Ein Freund, ein guter Freund - demenzjournal.com

Ersatzmensch

Ein Freund, ein guter Freund

Der soziale Roboter ElliQ kommt bei vielen älteren Menschen gut an, obwohl klar ist, «dass es mit einem Roboter immer nur eine halbe Beziehung geben kann.» Bild PD

Der Roboter ElliQ ist freundlich, intelligent und hat viel Zeit. Zwischen dem perfekten maschinellen Gegenüber und dem fehleranfälligen Mitmenschen müssen wir uns wohl in Zukunft entscheiden. Nicht nur in der Demenzpflege.

«Ein Freund, ein guter Freund, das ist der grösste Schatz, den es gibt!» lautet der Text eines Liedes, das vielleicht manche von uns noch aus dem Film «Die Drei von der Tankstelle» kennen. Vielleicht singen wir ja schon bald «Ein Freund, ein Roboter-Freund …»?

Denn es scheint, dass intelligente Maschinen noch viel bessere Freunde sein können als ein Mensch. «ElliQ heisst der Freund der 93-jährigen Juanita. Und er ist ein Roboter», titelt der Guardian in einem Artikel über soziale Roboter. Und ein Projekt zur Entwicklung einer Roboter-Plattform für Menschen mit Demenz nennt sich unmissverständlich AMIGO. Ist das nicht toll? Oder eher ein Horror-Szenario?

Wie so oft polarisiert Technik: Was die einen für eine wertvolle Errungenschaft halten, ist für die anderen der Anfang vom Ende.

Nicht umsonst werden die ethischen Implikationen solcher «Emotionsroboter» immer wieder diskutiert und beforscht.

Ich gestehe, ich habe mich nun wochenlang darum gedrückt, diesen Artikel zu schreiben. Wo sollte ich überhaupt anfangen, mich diesem komplexen Thema zu nähern? Was ist denn nun wirklich meine Meinung?

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Ich fragte in meinem Umfeld. Das kommt eh nie, sagten manche. Und andere: Das kommt ohnehin, darüber brauchen wir gar nicht mehr nachdenken. Ich wollte einen Standpunkt dazu finden – wusste aber nicht, woran ich mich bei der Suche festhalten sollte. Ich wollte für die Meinungsbildung zuerst mal keine Forschungsergebnisse heranziehen (die gibt es wohl demnächst am Demenzkongress in St. Gallen.)

Und ich wollte auch nicht nur in einem negativen Szenario versinken, in dem Maschinen die Welt übernehmen. Ich wollte nicht negativer und «fortschrittsfeindlicher» sein als die 93-jährige Juanita im Video, die sich über die Interaktion mit ihrem Roboter ElliQ freut.

An Tom Kitwood orientieren

Ich versuchte es so: Wenn es um Beziehung in der Demenzpflege und -betreuung geht, orientiere ich mich gerne an Tom Kitwood, an seiner Definition von Person Sein und den Bedürfnissen, die er für Menschen mit Demenz beschrieben hat. Das war also mein erster «Anhaltspunkt» für meine Gedanken zu sozialen Robotern.

Zur Erklärung noch: Soziale Roboter sind kurz gesagt Maschinen, die für die Interaktion und die Kommunikation mit Menschen geschaffen und programmiert werden. Sie sollen Gefühle erkennen und auch selbst vortäuschen. Daher werden sie etwa auch als Emotionsroboter bezeichnet.

«Auf demenzjournal.com finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.»

Arno Geiger, Schriftsteller (Der alte König in seinem Exil)

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Anhand dieser von Kitwood beschriebenen Bedürfnisse, so vermutete ich, würde ich schnell und einfach erkennen, dass eine Maschine keinen Nutzen für Menschen mit Demenz bringt. Umso erstaunter war ich, als ich bei zahlreichen Aspekten zugeben musste: Ja, das kann eine Maschine wohl auch, wenn die Künstliche Intelligenz weit genug entwickelt ist (mit anderen Worten: jetzt schon).

Besonders irritiert war ich, als ich bei «Liebe» anlangte: Da steht im Kitwood-Modell als Ausprägung: «Ich habe Zeit für dich.» Ja, die hat eine Maschine wohl. «Ich interessiere mich für dich.» Kann der Roboter wohl simulieren. «Ich berühre dich.» Vermutlich auch, wenn er weich genug gebaut wird. «So wie du bist, bist du ok.» Klar, wer würde schon einen Roboter mit Stirnrunzeln oder überdrehten Augen, gar kritischen Anmerkungen programmieren … .

Ein Algorithmus für das Mitgefühl

Und doch wurde ich an dieser Stelle misstrauisch. Zwar verstand ich jetzt, warum es Menschen gibt, die eine Maschine heiraten (wollen). Ich versuchte es aber noch mit anderen Bedürfnissen in der Kitwood-Tabelle, zuerst «Trost»: «Aktiv zuhören.» Kein Problem. «Gefühle zulassen.» Auch einfach.

«Mitgefühl zeigen.» Lässt sich wohl auch programmieren – der Algorithmus dürfte nicht allzu schwierig sein. «Hand halten.» Metallisch, aber ja. «Humor.» Hier hatte ich leichte Zweifel. Aber wenn der Roboter auswertet, bei welchen Witzen man lacht – warum nicht?

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Mir schwirrte der Kopf. Was ich als Beweis der Unterlegenheit von Robotern gestartet hatte, drehte sich scheinbar um 180 Grad. Weiter zur Kategorie «Tätigkeit»: «Beschäftigungsangebote.» Das ist wohl die Kernaufgabe von Maschinen wie AMIGO. «Erinnerungen in den Tätigkeiten.» Einfach.

Nun kam ich zu «Bindung», hier würden die Roboter doch sicher schlecht abschneiden! «Vertraute Personen» – Wie Juanita berichtet, kann auch eine Maschine vertraut und person-ähnlich wahrgenommen werden. «Aufbau von Regelmässigkeit.» Keine Frage – so verlässlich ist wohl keine Betreuungsperson. «Vertraute Gegenstände und Bilder» – auch hier schlägt der Roboter nach kurzer «Einschulung» jede reale Person.

Hört der Roboter besser zu?

An diesem Punkt war ich wirklich verunsichert. Sind Menschen wirklich so leicht durch Roboter zu ersetzen und gar noch die bessere Betreuungsoption? Kann nicht ein Roboter besser spiegeln, verstehen (z.B. die uns fremde Muttersprache), zuhören (150 Wiederholungen einer Episode wären wohl kein Problem)? Ja, vielleicht könnte der AMIGO sogar auf Validation programmiert werden?

Aber irgend etwas muss doch noch fehlen! Ein gewisses positives «Etwas» im Miteinander muss doch uns Menschen vorbehalten bleiben? Schliesslich stiess ich auf einen Artikel von Christina Potschka, der sich mit der «Makellosigkeit» dieser neuen maschinellen Sozialpartner auseinandersetzt.

Potschka definiert fünf Aspekte, die für eine Beziehung zentral sind: Balance zwischen Hingabe und Selbsterhalt, Wechselseitige Anerkennung, Totale Kommunikation, Gemeinsame Interessen, Sexualität (bei Liebesbeziehungen).

Hier zeigte sich nun, dass es mit einem Roboter immer nur eine «halbe» Beziehung geben kann. Weil er keine eigenen Bedürfnisse hat (ok, ausser Strom und Wartung …) – weil er keine echten Gefühle hat. Und weil er keine Anerkennung entgegennehmen kann.

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Gerade das Geben und Nehmen ist aber doch, was uns in menschlichen Beziehungen bereichert und nährt. Und wir wissen aus Gesprächen mit Menschen mit Demenz, dass sie bis zuletzt Bedeutung haben wollen für andere. Dass es ihnen wichtig ist, nicht blosse Empfänger von Fürsorge zu sein, sondern selbst auch Fürsorge zu aktualisieren. (So etwa in der Forschung von Valerie Keller).

Hier konnte ich mein Unbehagen verorten, hier war des Pudels Kern für mich beschrieben: Ein wesentlicher Aspekt von Beziehung für Menschen ist die Herausforderung, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der nicht ausschliesslich dazu da ist, mich zu bestätigen, meine Gefühle aufzugreifen, meine Bedürfnisse vollständig zu befriedigen, mich also nur zu bedienen.

Was Maschinen nicht können, ist das, was in Begegnungen «menschelt»: die kleinen Differenzen, die man im Dialog überwindet, das aneinander Annähern in einer Art Tanz, die Kompromisse, die Missverständnisse und das Verzeihen. All das, was wir gern zusammenfassen mit Martin Buber: «Der Mensch wird zum Ich am Du.»

Dieses Du, dieses Gegenüber, so ist für mich ganz klar, wird eine Maschine nie sein. Eine simulierte Reibung kann nie belebend und heilsam sein.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob es das in der Demenz überhaupt noch braucht. Gibt es da noch ein «Ich», das werden kann? Passiert dort überhaupt noch Entwicklung? Wäre es nicht einfacher, gemütlicher, konfliktärmer, wenn eine Maschine all diese kleinen Störungen beseitigt und für die Lebensqualität durch Bestätigung und perfekt angepasste Interaktionen steigert?

Langeweile statt Konflikte?

Hier ist unser Bild von Menschen mit Demenz gefragt. Gestehen wir ihnen zu, bis zuletzt ein solches Du zu brauchen, um ihr Ich zu aktualisieren? Ich bin sicher, dass es so ist. Und ebenso sicher bin ich, dass wir jene, die nicht mehr in der Lage sind, die schwirrende Grenze zwischen Mensch und Maschine zu verstehen, nicht täuschen und verwirren dürfen.

Abschliessend dachte ich noch nach, woher denn die grosse Faszination für solche Roboterfreunde kommt. Hätten wir womöglich heimlich alle unsere Beziehungen so optimiert und auf unsere Bedürfnisse angepasst? Wäre das ein Paradies, in dem Missverständnisse und Konflikte vermeidbar sind? Oder wäre es doch eine sterile, langweilige Hölle?

Zwischen den Polen des perfekten maschinellen Gegenübers und des wunderbar fehleranfälligen Mitmenschen werden wir uns wohl in Zukunft entscheiden müssen. Nicht nur in der Demenzpflege.