«Der beste Kompass sind die Gefühle» - demenzjournal.com

Demenzfreundliches Wohnen

«Der beste Kompass sind die Gefühle»

In einem angepassten Wohnumfeld können Menschen mit Demenz lange zuhause leben. Bild Unsplash

Wie kann man eine Wohnung demenzfreundlich gestalten? Braucht es den Riesen-Umbau oder gibt es kleine Dinge, die man erstmal ausprobieren kann? Ich habe mit Antje Holst darüber gesprochen, was man beachten sollte.

Meiner Mama fällt es immer schwerer Treppen zu gehen, sowohl hinauf als auch hinab. Im Zuhause meiner Eltern geht es aber nicht ohne Treppen. Und auch sonst gab es einiges, das für Mama nicht optimal war.

Obwohl klar war, dass sich räumlich etwas ändern muss, wenn meine Eltern in ihrem Haus wohnen bleiben wollen, hat es lange gedauert, bis sie sich dazu entscheiden konnten. Das Thema Wohnen ist ganz schön komplex. Und Entscheidungen zu treffen, fällt oft schwer.

«Ganz normal», sagt Antje Holst. Sie ist gelernte Krankenschwester und studierte Erziehungswissenschaftlerin. Seit 2013 arbeitet sie am Kompetenzzentrum Demenz Schleswig-Holstein, wo sie als Wohnberaterin für das Thema Wohnen zuständig ist. Dort gibt es eine Musterwohnung, die man real oder virtuell besuchen kann.

Antje Holst weiss, dass viele Familien mit dem Umbauen zögern. Sie macht Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Mut, frühzeitig darüber zu sprechen und die Veränderungen zu wagen. Und es braucht gar nicht so viel, um eine Wohnung demenzfreundlich zu gestalten.

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Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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«Beim Wohnen gilt oft: Weniger ist mehr» – Interview mit Antje Holst

Peggy Elfmann: Wenn die Eltern älter werden, eine Demenz haben oder andere Einschränkungen, taucht die Frage auf, ob sie noch zuhause wohnen können. Wie wichtig ist es für Menschen mit Demenz, weiter in ihrem Zuhause zu wohnen?

Antje Holst: Die meisten Menschen wollen zu Hause wohnen bleiben, möglichst ohne Hilfe, unabhängig und selbstbestimmt. Und gerade für Menschen mit Demenz hat das natürlich viele Vorteile. Zuhause kennt man sich aus, da ist man vertraut, da riecht es so, wie es immer gerochen hat. Das sind einfach Dinge, die die Orientierung im Alltag leichter machen.

Laut Antje Holst genügen oft kleine Anpassungen.Antje Holst

Aber ist es auch realistisch?

Durch Anpassungen im Wohnumfeld ist sehr viel möglich. Menschen mit Demenz können ganz lange zu Hause wohnen. Wenn sich alle einig sind, auch bis zum Lebensende.

Mindestens genauso wichtig wie die wohnlichen Veränderungen ist die Bereitschaft zu einer verlässlichen und planbaren Netzwerkarbeit um den Menschen mit Demenz. Wichtig ist, dass man diese Frage anspricht – je eher, umso besser.

Wann ist denn ein guter Zeitpunkt, um mit den Veränderungen anzufangen? Ich habe das Gefühl, dass wir ein Negativbeispiel sind, weil wir immer dann etwas tun, wenn es eine Notwendigkeit gibt.

Sie sind kein Negativbeispiel. Ich würde sagen, das ist der Alltag. Auch die Frage des Umzugs ist ja oft keine frei gewählte, sondern in der Regel passiert das dann, wenn es einen Vorfall gab, einen Sturz etwa. Und dann muss mit einem Mal alles schnell gehen. Wenn die Diagnose gestellt ist, gibt es viele Dinge zu besprechen. Gut wäre es, wenn man dann auch über das Wohnen spricht.

Welche Fragen sollte man sich stellen, um eine Wohnung demenzfreundlich zu gestalten?

Zum einen sind das klassische Fragen rund um Barrierefreiheit. Bei Menschen mit Demenz geht es aber nicht nur um dieses Thema. Ich würde fragen: Wo passieren die grössten Einschränkungen im Alltag? Ist die Orientierung ein Problem und der Betroffene findet etwa die Toilette nicht mehr? Dann kann man mit Schildern oder einer Beleuchtung arbeiten, um für mehr Orientierung zu sorgen.

Oder ist eine Weg- und Hinlauftendenz das Problem? Dann kann man einen Vorhang vor die Tür hängen oder ein Alarmsystem anbringen. Eine Demenz ist immer individuell und entsprechend individuell muss man herausfinden, was zu tun ist.

Diese Eingangstür ist mit Folie im selben Muster wie die Tapete beklebt, um ein unbemerktes Verlassen der Wohnung zu verhindern.Kompetenzzentrum Demenz

Haben Sie da ein Beispiel für mich?

Meine Oma hat immer gesagt «Ich gehe nach Herzhausen», wenn sie auf die Toilette musste. Als sie sich in ihrer Wohnung nicht mehr gut orientieren konnte, haben wir an die Tür zur Toilette ein Schild mit einem Herz angebracht und «Herzhausen» darauf geschrieben. Das hat bei meiner Grossmutter super funktioniert, bei anderen hätte es vermutlich nur zur Verwirrung geführt.

Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass die Entscheidung zum Umbauen eine sehr schwierige ist. Wie geht man das am besten an?

Die meisten möchten mit einem Mal alles umbauen. Aber das ist gar nicht notwendig. Es kommt auf das richtige Mass an. Weniger ist manchmal mehr. Man sollte so viel verändern wie nötig und so wenig wie möglich.

Die richtige Wohnumgebung kann Demenzsymptome lindern

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Das Vertraute spielt also eine wichtige Rolle?

Ja, unbedingt. Die Biografie spielt in der Demenz eine grosse Rolle und auch beim Wohnen sollte man das mitdenken. Meine Grossmutter zum Beispiel hatte einen schietigen Ohrenbackensessel. Als sie aufgrund ihrer Demenz in eine Einrichtung gezogen ist, haben wir ihr dafür einen modernen, viel bequemeren Sessel gekauft.

Meine Grossmutter hat den nie benutzt. Wir haben ihn dann mit ihrem alten Sessel getauscht. Es hat keine fünf Minuten gedauert und meine Grossmutter sass in ihrem Sessel und war zu Hause.

Schauen Sie gezielt die Wohnung an. Was sind die fünf Dinge, die dem Menschen mit Demenz am Herzen liegen?

Nehmen Sie diese Dinge in den Fokus und bauen das Zuhause herum auf.

Bei Ihnen am Kompetenzzentrum gibt es ja auch eine Musterwohnung für Demenz. Sollte so jede Wohnung für Menschen mit Demenz aussehen?

In der Wohnung zeigen wir die Prinzipien, auf die es ankommt. Es gibt auch Führungen durch die Musterwohnung. Man kann auch einen virtuellen Rundgang machen und sich für jedes Zimmer Besonderheiten bei der Einrichtung anschauen.

Bei der Wohnungsanpassung für Menschen mit Demenz geht es um drei Dinge, die wir dort vermitteln wollen: Sicherheit, Orientierung und Teilhabe. Bei der Umsetzung kann und sollte jeder individuell handeln.

Handläufe bieten Sicherheit und Orientierung.Kompetenzzentrum Demenz

Was sind die wichtigsten Dinge, die man wissen sollte, um eine Wohnung demenzfreundlich zu gestalten?

Ein paar generelle Dinge sind zum Beispiel, dass man auf gute Beleuchtung und Kontraste achten sollte. Auch das Prinzip «Weniger ist mehr» gilt für fast alle Bereiche. Ansonsten rate ich aber vor allem dazu, individuell auszuprobieren. Bei der Wohnraumgestaltung für Menschen mit Demenz ist es wie in vielen Aspekten mit der Demenz: 

Was für den einen gut ist, ist für für den anderen schlecht. Ich möchte ermutigen, achtsam mit allen Sinnen zu sein und auszuprobieren.

Ja, nicht alles, was man gut gemeint hat und sich toll vorgestellt hat, funktioniert auch.

Und das ist okay. Wichtig ist, dass man sich traut. Fehler sind völlig okay. Die Halbwertszeit von Anpassungsmassnahmen ist sehr unterschiedlich. Man kann nicht erwarten, dass die Massnahmen dauerhaft wirken. Die Aufkleber bei meiner Grossmutter hat einen Monat funktioniert. Dann nicht mehr.

Es macht keinen Sinn, am Anfang gross umzubauen und zu hoffen, dass es für immer so geht. Hilfreicher ist es meist, immer wieder im Kleinen und im Grösseren nachzujustieren. Wichtig ist, dass man aufmerksam bleibt und beobachtet, wenn neue Veränderungen notwendig sind.

Aber irgendwann genügen kleine Massnahmen vermutlich nicht mehr.

In den meisten Fällen ist es notwendig, dass man irgendwann Räume verändert und umbaut. Das heisst, dann sind das Schlafzimmer und Badezimmer eben nicht mehr oben, sondern man muss aus dem Wohnzimmer ein Schlafzimmer machen und aus der kleinen Gästetoilette ein Badezimmer. Das ist oft der Schritt, an den viele sich nicht trauen, weil das natürlich ein grosser Einschnitt ist. Aber wenn das der Preis dafür ist, dass ich zuhause bleiben kann, dann kann es eine gute Alternative sein.

Haltegriffe im Bad sind wie bodengleiche Duschen eine sinnvolle Massnahme. Kontrastreiche Farben sorgen für eine gute Sichtbarkeit.Kompetenzzentrum Demenz

Warum trauen sich da viele nicht ran? Sind es die Kosten oder die Angst vorm Loslassen?

Ich glaube, es ist beides ein bisschen und das letztere am meisten. Von so einem Umbau sind in der Regel beide Partner betroffen, also ist nicht nur der Mensch mit Demenz, sondern auch der Angehörige und alle, die in dem Haushalt leben.

Für die Angehörigen ist es oft schon eine Überwindung, Schilder in der eigenen Wohnung aufzuhängen. Aber ohne Veränderung wird man keine Anpassung hinbekommen können. Da muss man vielleicht über den eigenen Schatten springen, denn ohne Veränderung geht es zuhause oft nicht weiter.

An wen kann man sich wenden, um sich zum Thema demenzfreundliche Wohnung beraten zu lassen?

Die Pflegestützpunkte können bezüglich Finanzierung beraten. Und ich würde immer empfehlen, dass man sich an die regionale Alzheimer-Gesellschaft wendet. Auf der Seite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft findet man auch gute Broschüren zu dem Thema. Manche Städte und Kommunen bieten Wohnberatung an oder haben Wohnberatungsstellen, ebenso wie manche Seniorenbeiräte.

Für Umbaumassnahmen kann man eine finanzielle Unterstützung von der Pflegeversicherung bekommen.

Diese beträgt bis zu 4000 Euro pro Massnahme. Wichtig ist, dass man die Förderung beantragt, bevor man anfängt umzubauen.

Was möchten Sie den LeserInnen mit auf den Weg geben?

Der Satz «Das Herz wird nicht dement» gilt für alle Lebensbereiche, auch für das Wohnen. Wenn ich mir vorstelle, ich muss meinen Verstand ausschalten und kann meine Wohnung nur über mein Herz und mein Gefühl wahrnehmen, dann weiss ich, was dabeibleiben muss, und dann weiss ich, was mir Angst macht. Sicherheit und Orientierung sind wichtige Punkte, aber der beste Kompass sind die Gefühle.