Ich kann ihn nicht davon überzeugen den Slip zum Trocknen ins Badezimmer zu legen. Er sucht einen Koffer für nachhause, er sucht Mutter, doch da bin nur ich, was ihm auch nichts nützt. Endlich ziehe ich mir den Morgenmantel über, ich friere, was kann ihn beruhigen? Weiss nicht, was tun.
Schliesslich steckt er den Slip in seine Jacke, ich lasse ihn gewähren. Wenn er sich doch nur wieder hinlegen würde, bin noch müde, habe Kopfschmerzen, endlich legt er sich hin. Die Hose behält er an, die Jacke mit dem nassen Slip legt er auf den Stuhl.
Endlich kann auch ich wieder ins warme Bett. Dann nimmt er meine Hand fest in die seine, ich versuche ihn zu verstehen, das ist schwieriger als Kreuzworträtsel lösen. Nach und nach setzt sich das Puzzle zusammen:
Er war draussen, es sei kalt gewesen, da habe er halt die Hose genässt; erkältet sei er, wisse nicht wo er ist. Wer bist du, woher kommst du, warum bist du da, wo arbeitest du?
Dann war er also wieder draussen!? Mich durchfährt ein Schrecken. Nun, wenigstens ist er wieder heimgekommen, werde später nachschauen wo sein Schlüssel steckt (den wagte ich am Abend nicht aus seiner Hose zu nehmen, er hätte sich nur aufgeregt!).
Nun krieg’ ich doch noch ein wenig Ruhe, meine Nase läuft, nach dem Frieren schwitze ich wieder, eklig, nur nicht krank werden! Wer würde für ihn kochen? Schlimme Gedanken schleichen sich an mein Bett, mir wird wieder einmal bewusst, wie verloren alte Menschen sind, wenn die stützende Kraft wegfällt.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Ich denke an meinen Hirten, an den gedeckten Tisch den er bereitet, flehe ihn an, mir meinen Kopf zu salben, seine heilende Kraft in mir wirken zu lassen, uns gnädig zu sein.
Einen dementen Menschen zu begleiten ist ein echter Kraftakt. Es ist eine nicht endend wollende Herausforderung, ihm die nötige Geborgenheit zu geben, damit er nicht noch verwirrter wird. Anderseits muss man sich auch die vielen Fehler vergeben, die man im Lauf der Zeit immer und immer wieder macht.
Er will jetzt aufstehen, es ist halb sieben, ich sehne mich nach einer Tasse Kaffee, mir fehlt die Geduld, auf ihn zu warten, denke an seine ungewaschenen Hände, an den nassen Slip, mag nicht warten, bis er in seiner Zeitlupenart die Maschine bedient. Ich ziehe mir schnell den Morgenmantel über und mach mir den Kaffee selbst.
Dann ab unter die Dusche, mir ekelts vor mir nach dem Schwitzen.
Inzwischen hat Paul den Tisch gedeckt, ist sehr aufgebracht, dass ich mir den Kaffee selbst gemacht habe, dass ich ihn nicht habe machen lassen. Zu Recht, ja, es war wieder ein Fehler gewesen. Das bleibt dann auch das Thema während des Frühstücks, er lamentiert, klagt, es ist unmöglich das Thema zu wechseln.
Ich schweige, lese die Zeitung, die er jeden Morgen herein holt. Dann wieder Fragen, wer seid ihr? Wo sind die anderen, die brauchen auch noch Kaffee, wir dürfen nicht alles trinken. «Haben Sie genug Kaffee gemacht?»
Ja, wer bin ich denn nun für ihn? Ratlosigkeit. Immer wieder. Wie anpacken, ich möchte endlich einen Moment Ruhe für mich haben, um über meine heutigen Aufgaben nachdenken zu können.
Immer wieder wird mein eigenes Denken «beschlagnahmt», ich muss für ihn denken, mich in ihn hineindenken.
Wie soll ich da meinen Alltag planen können? Ich möchte mal einen Gedankengang zu Ende denken können, bevor er wieder hineinfunkt.
Abwaschen, Trog putzen, blitzblank, Paul findet wieder etwas Tritt. Nun kann ich aufatmen und ihm eine weitere Beschäftigung suchen. Im Keller hat es viele Äpfel, er kann ein paar aussuchen und für einen Kuchen rüsten.
Hans ruft an, er wird heute Nachmittag im Garten arbeiten. Unser Garten verwildert, Unkraut, Sträucher, alles wuchert, bald kommt der Bodenfrost, dann sollte der Garten sauber sein.