden in die Wäscherei geführt, man kann die Wäsche waschen lassen, doch sie müsste mit Namen versehen werden. Es gibt einen Bastelraum, auch Videos, ein Mann spielt Akkordeon.
An den Wänden sind verschiedene Bastelarbeiten aufgehängt, Zeugen vom fleissigen Werken. Überall begegne ich freundlich grüssenden älteren Menschen, sie scheinen zufrieden, hängen nicht einfach einsam herum, wie ich es schon anderswo gesehen habe.
All diese Eindrücke schlagen auf mich ein, ich komm’ mir vor wie ein zerklopftes Schnitzel.
Das schmerzt unsäglich. Ja, ich glaube, dass dies die Ursache meiner Erschöpfung ist, auch noch heute Morgen. Das ist es, was mich so sehr bedrückt und belastet. Ich habe grosse Mühe, damit umzugehen. Es ist ein weiteres Abschiednehmen.
In Tranchen sterben. Etwas stirbt in mir; einer Amputation ähnlich, ohne Narkose. Tränen kullern über meine Wangen, ja, ich habe den wunden Punkt gefunden. Es ist, als ob ich den Ast über dem Abgrund loslassen muss, darauf hoffend, dass mich eine Hand noch auffangen wird.
Aber dieses Fallen ins Nichts, dieses Dazwischen, ist unsäglich schmerzhaft zu ertragen.
Der Druck auf dem Herzen ist wieder da. Ich nehme ein halbes Xanax. Rufe Frau Ritter an, ich brauche ihren Rat. Ist diese heftige Reaktion auf den Heimbesuch «normal»? Wie war es ihr ergangen? Ich möchte alles tun, um einen Fall in die Depression zu vermeiden. Bin erleichtert, mit jemandem darüber sprechen zu können.