18. September 2010 – Ziel Israel
Dieser Gedanke hat mich total verändert. Eine mögliche Reise nach Israel vor Augen für nächsten April! Hatte ich nicht schon im Juli vorsorglich den Pass bestellt? Ein Funke der Freude und Hoffnung belebt mich neu.
Also: Suche im Internet. Finde eine Reise, genau vom 3. bis 17. April (bis vor Ostern). Mir wird warm ums Herz und ein Feuer, gleich alles zu organisieren, erfasst mich. Den Ferientermin für Paul vom 2. bis 24. April habe ich einmal provisorisch reserviert.
Ich stelle fest: Ich bin weniger gereizt, ich bin ausgeglichener. Beim Gedanken an Ferien – auch wenn es noch eine Weile dauern wird – Aufatmen, mehr Freude und vor allem ich fühle mich besser. Hoffnung wächst, neue Bilder tauchen in mir auf, Erinnerungen werden wach und Sehnsüchte geweckt.
Oh, wenn ich mir vorstelle, wieder einmal einen Sonnenaufgang am See Genezareth erleben zu dürfen, oder das flanieren durch die Gassen Jerusalems, oder baden im Roten Meer. Mein Herz lebt wieder auf.
Es ist, als ob man die Heizung im Keller anstellt – obwohl die Radiatoren noch kalt sind, friert man schon weniger.
Das ist eben Hoffnung. Sie belebt, sie erweckt wieder zum Leben. Der Gedanke an Ferien lässt mich nicht mehr los. Hoffnung! Morgenröte! Allein das gibt mir neue Kraft. Ohne Hoffnung, ohne Licht am Ende eines Tunnels umfängt uns Trauer und Mutlosigkeit.
18. September 2010 – Klassenzusammenkunft
Paul freute sich. Sein Kollege Pole holte ihn pünktlich und treu ab, wie immer, wenn sich die Klasse trifft. Erleichtert konnte ich in Ruhe meinen Haushaltarbeiten nachgehen. Mittags traf ich mich zum Mittagessen mit Carlo im Coop. Wiedermal einander sprudelnd erzählen, was uns bewegt. Dazwischen ein feines Essen mit einem Glas Rotwein.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Um halb vier Uhr kam ich nach Hause. Paul war schon da! Er grüsste mich kaum, schaute mich mit leerem Blick an. Er war schon umgezogen, die Haare vom Liegen zerzaust. Den Kuss erwiderte er kaum.
Er erinnerte sich weder an Pole, der ihn abholte, noch an die Klassenzusammenkunft, noch an das Essen. Totale Leere. Ich liess ihm Zeit, packte meine Einkäufe aus. Es gelang mir nicht, ihn aus der Isolation herauszuholen. Er war wie nicht da, nichts erreichte ihn. Stumm sass er da, schliesslich ging er in den Garten hinaus.
Abends ein Telefon von Laura, der Klassenmutter. «Du, wie geht es dem Paul? Er war so komisch und wollte gleich nach dem Essen einfach nach Hause. Pole musste ihn sofort fahren, was war los mit ihm? Er redete auch nicht mit den anderen, er wirkte total abwesend».
Noch konnte ich mir das alles nicht zusammenreimen, er war doch recht klar und fröhlich von zuhause weggegangen! Ich telefonierte Pole und fragte nach. Anstatt wie vorgesehen Paul in die Kirche zur Besichtigung der Ausstellung mitzunehmen (er hätte dort in den Bänken sitzen können), brachte ihn Pole direkt ins Restaurant: Er sollte dort die halbe Stunde warten.
Paul sass also allein an dem für die Klasse reservierten Tisch. Da muss ihn die Panik ergriffen haben: Wo war seine Jacke mit den Medikamenten und den Ausweisen? Noch im Auto von Pole! Er suchte das Auto von Pole, doch das war nicht mehr vor dem Restaurant.
«Es ist mit meiner Jacke drin gestohlen worden», hat er sich wohl gedacht und ist durcheinander geraten. Dann ging er zu Fuss zur Kirche, um Pole zu suchen. Der war mit den anderen unterwegs in der Ausstellung. Paul verstand nichts, wurde unsicher.