Nie mehr Auto fahren - demenzjournal.com

Das Tagebuch (8)

Nie mehr Auto fahren

Frau Kehrli weiss jetzt, dass ihr Ehemann unter einer Form der Demenz leidet. Dennoch fällt es ihr manchmal schwer, Paul mit diesem Wissen jeden Tag neu zu begegnen. Jetzt ist ihm auch noch das Autofahren untersagt worden.

27. November 2008 – Epilepsiesprechstunde

Paul will wie jedes Jahr alleine in die Sprechstunde gehen. Total verärgert, verwirrt und empört kommt er zurück. Verärgert auch, weil sein Haar total verschmiert ist von den Untersuchungen. Weiter schimpft er, dass sie ihn wie ein Kind behandelt hätten.

Mein Tagebuch

Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)

Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.

Da musste er Tests machen, eine Uhr zeichnen und überhaupt, eine Frechheit, man wolle ihm das Autofahren verbieten. Nun müsse er einen Test machen, um die Fahrfähigkeit zu prüfen.

Er tut mir so leid. Jahrelang ist er umsichtig und unfallfrei gefahren. Wie viele Kilometer hat er doch in seinem Leben zurückgelegt! Den Fahrausweis erwarb er sich als junger Mann in Afrika, an der Goldküste (heute Ghana). Fünf Jahre war er dort Campmanager, bis er wegen Malaria wieder in die Schweiz zurück musste.

Im Busch fuhr er auch Lastwagen. Und nun will man ihm seinen Führerschein in Frage stellen, es verletzt ihn zutiefst. Für ihn ist es eine Art Entmündigung, ein Eingriff in seine Privatsphäre, ein Unrecht in seinen Augen – und eine Bevormundung. 

Dass man ihm das anzutun droht, kann er kaum verkraften. Paul hatte sein Leben doch immer gemeistert, korrekt geführt. Er war tüchtig und was immer er anpackte, gelang ihm! Er kann sich kaum beruhigen.

15. Januar 2009 – Schlechte Nachrichten

Paul ist einem ausführlichen Test in der Neurologisch-Neurochirurgischen Poliklinik unterzogen worden. Der Test dauerte zwei Stunden. Niederschmetternd schon der mündliche Bescheid: Paul darf ab sofort nicht mehr Auto fahren.

Ich hatte gewisse Bedenken, wie viel «falsch» laufen kann bei einem solchen Test. Die junge Assistentin redete leises hochdeutsch, sehr schnell, ich musste selbst ein paar Mal nachfragen. Doch das Ergebnis war eindeutig.

Im Bericht steht «nicht fahrtüchtig», sowie die Bemerkung «Verdacht auf dementielle Entwicklung». Ich hatte ab und zu Stossgebete zum Himmel gesandt, wenn Paul mit dem Auto unterwegs war. Wenn alles rund lief im Strassenverkehr, hatte er überhaupt keine Probleme.

Interview mit der Autorin

Ursula Kehrli

«Ich rede vielen Menschen aus dem Herzen»

Seit mehreren Jahren veröffentlichen wir regelmässig Folgen aus Ursula Kehrlis Tagebuch. Gerade ist Nummer 50 erschienen. Wie geht es ihr heute? Konnte sie endlich loslassen? … weiterlesen

Nach dem Hirnschlag überliess er es mir, längere Strecken zu fahren. Zweifel an seiner Fahrweise hatte ich nur in kritischen Situationen, wenn es galt, schnell zu reagieren. So zögerte er etwa im Kreiselverkehr und wurde nervös auf unbekannten Strassen.

Doch er schien vieles mit seiner langjährigen, unfallfreien Erfahrung zu kompensieren. Es sind schlimme Tage für ihn. Er kapselt sich immer mehr ab, er ist niedergeschlagen und spricht kaum.

17. Februar 2009 – So läuft das halt …

Frühstück ist bereit. Paul braucht nun eine halbe Stunde nach dem Aufstehen, bis er bereit ist. Wir geben uns die tägliche Umarmung (er ist erkältet, wir küssen uns heute nicht).

«Guten Morgen, Paul, wie hast Du geschlafen?»

Mürrisch rührt er in seiner Tasse herum. «Ach, diese Ovo, die ist nicht mehr wie sie früher war», lamentiert er.

«Wie viel Pulver hast Du rein getan?»

«So zwei Löffelchen, das genügt.»

«Das ist vielleicht zu wenig. Du hast ja eine grosse Tasse.»

«Nein, diese Tasse ist nicht gross.»

«Was steht auf der Packung? Wie viel empfehlen sie?»

«Oh, die wollen doch nur viel verdienen, zwei Löffelchen sind genug.»

Ich zaudere, was soll ich noch sagen? Auf der Packung steht 2 bis 3 Löffel Pulver.

«Das ist einfach nicht süss genug, obwohl ich noch ein Sacharin reingetan habe», sagt er.

«Nimm noch ein Löffelchen mehr, vielleicht schmeckt es dann besser.»

«Nein, nein, das genügt, es braucht nicht mehr Pulver für diese Tasse. Das ist eine normal grosse Tasse. Ich nehme nicht mehr Pulver. Du stürmst immer mit mir.»

Ärger steigt in mir hoch. Immer dieses sich Beklagen über Dinge, die man ändern könnte. So beklagt er sich über Rückenschmerzen, will aber nicht in die Therapie, die ihm der Arzt verordnet hat.

Oft scheint mir, als ob keine Einsicht mehr möglich sei. Wenn etwas im Kopf programmiert ist, gibt es keinen Zugang mehr. Selbst wenn ein Problem behoben werden könnte.

17. März 2009 – Schlimmer

Paul leidet sehr darunter, dass er nicht mehr Autofahren darf. Er merkt auch, dass alles viel langsamer geht und er unserem «normalen» Lebenstempo nicht mehr wie früher folgen kann; sei es im Gespräch wenn wir Besuch haben, oder bei den Nachrichten am Radio oder im Fernsehen.

Haben wir Besuch, räumt er nach dem Essen gleich das Geschirr ab und geht in die Küche abwaschen. Er kapselt sich ab. Er leidet. Und ich leide mit. Die «15 Tipps für den Umgang mit Demenzkranken» habe ich mir inzwischen aus dem Internet heruntergeladen.

Eigentlich wüsste ich nun genau, wie ich mit ihm umgehen sollte. Liebevoll, verständnisvoll, geduldig sein, nicht argumentieren, sinnlose Diskussionen sollten vermieden werden.

Wenn er sagt, es ist ein blauer Elefant im Garten, müsste ich einfach zustimmen. Validation wäre auch angesagt,  in allem auf ihn eingehen. Ich müsste ein Engel sein, um all diese Anforderungen erfüllen zu können, wenn «Mann B» auftaucht .

Mit meinem «Mann A» erlebe ich immer wieder recht harmonische Tage. Auch wenn wir nur noch lockere Alltagsgespräche führen, aber auch die muss ich nun «filtern». Muss sie «mundgerecht» machen, mir bei allem immer wieder überlegen: Ist es eine wichtige Information, kann er sie verstehen? Sollte ich das Erlebte nicht lieber für mich behalten, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen? (Fortsetzung folgt …)