19. Oktober 2009 – Freundinnen im Forum
Ab und zu schreibe ich in ein Forum. Turmfalken beobachten und Alltagssorgen teilen nenn ich das. Das tut gut, Gedanken austauschen ohne zu filtern. Im Forum bekam ich auch den Tipp wegen der Memory Klinik und viele tröstende Worte.
Paul und ich hatten paar gute Tage, da dachte ich mir schon: Toll, hast es etwas besser im Griff! Schon die ersten Auswirkungen der Hilfen und Zusprüche! Doch das scheint wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Einmal unten, einmal oben. Dazwischen saust man halt wieder mal hinunter.
Gerade deshalb ein spezielles Danke an Dich, liebe Freundin im Forum, du schreibst so treffend:
«Schlimm finde ich, dass Du zwar einen Partner hast, aber immer abwägen musst, was Du ihm zumuten darfst, und mit ihm nicht mehr über alles, was Dich bewegt, sprechen kannst».
Das ist wirklich das traurigste. Da ist mein Mann und doch ist er (fast) ein Fremder geworden. Was ich als neu und wichtig empfinde: Ich sage endlich JA zu meiner neuen Situation. Ich will das Problem anpacken, nichts mehr beschönigen und mich selbst täuschen.
Ich rede nun auch offen mit unseren Freunden darüber. Nur so können sie Paul besser verstehen und mit einbeziehen ins Gespräch, wenn sie sich auch seinem Tempo anpassen, MIT ihm sprechen und nicht über ihn hinweg, wenn wir uns unterhalten.Nächsten Donnerstag kann ich mit Paul zur Ärztin (Juhui, der Hausarzt ist in den Ferien!) Ich werde sie bitten, Paul in der Memory-Klinik anzumelden. Der Hausarzt wollte es ja nicht, es habe sowieso keinen Sinn … .
Es fällt mir schwer, mich für eine Sprechstunde bei der Alzheimer-Beratungsstelle anzumelden. Heute wären sie aus den Ferien zurück. Doch ich kriege nur schon beim Gedanken daran eine Angstattacke. Na ja, warten wir mal den Besuch in der Memory-Klinik ab. Übrigens habe ich eine Reise nach Basel geplant: Nächsten Samstag. Möchte doch endlich den Marktstand von Esther besuchen!! Freue mich riesig, euch alle wieder mal zu sehen. Ursula.
1. Dezember 2009 – Memory Klinik
Wir waren also in der Memory Klinik. Zwei halbe Tage. Es war sehr anstrengend für Paul, auch für mich, denn ich musste während den Demenztests und Untersuchungen im Warteraum bleiben. Und wieder unbequeme, steinharte Stühle …
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Beim Diagnose-Gespräch zeigte die Assistenz-Ärztin, die die Tests durchgeführt hatte, wenig Fingerspitzengefühl. Da habe es Mängel, hier genüge Paul nicht, da sei er ungenügend. So ungefähr hörten sich ihre Berichte an. Der Oberarzt nahm die Befunde zur Kenntnis, und schliesslich kamen Paul die Tränen.
Als dann noch auf die Waldau als möglicher Therapieort hingewiesen wurde, drehte Paul durch. («Waldau» verhiess früher für einen Berner nichts Gutes, das war die Endstation für sogenannt «Verrückte», ähnlich wie das Burghölzli in Zürich.)
Er rastete also aus: «Das hätte ich nie gedacht von dir, Ursula, dass du mich versorgen willst. So weit sind wir also schon gekommen.» Denen seien nur Intelligenztests wichtig, und alles, was er im Leben geleistet habe, sei unwichtig.
Paul weinte nun heftig und ich bat den Arzt, das Gespräch sofort zu beenden. Alles Zureden half nichts mehr, er war ohnehin übermüdet von den anstrengenden Tests.
Er war nun überzeugt, ich wolle ihn versorgen, aber er unterschreibe dann nichts. Er tat mir aufrichtig leid und ich war wütend auf die Assistentin und die unsensible Art, wie sie über die Test-Ergebnisse geredet hat.
Der Arzt zeigte dann doch noch Anteilnahme und ermutigte mich, mich wieder zu einem Gespräch zu melden, diesmal ohne Paul.
Auf dem Heimweg sprach Paul kein einziges Wort mit mir. Traurig und finster starrte er vor sich hin. Auch keinen Mucks über meine Fahrweise. Wortlos löffelte er zuhause die Kürbissuppe. Dann setzte er sich vor den Fernseher. Ging zu Bett. Kein Gutenachtkuss. Es war unmöglich, ihn zu erreichen. Er wies mich ab, frustriert und traurig.
Auch am nächsten Tag war Paul noch sehr deprimiert. Erst als wir zusammen mit meinem Sohn Andy durch das Haus gingen und anerkennend auf all das von ihm Geleistete hinwiesen, fand er sich langsam wieder zurecht.
So gesehen war das mit der Memory-Klinik ein Flop. Doch die Diagnose steht nun fest.
Es sei jedoch nicht ganz klar, welche Demenzform vorliege. Gemäss den Ärzten sind verschiedene Ursachen beteiligt, insbesondere waren dies Durchblutungsstörungen des Gehirns, welche vor einigen Jahren zu einem Hirninfarkt geführt hatten.