Fernseher werden schwarze Löcher, bunte Teppiche zu Blumenwiesen - demenzjournal.com

Wohlfühlumgebung

Fernseher werden schwarze Löcher, bunte Teppiche zu Blumenwiesen

«Mit der veränderten Raumwahrnehmung fällt es Demenzkranken immer schwerer, Formen und Farben auseinanderzuhalten» Bild Daniel Kellenberger

Die richtige Wohnumgebung kann die Symptome bei Demenz lindern. Die Betroffenen fühlen sich besser und brauchen weniger Medikamente

Wo ist der Kleiderschrank? Wo ist die Toilette? Die eigene Wohnung kann für Menschen mit Demenz ein fremdes Terrain werden. Ihr Zuhause, das eigentlich ein heimeliger, sicherer Ort sein sollte, verursacht Unsicherheit und Angst. Deshalb laufen manche Demenzkranke unruhig umher, weinen scheinbar grundlos oder werden wütend.

«Richtet man das Zuhause richtig ein, kann man aber viel dafür tun, dass es Menschen mit Demenz besser geht», sagt Robert Perneczky, Leiter des Alzheimer Gedächtniszentrums an der Ludwig-Maximilians-Uni in München. «Sie fühlen sich besser und brauchen oft weniger Medikamente.»

Die erste Massnahme ist: Die Wohnung hell gestalten. Denn zu wenig Licht im Wohnbereich löst bei Bewohnern von Pflegeheimen negative Stimmungen aus. «Erhöhen Sie die Lichtquellen auf das doppelte Strahlungsvermögen», rät Tanja Vollmer, Psychologin und Mitbegründerin des Kopvol Architekturbüros Architecture & Psychology in Rotterdam.

«Am besten wären natürlich grosse Fenster oder ein Wintergarten.»

Zu viel Lärm, so zeigten die Pflegeheim-Studien, machte die Bewohner aggressiv und regte sie zum Herumwandern an. «Viele Demenzkranke sind geräuschempfindlich», sagt Vollmer.

«Helfen können hier schallisolierte Decken, Wände, Böden und Türen.» Ist man krank, steigt zudem das Stressempfinden, man wird schutzbedürftiger, sucht verstärkt nach Rückzugs- und Wohlfühlräumen und wird empfindlicher gegenüber Licht, Lärm, Gerüchen, Temperatur, Farben und Formen.

«Mit der veränderten Raumwahrnehmung fällt es Demenzkranken immer schwerer, Formen und Farben auseinanderzuhalten», erzählt Vollmer. «Schwarze Fernseher werden schwarze Löcher, bunte Teppichmuster zu Blumenwiesen.»

Ruhige Muster und Fotos von früher

Wichtig ist daher, kontrastreich zu gestalten, damit sich Gegenstände besser von Oberflächen abheben, Wände von Böden, Möbel von Böden. «Besser keine unruhigen Muster auf Sofas oder Tapeten – die werden als Unebenheiten wahrgenommen und bereiten Stress.» Es gebe kein Pauschalrezept für die Gestaltung, sagt Egemen Savaskan, Chefarzt der Alters-Psychiatrie am Unispital Zürich.

«Eine Demenz ist ein über 10 bis 15 Jahre dauernder Prozess mit verschiedenen Stadien, und man muss das Umfeld jeweils anpassen.»

Als Grundregel könne aber gelten: «Man muss für gute Orientierung sorgen und den Betroffenen geistig anregen, aber Reizüberflutung vermeiden.»

So eine geistige Anregung können zum Beispiel Fotos von früher sein, denn an lang Vergangenes erinnern sich die Patienten oft noch besser als an aktuelle Ereignisse. Oder man lässt eine CD mit Vogelstimmen oder Wassergeräuschen abspielen – all das kann Unruhe reduzieren.

Mit Apfelkuchen Erinnerungen wecken

Auch gemeinsames Kochen und Essen mit Düften von Apfelkuchen oder gegrillten Würstchen kann angenehme Erinnerungen an die Kindheit wecken und Wohlbefinden auslösen. «Erstaunlicherweise erinnern sich Demenzkranke noch ziemlich lange an Gerüche von früher, obwohl oft schon zu Beginn der Krankheit der Geruchs- und Geschmackssinn nachlässt», sagt Vollmer.

«Erinnerungshilfen» können auch bestimmte Materialien sein, etwa Stroh, Backstein oder Holz, die man in Wandelemente oder als Möbelstück einbauen kann. Streicht der Demenzkranke darüber, kann das beruhigend wirken.

Beschriftungen auf Schubladen und Schranktüren mit «Hosen» oder «Wäsche» sorgen dafür, dass Demenzkranke länger selbständig bleiben. Ein WC in Sichtweise vom Bett kann Ängste vermeiden, die Toilette nicht rechtzeitig zu finden.

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Besonders wichtig sind die Türen

Für am wichtigsten hält Psychologin Vollmer aber den Umgang mit Türen: «Vor allem bei fortgeschrittener Demenz verstehen Demenzkranke nicht mehr, warum sie gegen ihren Willen an einem Ort festgehalten werden – auch in ihrem eigenen Zuhause nicht», sagt sie.

«Eine Tür schafft die Möglichkeit, dass sie sich in die Geborgenheit zurückziehen können oder autonom aus einem Raum heraustreten können.»

 Die Tür müsse nicht einmal eine Funktion haben. Türen, durch die vor allem Menschen mit schwerer Demenz nicht alleine durchgehen sollten wie die Haustür, sollten dagegen möglichst unauffällig sein:

Etwa indem man sie in der gleichen Farbe wie die Wand streicht oder ein Fenster darauf malt, einen Spiegel daran hängt oder einen Vorhang davor hängt. Denn viele Betroffene wollen in ihrem Bewegungsdrang einfach nur raus.

Nicht vergessen: Die Stolperfallen

Vergessen dürfe man auch nicht die Stolperfallen, sagt Psychiater Perneczky. «Irrt der Demenzkranke orientierungslos durch die Wohnung, kann er schnell stürzen und sich einen Knochen brechen.» – von Rutschpartien im Badezimmer über lose Läufer bis zu Puschel-Hausschuhen.

Ob man mit der richtigen Wohn-Umgebung das Fortschreiten einer Demenz bremsen kann, ist nicht untersucht. «Wir wissen aber, dass sich ein geistig stimulierendes Umfeld, körperliche Aktivität und sozialer Austausch – etwa mit der Familie Kaffeetrinken oder Spazierengehen – den Verlauf positiv beeinflussen können», sagt Perneczky.

Doch so wichtig eine demenzfreundliche Wohnung sei: Die Angehörigen dürfe man dabei nicht vergessen. «Einen Menschen mit Demenz zu betreuen, kann ziemlich anstrengend sein», sagt er. «Man darf sich professionelle Hilfe suchen und sollte darauf achten, dass man auch noch genügend Zeit für sich selber hat. Wenn die pflegende Person ausfällt, ist dem Betroffenen auch nicht geholfen.»


«Erzeugen Sie gute Gefühle»

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Herr Feddersen, was ist ein demenzfreundliches Zuhause?

Eckhard Feddersen: Wir müssen versuchen zu verstehen, was der Demenzkranke in seinem Kopf gerade für einen Raum sieht. Bei Menschen mit Demenz verschieben sich nämlich die Erinnerungen an einen Raum oder gehen ganz verloren.

Eckhard FeddersenBild Netzwerk S

Der Betroffene kann sich zum Beispiel nicht mehr erklären, warum gerade dieser Stuhl im Raum dort steht oder dass er zum Sitzen dient.

Wie sieht das praktisch aus?

Es geht immer darum, «gute» Gefühle zu erzeugen. Kein Mensch geht gern ins Dunkle, wenn er den Weg sucht. Aber er zieht sich gern ins Dunkle zurück, wenn er Schlaf braucht. Kein Mensch setzt sich gern grossem Lärm aus, aber er hört gerne ein gewaltiges Konzert.

Kein Mensch findet es schön, wenn er ein Ziel hat und sich ihm Dinge in den Weg stellen. Aber er braucht, wenn er das Ziel erreicht etwas, das diesen Platz gegen aussen abschirmt und verteidigt.

Das kann sich aber rasch ändern. Morgens finde ich ein gewaltiges Konzert im Radio toll, am Nachmittag aber nicht?

Genau. Deshalb muss man dem Demenzkranken auch komplementäre Vorschläge anbieten: Also zum Beispiel einen Ort der Wärme wie ein Kaminfeuer und gleichzeitig einen Ort der Kühle wie einen Balkon.

Reduzieren Sie auf das Wesentliche. Entfernen Sie das, was nicht wirklich emotional oder praktisch gebraucht wird, und machen Sie das, was bleibt, sichtbarer und wichtiger.

Zweitens: Alles, was bleibt, muss dem dualen Anspruch gerecht werden – dem Wunsch nach Abstand oder Nähe, Farbigkeit oder Neutralität, Wärme oder Kälte. Einen grossen Effekt haben Veränderungen, die der Betroffene nicht wahrnimmt, zum Beispiel einen Teppich als Stolperfalle beseitigen.

In der CD-Sammlung sollte eine Palette von heiterer bis besinnlicher Lieblingsmusik vorhanden sein. In den Schrank könnten Sie Glas einbauen, damit man sieht, was drin ist.

Geht es den Betroffenen damit besser?

Durch das intuitive Wahlangebot schafft man Zufriedenheit. Menschen mit Demenz verhalten sich instinktiv für sich richtig, wenn man ihnen eine Auswahl lässt.