Mit Musik bin ich dir trotzdem nah! - demenzjournal.com

Fensterbesuch

Mit Musik bin ich dir trotzdem nah!

Gemeinsam singen, musizieren, tanzen, sich unterhalten – die Begegnung ist für alle ein Gewinn. Bild Anette Zanker-Belz

Die Initiative «Lebenslang Musik» bringt Musik nach Hause – und unters Fenster.

Von Anette Zanker-Belz

Musik und Kultur «zum Mitmachen»

Die Initiative «Lebenslang lebendig Mensch» setzt sich gegen Altersdepression, Einsamkeit und für lebendiges, erfülltes Leben bis ins hohe Alter ein. Senioren, die ihr Zuhause oder das Pflegeheim nicht mehr verlassen können, sollen weiterhin am Leben teilnehmen können. Deshalb bilden Gründerin Anette Zanker-Belz und ihr Team musikbegeisterte Menschen zu Lebenslang-Begleitern aus. Diese bringen Musik und Kultur «zum Mitmachen» zu den Senioren nach Hause – auch in Corona-Zeiten. Diese generationenverbindende Aktion stärkt nicht nur die Direktbetroffenen, sondern auch die Angehörigen.

Mehr Infos gibt es hier.

«Ach das war so schön, kommt doch bald wieder!», ruft Frau K. den beiden Lebenslang-Musikerinnen noch hinterher. Noch wenige Minuten vorher hat Frau K. bei Liedern wie «Geh aus mein Herz!» oder «Kommt ein Vogel geflogen» kräftig mitgesungen.

Sie, am Fenster stehend, aus der Wohnung heraus – und die beiden Besucherinnen unter ihrem Fenster mit genügend Abstand. Beim «musikalischen Fensterbesuch» wurde aber nicht nur gemeinsam gesungen, sondern da gab es auch passende Gedichte, Wortspiele und sogar ein kleines Rhythmus-Klatsch-Spiel auf dem Fensterrahmen, kombiniert mit Körperklängen wie Klatschen und Schnipsen.

Wir bringen Musik nach Hause! So lautet das Motto der Initiative «Lebenslang Musik», die die Geragogin und Musikgeragogin Anette Zanker-Belz bereits 2019 ins Leben rief.

Die Idee dahinter ist es, dass AmateurmusikerInnen als Lebenslang-Musik-Begleiter Seniorinnen und Senioren im hohen Alter zu Hause besuchen. Dort erleben sie dann gemeinsam die Freude, Kraft und Vielseitigkeit der Musik.

Sie singen gemeinsam, hören Musik, musizieren, tanzen, sprechen über die Musik und das Leben. Die Begegnung auf Augenhöhe ist für beide Seiten ein Gewinn. So lernen sie im Austausch jeweils Neues, hören von ihren Erfahrungen und kommunizieren miteinander – auch über die Musik.

Beim gemeinsamen Singen zum Beispiel braucht es gar nicht viele Worte. Der Lebenslang-Musik-Begleiter, der im Gespräch mit den Senioren oder von Angehörigen und Pflegenden erfährt, welche Lieder und Musikstücke vielleicht eine besondere Rolle im Leben des Besuchten spielen, kann dann ganz gezielt auch Inhalte vorbereiten und mitbringen.

«Du gehörst dazu!» und «Du kannst etwas!» – ob mit Demenzerkrankung oder ohne, ob mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen: Diese beiden Sätze stehen für die Haltung, die hinter dem Programm «Lebenslang Musik» steht.

Vor Corona wurde zu Hause im Wohnzimmer oder am Pflegebett musiziert, seit der Corona-Krise unterm Fenster oder auch am Telefon.

Das Musikangebot gestaltet sich kreativ und vielseitig. Mal gibt es musikalische Besuche, wie schon beschrieben, oder auch mal interaktive Wohnzimmer- oder Fensterkonzerte, gestaltet von einem Duo oder einem kleinen Ensemble.

In einem Kurs kann man sich zum Musik-Begleiter ausbilden lassen.Bild Meli Dikta

Um die Impulse und Ideen weiterzutragen, veranstaltete der Schwäbische Chorverband für SängerInnen und ChorleiterInnen der Gesangsvereine bereits im Juli ein Online-Seminar mit Anette Zanker-Belz. Die Begeisterung und guten Rückmeldungen zeigten: die Musikerinnen sind motiviert, mit dem, was ihnen selbst Freude bereitet, auch Freude zu hochaltrigen Seniorinnen zu bringen.

Bestärkt durch die grosse Wirkung der Initiative wird der Schwäbische Chorverband nun gemeinsam mit Anette Zanker-Belz von «Lebenslang Musik» ab Anfang des neuen Jahres einen umfangreichen Qualifizierungskurs für zukünftige Lebenslang-Musik-Begleiter anbieten.

In mehreren Modulen lernen die Sängerinnen die vielfältigen Möglichkeiten des Musizierens und Musikerlebens mit und für SeniorInnen kennen, reflektieren ihre Haltung und Rolle als Begleiter und erfahren vieles zu Themen wie «Lernen und Bildung im Alter» und «Musik und Demenz».

Außerdem entwickeln die Kursteilnehmer gemeinsame Formate, mit denen sie die SeniorInnen in Corona-Zeiten zu Hause erreichen. Auf Abstand zwar, aber eben im Musizieren und mit Musik trotzdem ganz nah.


Anette Zanker-Belz hat 20 Jahre lang Musik- und Kulturvermittlungsprojekte für jedes Lebensalter und Generationenprojekte umgesetzt: zum Beispiel für die Internationale Bachakademie, den SWR, den Schwäbischen Chorverband, Musikakademien, Kirchen, Schulen, Kindergärten und Pflegeheime.

In ihrer Tätigkeit als zertifizierte Musikgeragogin und auch als ehrenamtliche Trauer- und Sterbebegleiterin erlebte sie, wie Menschen im Alter ihr Zuhause kaum noch verlassen konnten und vereinsamten. Doch sie sah auch, wie sehr sie beim gemeinsamen Musizieren aufblühten. 2019 rief sie «Lebenslang lebendig Mensch» ins Leben, um mit Musik und Kultur Menschen zusammenzubringen und Senioren bis zuletzt ein erfülltes Leben zu ermöglichen.

Wir danken der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.