alzheimer.ch: Herr Hirsch, eigentlich gibt es im Moment nicht viel zu lachen. Trotzdem tauschen wir ständig mehr oder weniger lustige Memes und Filmchen zur Corona-Krise aus. Was gibt uns das?

Rolf Dieter Hirsch: Witze sind dazu da, um zu überleben, um Spannung, aber auch eine tiefe Angst vor der Krankheit abzuwehren. Deshalb lachen wir den Tod aus und machen damit auch unsere eigene Unsicherheit lächerlich. Wenn ich etwas lächerlich mache, kann ich ganz gut damit leben. Witze sind häufig sarkastisch oder sogar aggressiv, anders als beim Humor. Humor hat eher mit Heiterkeit und Entspannung zu tun.

Auch in Diktaturen werden gern Witze erzählt.

Genau. Dadurch können die Menschen besser mit dem System leben. Gleichzeitig bleibt das Bedrohliche natürlich bestehen. Im Falle des Virus schafft der Humor gewissermaßen eine Illusion: Ich mache es so klein, dass es keine Chance gegen mich hat. Im Hinterkopf weiß ich natürlich, dass es mich erwischen kann.

Rolf Dieter Hirsch

Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch, geboren 1946 in München, ist Facharzt für Nervenheilkunde, Gerontopsychiatrie und -psychotherapie. Ein Schwerpunkt seiner psychotherapeutischen Praxis ist die Gesundheitsförderung durch Heiterkeit und Humor. Rolf Dieter Hirsch ist Vater von zwei Söhnen und lebt in Bonn.

Humor und Lachen stärken nachgewiesenermaßen das Immunsystem. Wie können wir in diesen Zeiten gute Laune behalten?

Es hilft tatsächlich, wenn wir uns Cartoons, heitere Videoclips und Witze anschauen. Auch Humorzeitschriften oder lustige Filme fördern unsere Abwehrkräfte. Ich selbst habe viele Bücher mit Witzen und Anekdoten, ich lese täglich darin. Übrigens stärkt Humor auch das Gefühl von Selbstsicherheit. Wenn es mir gelingt, schwierige Situationen mit Humor zu entkrampfen, geht es mir gleich besser. 

Nicht jeder Witz ist komisch, manche gehen nach hinten los. Wo liegt die Grenze zwischen gutem Humor und Zynismus?

Humor ist immer ein Spagat. Die Grenze liegt da, wo ein anderer Mensch gekränkt wird. Man braucht, wenn man Humor gut einsetzen will, Feingefühl und Empathie. Er ist dann geeignet, wenn er die Beziehung zwischen Menschen positiv verstärkt. Ungut ist, wenn eine als Humor getarnte abwertende Bemerkung als Machtinstrument eingesetzt wird: Ich bin der Größere und Stärkere, deshalb darf ich dich kränken und klein machen.

Haben Jüngere und Ältere einen unterschiedlichen Humor?

Sicher lachen sie oft über unterschiedliche Dinge. Es gibt aber auch das Phänomen, dass sich Großeltern und Kinder punkto Humor nahe sind. Kinder sagen was sie denken und fühlen häufig sehr direkt.

Kinder sind noch nicht so weit sozialisiert, dass sie ihre Gefühle verbergen müssen, das zeigt sich ebenfalls in der Mimik.

Auch bei Älteren ist die Schamschranke oft ein bisschen verändert, lockerer. Zwischen Enkeln und Großeltern gibt es häufig mehr Konsens als in ihren Beziehungen zur Zwischengeneration.

Bei Menschen mit Demenz sind die Schamgrenzen ebenfalls niedriger als normalerweise üblich.

Deshalb verstehen sie sich oft mit kleineren Kindern sehr gut. Das Kind bekommt mit, dass der Großvater oder die Großmutter ein bisschen komisch ist. Der Enkel findet es zum Beispiel lustig, wenn der Großvater ein Glas mit Saft umgeworfen hat und der Saft vom Tisch auf den Boden tropft.

Das Kind fängt an, mit dem verschütteten Saft zu spielen, und der Großvater vielleicht auch. Dadurch entsteht Gemeinsamkeit. 

Karl Valentin hat gesagt: «Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.» Dieser Spruch lässt sich gerade bei Menschen mit Demenz gut anwenden – hilft aber auch bei «Normalen».

Wie können Pflegekräfte mehr Humor in den Alltag von Demenzpatienten bringen?

Menschen mit Demenz leben im Hier und Jetzt, und die Pflegekraft muss oft schnell reagieren. Eine typische Situation im Heim: Die Pflegekraft kommt in das Zimmer einer Patientin, die gerade Wasser gelassen hat, unter ihr ist eine Pfütze.

Wenn ich als Pflegerin sofort aktiv werde, führt das bei der Frau zu Aggressionen. Sie versteht den Wirbel nicht. Deshalb sollte ich erst mal innehalten, bis drei zählen und die Situation erfassen. Dann kann ich versuchen, das Komische der Lage zu sehen.

Was kann ich zum Beispiel tun?

Ich kann der alten Frau sagen: «Das ist zwar nicht der Chiemsee, was da am Boden ist, aber schön ist das ja doch.» Wichtig ist die Art, wie ich spreche, ob ich dabei lächele und amüsiert bin. Ob die Frau meine Worte versteht, ist nebensächlich. Sie bekommt die Emotion mit, nicht die Kognition, und auf der Emotion kann ich aufbauen.

Kann die Pflegeperson in diesem Moment auch etwas für sich lernen?

Ja, nämlich spielerisch mit einer Situation umzugehen, die sich nicht mit Vernunft lösen lässt. Gelassen sein und im Moment bleiben – das können wir im Umgang mit Menschen mit Demenz lernen.

Lässt sich Humor trainieren?

Durchaus. Ich mache mit Pflegekräften mitunter Rollenspiele, um den Humor zu üben. Mit diesen Coachings habe ich gute Erfahrungen gemacht.

Menschen mit Demenz machen oft komische Sachen. Was würden Sie einem dementen Freund sagen, wenn Sie entdecken, dass er seine Schuhe in den Kühlschrank gepackt hat?

Ich kann ihn zunächst fragen: «Was machen denn die da drin?» Als Antwort kommt dann vielleicht: «Im Kühlschrank halten die Schuhe länger.» Er will also erklären, warum er das gemacht hat. Ich könnte dann entgegnen: «Im Sommer wäre das toll mit kühlen Schuhen, du übst wohl schon für den Sommer.» 

Auch hier sind die Art, wie ich spreche, und meine Gestik wichtig, ob da etwas Lebendiges, Fröhliches in meinem Verhalten mitschwingt.

Freundlich sein, wertschätzend, humorvoll – das ist der richtige Zugang.

Häufig sind Menschen mit Demenz misstrauisch. Was tu ich, wenn jemand ein Lachen für ein Auslachen hält und wütend wird?

Wenn ich mitbekomme, dass jemand etwas anders aufnimmt, als ich beabsichtigt habe, kann ich mich direkt entschuldigen. Was ich sage, ist nicht wichtig, dafür aber meine Stimme, meine Mimik. Der andere muss das Gefühl bekommen, dass da etwas Verbindendes zwischen uns ist. Und ich muss ihn dabei anschauen. Die Sensibilität bei Menschen mit Demenz ist erheblich höher als bei den so genannten «Normalen».

Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch.PD

Gibt es eigentlich Menschen, denen sich der Humor nie erschließt?

Durch eine strenge Erziehung kann es passieren, dass der Humor zu kurz kommt, Menschen sich nicht trauen, lustig zu sein. Trotzdem hat jeder eine Veranlagung zum Humor und kann sich fragen, was er besonders komisch findet, in welchen Situationen er gern gelacht hat.

Manchmal kann man andere Menschen zum Lachen bringen, bei denen man es gar nicht erwartet hätte. Das ist mir zum Beispiel mit einem Berliner Taxifahrer passiert. Kennen Sie den Witz über den Dirigenten Herbert von Karajan?

Helfen Sie mir.

«Karajan steigt in ein Taxi, der Fahrer fragt: Wohin? Karajan sagt: Egal, ich werde überall gebraucht.» Den Satz habe ich bei meinem Taxifahrer am Berliner Flughafen ausprobiert. Er hat mich erst völlig konsterniert angeschaut, dann musste er schallend lachen und ich mit.

Während der Fahrt hat er eine Anekdote nach der anderen über Berlin erzählt. Es kann also bereichernd sein, mal aus der Rolle zu fallen. Wir alle sollten lernen, spielerischer zu sein und uns nicht zu wichtig zu nehmen.

Was halten Sie von diesem uralten Alzheimer-Witz: «Ein Mann lässt sich vom Arzt untersuchen, darauf sagt der Arzt zu ihm: Die schlechte Nachricht ist, dass Sie Alzheimer haben. Die gute: Wenn Sie zu Hause sind, haben Sie es wieder vergessen.» Darf man diesen Witz machen, obwohl es sich um eine schlimme Krankheit handelt?

Man kann das nicht verallgemeinern. Es kommt darauf an, wo und wie jemand den Witz erzählt. Er muss wissen, dass er den Witz auf Kosten anderer macht. Wenn die Gefahr besteht, dass er andere Menschen kränkt, etwa pflegende Angehörige, sollte er den Witz sein lassen.

Haben Sie einen persönlichen Lieblingswitz?

Es gibt viele. Einer, der sehr bayerisch ist, geht so: «Zwei Marktfrauen auf dem Münchner Viktualienmarkt streiten und keifen. Schließlich nimmt eine Marktfrau einen Pferdeapfel, der auf dem Boden liegt, und wirft ihn nach der anderen Frau. Der Pferdeapfel landet in deren geöffneten Mund, und sie stammelt: Den lasse ich jetzt so lange drin, bis die Polizei kommt!»

Wer oder was hat Ihren Sinn für Humor geprägt?

Mein Großvater war Kölner und sehr humorvoll. Mein Vater war Richter und hatte einen schönen Spruch auf seinem Schreibtisch stehen: «Setz dich über alles weg, freu dich über jeden Dreck!» Ich habe den Spruch immer gesehen, vielleicht hat das meinen Sinn für Humor geschärft. Am Dreck sich zu freuen – das ist doch etwas Wunderbares!